der herzerlfresser

Premierenkritik Regisseur Gordon Kämmerer überwürzt am Schauspiel Leipzig die Uraufführung eines herzhaften Stücks von Ferdinand Schmalz

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Nach am beispiel der butter und dosenfleisch hat nun der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz mit der Uraufführung des Auftragswerks der herzerlfresser am Schauspiel Leipzig seine Stück-Trilogie über Lebensmittelmetaphern vollendet. Es ist wieder eine an poetischer Metaphorik und wild kalauerndem Humor reiche Story um eine kleine Gemeinschaft von Menschen, in die ein geheimnisvoller Fremdling eindringt. Das Herz steht hierbei im Mittelpunkt als organische Pumpe wie auch Gefühlszentrum unseres Körpers und Lebens. Und auch als schaurig schönes Volksstück taugt die einem alten Kriminalfall entliehene Geschichte des Kannibalen von Kindberg in der Steiermark. Dort hatte im 18. Jahrhundert der Knecht Paul Reininger, einem alten Aberglauben folgend, sechs junge Frauen ermordet, um durch das Verspeisen ihrer Herzen unsichtbar zu werden und mehr Glück im Kartenspiel zu haben.


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Das heutige Kindberg von Ferdinand Schmalz ist ein verschlafenes Nest am Rande einer Moorlandschaft, die der Bürgermeister Acker Rudi (Michael Pempelforth) trockengelegt und zum Bauland erklärt hat. Seine Herzensangelegenheit ist die Anlockung globaler Investoren und überregionaler Käufer durch den Bau eines Shoppingcenters. Diese moderne Begegnungsstätte zur Kundenbefriedigung soll wieder neues Leben in die Stadt pumpen. Ein Aufschwung erkauft mit den Handschlag-Quali- und Quantitäten ihres Bürgermeisters.

Vorläufig laufen aber nur die Sumpfwasserpumpen, da sich im Neubau des Herzcenters erste Risse gezeigt haben, was nicht nur stinkende Brühe zutage fördert, sondern auch weibliche Moorleichen ohne Herz. Die erste fällt dem beherzten Bürgermeister Rudi und dem Center-Wachmann Gangsterer Andi (Florian Steffens) direkt vom Schnürboden der Diskothek herunter vor die Füße. Damit die Investoren nicht ausbleiben und sich die globale Erfolgsgeschichte zur regionalen Katastrophe wendet, lässt Rudi mit Hilfe des Wachmanns die Leiche wieder verschwinden, und der Hobbykriminologe Andi mit Rundumleuchte auf dem Kopf bekommt den Auftrag den neuen Herzerlfresser zu finden.

Weitere Herz-Schmerz-Angelegenheiten zu laufen haben die Centermitarbeiterinnen Fauna Florentina (Runa Pernoda Schaefer), an die der Andi gern sein Herz verschenken würde, und Fußpflege Irene (Max Thommes), die früher mal René hieß und versucht, sich per handfester Fußzonenreflexmassage einen Weg ins Herz von Rudi zu orakeln. Herzen schlagen höher, schütten sich aus, verlieren sich, und gefrorene Herzen zerbrechen. Lauter einsame Herzen in organischer Trauer. Nur der fremde Pfeil Herbert (Felix Axel Preißler), ein philosophierender Fleischhauer, trägt sein Herz auf der Zunge und bietet das Heilsversprechen einer Liebe, die durch den Magen geht. Das Paradies, was wir verloren haben. Eine Operation am offenen Herzen der zwischenmenschlichen Sprachlosigkeit. Erst im Rausch brechen die Gefühle es aus ihnen heraus. Nach alkoholseliger Einweihungsfeier im Center kommt es zum durchgeknallten Showdown mit Motorsäge, Laserschwert und Pistole.

Hierbei gehen dem Regisseur Gordon Kämmerer nicht nur einmal die Pferde, oder auch mal ein Ziege durch, die als Pappmachéungetüm auf die Bühne gezogen wird. So jagt ein lustiger Regieeinfall den nächsten, begleitet von dröhnenden elektronischen Herzbeats und mächtig Bodennebel. Neben etlichen Slapstickeinlagen wird ein wenig mit Alfred Jodocus Kwak gealbert und fröhlich im Splattergenre gewildert. Dazu kommt, dass die SchauspielerInnen die ganze Zeit in haarigen Tier-Kostümen stecken. Merkwürdige Fellwesen zwischen Affe und Yeti, die sich Schmalz‘ Herz-, Leib- und Magenmetaphern teilen. Kämmerers Hang zur Comedy stößt auf Dauer etwas sauer auf. Was noch bei der Uraufführung des Nolte-Decar-Stücks Das Tierreich bestens funktioniert hat, erschlägt hier fast die poetische Sprachgewalt des Textes. Am 28. November hat die Zweitaufführung von Ronny Jakubaschk am Deutschen Theater Berlin Premiere. Mal sehen, wie deftig das Schmalz’sche Herzragout dort angerichtet wird.

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Zuerst erschienen am 22.11.2015 auf Kultura-Extra.

der herzerlfresser
von Ferdinand Schmalz
Uraufführung
Premiere in der Diskothek im Schauspiel Leipzig: 20.11.2015
Regie: Gordon Kämmerer, Bühne: Jana Wassong, Kostüme: Max Thommes, Dramaturgie: Esther Holland-Merten
mit: Michael Pempelforth, Felix Axel Preißler, Runa Pernoda Schaefer, Florian Steffens, Max Thommes und Maximilian Grafe
Dauer: ca. 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

Termine: 25., 28.11. und 16., 30.12.2015

Infos: http://www.schauspiel-leipzig.de

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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