Der Ring: Siegfried/Götterdämmerung

Premierenkritik In Teil 2 seines Ring-Projekts am Thalia Theater Hamburg mixt Antú Romero Nunes wild Wagners mit Hebbels Nibelungen sowie Versen aus dem Nibelungenlied

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Ende Oktober 2014 startete Antú Romero Nunes, der junge Hausregisseur des Thalia Theaters Hamburg, sein großes Schauspiel-Projekt Der Ring mit dem ersten Abend, der Richard Wagners Opern Das Rheingold und Die Walküre mit jede Menge Mythenmatsch von der Geburt der Götter über den Bau von Walhall bis zur Geschichte um die Eltern des Helden Siegfried, Siegmund und Sieglinde, bildgewaltig in Szene setzte. Nun hatte mit Siegfried/Götterdämmerung der zweite Teil am Thalia Theater Premiere. Nunes mixt hier wieder Wagners Libretto mit dem mittelalterlichen Heldenepos des Nibelungenlieds und Texten aus dem Trauerspiel Die Nibelungen von Friedrich Hebbel.

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Foto: St. Bock

Wer den ersten Teil verpasst hat, muss nicht dumm sterben, zu Beginn des Abends tritt Zwerg Alberich auf, den André Szymansky wieder als leicht gebückte Gollum-Figur spielt, zwängt sich einen Frack und dirigiert in einer Art Prolog die Vorgeschichte bis zur Geburt Siegfrieds zu Wagners stabgereimten Libretto. Regisseur Nunes erlaubt sich wieder ein paar Figurenumbesetzungen und Straffungen des Wagner-Stoffs. Der junge Held Siegfried wird hier nicht vom Zwerg Mime aufgezogen, sondern von Alberich selbst. Mit dem „kühnen, dummen Kind“ hat es der Ziehvater allerdings nicht gerade leicht. Das Balg wirft allerlei Dinge auf die Bühne und stürmt dann in der Gestalt Philipp Hochmaiers völlig nackt mit Blondhaarperücke die Bühne. Sein Schwert Nothung schmiedet sich Siegfried auf einem schnell zusammengeschobenen Gestell, das ordentlich Funken sprüht.

Die Bühne ist wie schon im ersten Teil relativ dunkel und leer, bis auf ein paar Plastikbahnen, die den Wald darstellen, in dem Siegfried beim Lindwurm Fafner das Fürchten lernen soll. Der Übermütige wird aber relativ schnell mit dem schläfrigen Ungetüm fertig, das zunächst wieder durch Thomas Niehaus dargestellt wird, dann aber, von einer ganzen Gruppe Schwarzgekleideter geführt, als Art chinesischer Leucht-Drache mit Menschenkopf über die Bühne schwebt. Das bleibt bis zur Pause das einzig starke Bild. Nunes lässt nun durch den Siegfried hetzen, als gelte es den gesamten Ring an einem Abend aufzuführen. Eben noch Fafner erledigt, hört er schon die Vöglein singen, was den arglistigen Alberich als Zweiten aus dem Spiel befördert und ihn weiterhin nur noch als untoten Dirigenten (Wagner gar selbst?) durch die Geschichte geistern lässt.

Dem ordentlich mit Theaterblut bestrichenen Siegfried (das Lindenblatt bekommt er von Alberich hinten angeklatscht) fliegt dann auch schon das Waldvögelein zu, das sich alsbald in die schlafende Walküre Brünnhilde (Marina Galic) selbst verwandelt. Dem jungen Recken ist endlich zum Fürchten, und nach ein paar schüchternen Erkundungen beginnt schon die Vereinigung des schicksalhaften Paars. Man muss schon etwas aufpassen, um bei der sprunghaften Dramaturgie von Nunes nicht den Faden zu verlieren. Denn schon befinden wir uns in Kriemhilds (Cathérine Seifert) Traum, der tatsächlich besagt, sie wäre die Hauptgestalt in einer Oper. Aber Wagner gibt es wieder nur in beiläufig eingespielten Fragmenten. Ansonsten erklingen Popballaden und mythische Sounds.

Zu Beginn der Götterdämmerung am Hof der Gibichungen, der hier eigentlich schon im Burgund von Hebbels Nibelungen liegt, langweilt sich der weichliche König Gunther (Rafael Stachowiak). Er erfährt von Bruder Hagen (finster in Schwarz die schmale Barbara Nüsse) von der unbezwingbaren Brünnhilde, die ihm Siegfried nun gewinnen soll. Als Preis für den Gefallen des Recken wird Schwester Kriemhild ausgelobt. Nunes erlaubt sich hier einen gewagten Stilmix zwischen Wagners hochnotkomischer Alliteration und Hebbels pathetischem Blankvers. Was immer mal mit ein paar Kalauern à la „Hagen möchte jagen“ oder „Gunther, dein Gatte“ aufgelockert wird.

Philipp Hochmaier über die Nibelungen und seine Rolle als Siegfried - Video auf YouTube (c) Thalia Theater Hamburg


Die Zähmung und Entzauberung des wilden, nackten Siegfried und seiner Brünnhilde beginnt mit der Einkleidung in höfische Stoffe und der folgenden Doppelhochzeit. Nachdem der schändliche Betrug aufgedeckt ist, will Brünnhilde natürlich ihre Rache; der Rest ist allgemein bekannt. Es spritzt wieder reichlich Blut. Die pathetische Einäscherung des großen Helden samt Brünnhildes eigener Opferung als Finale der Götterdämmerung könnte bei Wagner wohl nicht schöner sein. Und während das Bühnenfeuer lodert, tritt schon Kriemhild vor und ruft mit Hebbel nach Rache: „Das riet Brunhild, und Hagen hat's getan!“ Womit wir nach etwa zwei Stunden in die Pause geschickt werden. Das ist bis hierhin nicht nur ordentlich Mythenmatsch, sondern auch ziemlich großer Quatsch. Ein gewaltiger Spaß-Digest aus den Nibelungen-Bearbeitungen zweier sehr eigenwilliger, sich möglichst meidender Künstler, zu denen sich nun noch Regisseur Nunes selbst gesellen möchte.

Und es kommt noch besser: Nach der Pause sitzt das ausgedünnte Personal etwas bedröppelt in der Burg zu Worms und bläst Trübsal. Da taucht Thomas Niehaus als reitender Bote von der Kokosnuss mit roter Narrenkappe auf und stellt sich als eine Art witziger Alleinunterhalter ans Keyboard. Wer schon immer mal mehr über „Âventiure“ und die Geschichte des Nibelungenlieds vom Niederdeutschen über den Schlager bis zur Popmusik wissen wollte, ist hier genau richtig. Der Narr entpuppt sich schließlich als Markgraf Rüdiger und Werber König Etzels (den er dann später auch noch geben muss). Niehaus performt noch einmal das bisherige Geschehen mit viel Verve und Feudel. Irgendwann spielt Kriemhild einfach mit, und neben einem eher lauen „Spätburgunder“ ist der schönste Gag schließlich: „Gunther? Aber der hängt doch am Nagel.“

Das war es dann aber auch mit lustig. Da Gunther nicht auf Hagen hören will („Wir sind im Netz des Todes“), spult sich Kriemhilds Rache wie ein Uhrwerk ab. Es ist noch viel von Verrat, Rache, Tod und dem Gespenst der Nibelungentreue die Rede. Der rosige Knabe Ortlieb (Jerome Fardi) taucht auf und berichtet vom Untergang der Nibelungen, bis er selbst von Hagen gemeuchelt wird. Barbara Nüsse bleibt hier die einzig wirklich diabolische Figur. Man möchte sie einmal in einer echten Inszenierung von Hebbels Nibelungen sehen. Da alles, was ist, nach Wagner auch mal enden muss, geht schließlich der Eiserne Vorhang runter und das gesamte Ensemble spricht nun davor mit Theaterblut aus dem Eimer im Gesicht bis zum bitteren Ende ganz hochdeutsch Verse aus dem Nibelungenlied im Chor. Nach dem gereimten Etzel-Gemetzel macht sich Kriemhild schließlich zurück in ihr Erdbett, aus dem sie sich im Vorspiel des Rheingolds gegraben hatte.

Nunes' Intension ist klar: Der Mensch braucht keine Götter mehr, er kann nun höchst selbst Verträge machen und brechen. Wotan und Gefolge sind gestrichen, kein Walhall, das brennt. Der Minne Macht hat auch so versagt. Es herrscht der ewig irdische Kreislauf von Gewalt und Mord. Dass man für diese Erkenntnis unbedingt zwei ganze Abende von insgesamt 7 Stunden braucht, ist allerdings etwas müßig. Es lohnt sich lediglich wegen der außerordentlichen Leistung des Ensembles, das ganz Feuer und Flamme, zumeist begeisternd aufspielt. Die beiden Teile werden nun als Event - da hat man ja schon den 9-Stunden Faust-Marathon am Thalia Theater - ab dem 31. Januar dreimal als NIBELUNGEN! Der ganze Ring an einem Abend komplett zu sehen sein. Da wird sich die Qualität der Inszenierung noch am Stück beweisen müssen.

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Zuerst erschienen am 19.01.2015 auf Kultura-Extra.

Der Ring: Siegfried/Götterdämmerung
nach Richard Wagner und Friedrich Hebbel

Regie: Antú Romero Nunes, Ausstattung: Matthias Koch, Licht: Christiane Petschat, Musik: Johannes Hofmann, Musikalische Mitarbeit: Anna Bauer, Choreinstudierung: Joanna Merete Scharrel, Dramaturgie: Sandra Küpper.

Mit: Marina Galic, Philipp Hochmair, Thomas Niehaus, Barbara Nüsse, Cathérine Seifert, Rafael Stachowiak, André Szymanski und Statisterie

Dauer: ca. 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause

Premiere im Thalia Theater Hamburg vom 17.01.2015

Termine: 18.02., 26.02., 13.03., 14.03. und 09.06.2015

Infos: www.thalia-theater.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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