Der Palast

Premierenkritik An der Volksbühne verbindet Constanza Macras das Thema Gentrifizierung mit einem agressiven TV-Casting-Show-Format

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„Mit sieben Tänzer*innen, drei Schauspieler*innen und drei Musiker*innen erarbeiten Constanza Macras und ihr Ensemble DorkyPark ein Stück, das sich unter dem Titel Der Palast mit der Stadt Berlin beschäftigt, die als „Global City“ (Saskia Sassen) besonders von den radikalen Veränderungen der Globalisierung betroffen ist.“ heißt es im Pressetext der Volksbühne. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die argentinische Choreografin hat sich für ihre erste Uraufführung auf der großen Bühne der Volksbühne (nachdem sie bereits 2007 mit ihrer Produktion I´m not the Only One Part 1+2 im Prater gastierte) auch Castingshows im Fernsehen angeschaut und überträgt das TV-Format nun auf die Bühne. Wobei sie den aggressiven Charakter dieser Reality-TV-Shows einfach mit dem Thema städtische Gentrifizierung kurzschließt und diese Kraft in Tanz und Performance umsetzen will.

Passend zum Thema hat der britische Fotograf Tom Hunter Fotografien von Berliner Orten der Gentrifizierung in Weißensee, Rummelsburg, Kreuzberg und der Volksbühne im Stil alter Meister gemacht, die an die Bühnenrückwand projiziert werden. Eine Botticelli-Venus, scheint es, ist sogar aus dem Bild herausgestiegen und wirft in wilder Performance Sachen aus ihrem Appartement in einer Hauszeile im Hintergrund (Bühne: Alissa Kolbusch). Doch zunächst singt dort die ehemalige Volksbühne-Schauspielern Anna Ratte-Polle den Gentrifizierungs-Blues: „Dein Gemüseladen ist weg. Dein Buchladen ist weg.“ etc. Bis sie beim netten Nachbarn mit Migrationshintergrund ankommt. Sehr international ist auch das Macras-Ensemble DorkyPark. Die globale Künstlerblase ist mittlerweile ebenso von der Mietentwicklung in den kreativen In-Bezirken Berlins betroffen. Die Künstler, sie gelten als die Gentrifizierungsvorboten schlechthin. Hier geben sie sich nun aber solo und in der Gruppe immer wieder kämpferisch-solidarisch im glitzernden Show-Outfit.

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Sehr witzig ist es auch, wenn das Ensemble im Stil von sich mit steifen Gliedern bewegenden Legofiguren eine Entmietungsstory performt, bei der ein Paar die Kündigung bekommt samt Herzinfarkt, Rettungssanitäter und Wiederbelebungsmaßnahmen. Eine Wonderwoman-Figur mit Volksbühnencape kämpft hier tapfer gegen den bösen Miethai und mit der Räumung beauftragten Polizisten. Transparente mit der Aufschrift „Wir bleiben“ oder „Das ist unser Haus“ werden hochgehalten. Doch das will alles nicht helfen. Stories von kalter Entmietung, Mieterterror mit Baugerüst vor der Fassade, Ratten und nicht mehr funktionierenden Wasserleitungen erzählen eine andere, fast alltäglich gewordene Geschichte. Eine reiche Frau aus Frankfurt legt in Berlin ihr Geld in teuren Immobilien an. Wie viele Millionen braucht es, um glücklich zu sein? Diese Frage stellt sich für die Mieter, die ihren persönlichen „Palast“ verlieren, nicht. Das Ensemble performt trotzig Einheit und Widerstand und schreitet zum treibenden Elektrosound von Robert Lippok, der von einer dreiköpfigen Live-Band erzeugt wird, im gruppendynamischen Laufstegschritt immer wieder posend zur Bühnenrampe vor. Das hinterlässt zur Pause einen ziemlich starken Eindruck.

Danach werden eine kleine Showtreppe und ein Podest mit drei Sesseln hereingefahren sowie ein glitzernder Lamettavorhang heruntergelassen. Anna Ratte-Polle, die sich wunderbar ins Macras-Ensemble einfügt, und die beiden DorkyPark-Performer Fernanda Farah und Ronni Maciel geben nun die Jury eines Dance-Contests, während Luc Guiol als schräger Showmaster und belehrender Selbstoptiemierungsspezialist die Tanzpaare vorstellt und befragt. Adaya Berkovich, Emil Bordás, Chia-Ying Chiang, Yuya Fujinami, Thulani Lord Mgidi und Miki Shoji müssen sich nun in wechselnden Konstellationen vor der Jury produzieren. Man tanzt hier zu Country-Musik oder Latin-Rhythmen nicht nur für Noten, sondern auch für seine eigene Wohnung. Wer die herzzerreißendste Story z.B. von ekligen Fäkalschäden erzählt, bekommt die meisten Punkte. Arm geboren zu sein, wäre keine Schande, palavert noch der Showmaster, seine Bedeutungslosigkeit zu akzeptieren, sei dagegen philosophischer Selbstmord. Staying Alive quietscht jemand ins Mikro, bevor sich wieder alle dem Paartanz widmen. Ein wenig zu viel Folklore und Chaos. Da geht der rote Faden schon mal verloren.

Technisch und tänzerisch gesehen ist der dreistündige Abend sicher ganz große Show. Hier kann man sehen, wie sich die besseren Möglichkeiten eines Hauses wie der Volksbühne auswirken können. Besonders die nach The Pose 2017 in der AdK am Hanseatenweg erneute Zusammenarbeit mit Robert Lippok, gelernten Ossis sicher noch als Mitbegründer der DDR-Avantgarde-Band Ornament & Verbrechen bekannt, hat sich musikalisch ausgezahlt. Überzeugen kann aber auch das exzellente Können der DorkyPark-Truppe um Constanza Macras, die mit diesem knalligen Einstieg in eine hoffentlich fruchtbare Arbeit an der Volksbühne dann doch wohl etwas zu viel wollte und trotz furiosem Auftakt den Abend nach der Pause etwas zu geschwätzig verläppern lässt.

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Zuerst erschienen am 05.04.2019 auf Kultura-Extra.

DER PALAST (Volksbühne Berlin, 04.04.2019)
Regie und Choreografie: Constanza Macras
Visual Artist: Tom Hunter
Komposition: Robert Lippok
Kostüme: Roman Handt
Lichtdesign: Sergio de Carvalho Pessanha
Dramaturgie: Carmen Mehnert
Von und mit: Adaya Berkovich, Emil Bordás, Chia-Ying Chiang, Fernanda Farah, Yuya Fujinami, Luc Guiol, Ronni Maciel, Thulani Lord Mgidi, Anne Ratte-Polle und Miki Shoji sowie den MusikerInnen Santiago Blaum, Kristina Lösche-Löwensen und Jacob Thein
Uraufführung war am 4. April 2019.
Weitere Termine: 06., 14. 04. / 16., 17.05./ 09., 10.06.2019
Eine Produktion von Constanza Macras | DorkyPark in Koproduktion mit der Volksbühne Berlin

Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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