Der Nachtmahr

Kino Drogen, Psychosen und ein fremdes Wesen: Regisseur AKIZ gelingt mit seinem Horrorfilm ein gelungener Genre-Mix

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Die wachsende Paranoia der jungen Filmheldin Tina (Carolyn Genzkow) hat einen ganz realen Grund
Die wachsende Paranoia der jungen Filmheldin Tina (Carolyn Genzkow) hat einen ganz realen Grund

Foto: Screenshot Trailer, Youtube

Seinen neuen Langspielfilm Der Nachtmahr hat der Regisseur und bildende Künstler Achim Bornhak (Das wilde Leben), der nun neu unter dem Pseudonym AKIZ firmiert, ohne Förderung mit nur 80.000 € Budget und eigener Produktionsfirma OOO-Films inszeniert. Entstanden ist ein kleiner Horrorfilm der sich ähnlich der absurden Groteske Der Bunker von Nikias Chryssos nicht ins übliche Schema pressen lässt. Regisseur AKIZ spielt dabei mit vielerlei kunsthistorischen Anleihen und filmischen Vorbildern, die vom Maler Johann Füssli, von dessen Gemälde Der Nachtmahr sich der Film den Titel leiht, über die Psychoanalyse von Sigmund Freud bis zu Filmregisseuren der Neuzeit wie Steven Spielberg oder David Lynch reichen. Der 1969 geborene AKIZ ist da ganz Kind der 1980er und 90er Jahre, was sich auch in seinem Fabel für Street-Art und Techno-Musik zeigt. Als echter Gimmick ist die Ex-Bassistin der Kult-Band Sonic Youth, Kim Gordon, als Englischlehrerin besetzt, in deren Unterricht Gedichte des düsteren Romantikers William Blake gelesen werden.

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Durchaus zeitgemäß ist aber die eigentliche Story des Films, bei der die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow) mit ihren Freundinnen von einer schrillen, wummernden Techno-Party zur nächsten zieht. Der Film arbeitet mit ordentlich Stroboskoplicht und binauralen Beats, die sich stimulierend aufs Hirn legen sollen. Das ist schon echt Hardcore. Es machen Selfies und skurrile Handy-Videos die Runde, Alkohol wird konsumiert und so manch andere Substanz. Das allein wäre schon genug für eine handfeste Psychose. Die wachsende Paranoia der jungen Filmheldin hat aber einen ganz realen Grund, den zunächst nur sie selbst sehen kann und deswegen von den hilflosen Eltern (Julia Jenkins und Arnd Klawitter) zum Psychologen geschickt und von ihrer Clique für verrückt erklärt wird.

Der titelgebende Nachtmahr, der sich in der heimischen Küche und Tinas Kinderzimmer zu schaffen macht, ist ein gnomartiges Wesen zwischen ET und einer Missgeburt in Spiritus aus der Anatomischen Sammlung. AKIZ hat es schon vor der ersten Filmidee modelliert und die Geschichte drum herum nach und nach entworfen. Tina muss nun zum Psychologen (Alexander Scheer), der ihr Tabletten verschreibt und rät die Kreatur in ihren vermeintlichen Albträumen doch einfach anzusprechen oder zu berühren. Der handfeste Beweis der Echtheit zeigt sich dann in Handlungen, die der Nachtmahr vollzieht und die sich wie Selbstverletzungen am Körper Tinas manifestieren.

Zwischen den beiden entwickelt sich eine geistige, fast symbiotische Beziehung. Regisseur AKIZ verarbeitet im Film eigene Nahtoterfahrungen, Teenagerprobleme wie Liebeskummer, Bulimie oder ungewollte Schwangerschaften genauso wie psychologische Projektionen des Unterbewusstseins. Damit hält er den nach Erklärungen suchenden Zuschauer geschickt in einer dauerhaften Spannung. Echt skurril wird es nochmal, wenn der von der Polizei eingefangene Nachtmahr tatsächlich wie ET im Krankenhaus an Drähten hängt. Neben Horrorfilm und Psychothriller ist Der Nachtmahr aber auch eine ganz klassische Coming-of-Age-Geschichte, in der sich die Protagonistin von ihren Ängsten löst und lernt, zu sich selbst und ihrem Körper zu stehen. Ein durchaus sehenswerter Genre-Mix.

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Zuerst erschienen am 22.04.2016 im Rahmen der Achtung-Berlin-Filmfestival-Berichterstattung auf Kultura-Extra.

DER NACHTMAHR
Regie und Buch: AKIZ
Kamera: Clemens Baumeister, Alex Bloom
Schnitt: AKIZ, Philip Virus, Anna-Kristin Nekarda
Ton: Thomas Diesel, Benjamin E. G. Gruber
Szenenbild: Sven Rabe, Sarah Neuner
Kostüm: Vera Koch, Anne Schlaich
Soundtrack: Christoph Blaser, Steffen Kahles
Mit: Carolyn Genzkow, Kim Gordon, Julia Jenkins, Arnd Klawitter, Alexander Scheer, Wilson Gonzales Ochsenknecht, Sina Tkotsch, Michael Epp, Lynn Femme, Til Schindler, Uwe Preuss, Hagen Stoll

Kinostart: 26.05.2016

Infos: http://der-nachtmahr.com/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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