Der Mann, der Liberty Valance erschoss

Premierenkritik Mit seiner Bühnenadaption der Erzählung von Dorothy M. Johnson betreibt Hakan Savas Mican am Maxim Gorki Theater eine ironische Demontage amerikanischer Heldenmythen

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Die US-amerikanische Western-Autorin Dorothy M. Johnson (1905-1984) dürfte in Deutschland eher weniger bekannt sein. Ihre Romane und Erzählungen sind teils nur im Groschenheftformat in deutscher Sprache erschienen. Sicher zu Unrecht, waren doch drei ihrer Kurzgeschichten Vorlage für große Western-Verfilmungen wie The Hanging Tree von Delmer Daves mit Gary Cooper, Maria Schell und Karl Malden, A Man Called Horse von Elliot Silverstein mit Richard Harris und The Man Who Shot Liberty Valance von John Ford mit John Wayne, James Stewart und Lee Marvin.

John Ford läutete 1962 mit seinem Film die Phase des Spät-Western ein, in der gebrochene Antihelden bereits an den Mythen des sogenannten Wilden Westens zu kratzten begannen. Aber gerade John Wayne hatte u.a. in Fords Filmen mehrfach noch den Western-Helden alten Schlags verkörpert. John Ford sagte dazu in der 1967 von Peter Bogdanovitch veröffentlichten Biografie des Regisseurs: „Wir haben eine Menge Leute, von denen angenommen wird, daß sie große Helden gewesen sind. Und Sie wissen verdammt gut, daß sie es nicht waren. Aber es ist gut für das Land, Helden zu haben, um zu ihnen aufblicken zu können.“ Geschichtlich gesehen war das Genre jedoch längst auserzählt. Die Wende kam nicht von ungefähr mit der großen Krise Hollywoods zu Anfang der 1960er Jahre.

Eingebetteter MedieninhaltDer Filmpublizist Michael Hanisch schreibt in seinem 1986 im Henschel Verlag Berlin erschienen Buch Western. Die Entwicklung eines Filmgenres: „Diese Entwicklung, die die Geschichte der Kolonisation des Westens darstellt, ist 1890 im wesentlichen abgeschlossen. (...) Je weiter man sich von dieser Vergangenheit entfernte, um so unschärfer wurden ihre Konturen, um so mehr überwucherten Legenden die gar nicht so spannende, aufregende Realität.“ Und kurz vor diesem Scheidepunkt, genau gesagt um 1880, spielt Dorothy M. Johnsons The Man Who Shot Liberty Valance. Eine nicht untypische Geschichte, über die Gründung amerikanischer Mythen, von Freiheit, Fortschritt und Demokratie, die auf Gewalt und kleineren, oder größeren Lügen aufgebaut sind.

Dieses Thema hat sich nun auch Hakan Savas Mican für seine neueste Regiearbeit Der Mann, der Liberty Valance erschoss am Maxim Gorki Theater ausgewählt. Aber er lässt nicht Fords Kino-Fassung, für die Dorothy M. Johnson auch das Drehbuch schrieb, oder die 2014 uraufgeführte englische Bühnenfassung spielen, sondern legt seiner eigenen Version Johnsons Original-Story von 1953 zu Grunde. Diese zeichnet den jungen Ransome Foster von der Ostküste in seinem Idealismus wesentlich ambivalenter als in Fords Kinoversion (mit anderen Namen), die den zum Gouverneur aufgestiegenen Anwalt in einer Rahmenhandlung in das Western-Städtchen zur Beerdigung des Cowboys Bert Barricune zurückkommen lässt. Dort erzählt Foster die wahre Geschichte von der Ermordung des die Stadt terrorisierenden Banditen Liberty Valance durch Barricune, der ihm damit das Leben rettete. Worauf ein Reporter die Wahrheit mit den Worten „When the legend becomes fact, print the legend!” einfach wegwischt. Diesen bezeichnenden Satz verschenkt leider Micans Inszenierung.

Der Regisseur konzentriert sich ganz auf das hehre Vorhaben Fosters, den Bewohnern von Twotrees nicht nur Lesen und Schreiben beizubringen, sondern auch Unterricht in Demokratie zu geben. Mehmet Ateşçi entwickelt sich hier vom zunächst noch unsicheren Greenhorn mit Schlips und Aktentasche, der zu Beginn im Video vom Überfall Liberty Valance auf sich erzählt und dabei blutige Spuren ins Gesicht geschminkt bekommt, ganz zum smarten Selfmademan mit höheren Ambitionen. Sylvia Rieger hat Mican dazu eine echte Westernstadtkulisse mit Hotel und Saloon auf der einen Seite sowie Coca-Cola-Automat auf der anderen Seite gebaut. Schon das ist ein Zeichen für den unaufhaltsamen Fortschritt, der Leute wie den cool spuckenden Westerner Bert Barricune (Taner Şahintürk) und den ebenfalls sehr authentisch von Yousef Sweid verkörperten Liberty Valance, die die alte Ordnung mit der Waffe in der Hand verteidigen wollen, hinwegfegen wird.

Sie dürfen ausgiebig böse gucken und ein kleines Zwiegespräch über das innere Labyrinth des Rechts, das Foster mit seinen Wahlen errichten will, und das äußere der freien Wüste von Liberty Valance führen, in dem jeder sein eigener König ist. Ansonsten wird die Szenerie beherrscht von vielen großen Worten über Gleichheit, Gerechtigkeit und Glück für alle, woher sie auch kommen. Und das immer schön frontal ins Publikum. Einwürfe über Einschnitte beim Wahlrecht für Ausländer oder Frauen sollen das immer wieder vom Rand her konterkariert. Natürlich ist das Spiel mit Blick auf die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung auch durchzogen von Ironie und falschem Pathos. Einmal muss sogar Hallie Ericsson (Lea Draeger), kleine Hotelbesitzerin und Frau zwischen den beiden Männern Ransome und Bert, als Freiheitsstatue mit Fackel und Zackenkrone auftreten.

Hakan Savas Mican versucht sich recht und schlecht kritisch am amerikanischen Traum abzuarbeiten. Der Bandit Valance singt noch im Sterben David Bowies Song "This Is Not America" und auf der Videoleinwand sind Gewalt und Szenen aus der US-amerikanischen Geschichte zu sehen. DJ Volkan T. Türeli als feiger Sheriff Kane macht ansonsten einen gut abgemischten Gitarrensound, zu dem auch mal ausgelassen getanzt wird. Zunächst kein besonders standhaftes Bild der vierten Gewalt zeigt auch Tim Porath als schön versoffener Journalist Henry Locke, der sich dann aber am Ende zum charismatischen Wahlkampfredner aufschwingt. Hier schwenkt die Inszenierung mit farbigen Luftballons ins US-Wahlkampfgeschehen von heute. Lea Draeger zeigt sich als Melanie-Trump-Verschnitt und spricht davon, Amerika wieder größer machen zu wollen.

Die Drehbühne zeigt immer mal wieder die kahle Sperrholzrückseite, die wie die Story selbst den Fake verdeutlicht. Hier bildet das Theater leider selbst nur eine ziemlich platte Reproduktion der bereits bekannten postfaktischen Realität, die im Wahljahr 2017 auch Deutschland längst erreicht hat. Der sich zur Wahl stellende Foster erscheint am Ende im Leuchtanzug des Elektrischen Reiters aus dem gleichnamigen Post-Western von Sydney Pollack mit Robert Redford als uramerikanischem Helden und Einzelkämpfer für die Rechte des kleinen Mannes gegen den übermächtigen Staat.

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Zuerst erschienen am 16.01.2017 auf Kultura-Extra.

DER MANN, DER LIBERTY VALANCE ERSCHOSS (Maxim Gorki Theater, 14.01.2017)
nach der Erzählung von Dorothy M. Johnson
Bühne: Sylvia Rieger
Kostüme: Sophie Du Vinage
Musik: Jörg Gollasch
Video: Hannes Hesse, Sebastian Pirchner
Live-Kamera: Sebastian Pircher
Dramaturgie: Ludwig Hauck
Mit: Mehmet Ateşçi, Taner Şahintürk, Lea Draeger, Yousef Sweid, Tim Porath und Volkan Türeli
Premiere war am 14. Januar 2017.
Weitere Termine: 18., 28.01. / 12.02.2017

Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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