Die dunkle Seite des Mondes

Kino Stephan Ricks Verfilmung nach dem gleichnamigen Roman von Martin Suter kann sich nicht zwischen Psycho- und Wirtschaftsthriller entscheiden

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Der Wald besitzt in Deutschland vom Mittelalter über die Romantik bis in die Moderne eine große symbolische Bedeutung. Es ranken sich um ihn viele Mythen und Märchen. So ist der dunkle Wald vor allem ein Sinnbild für das Unbekannte und die Gefahr. Die naturverliebten Romantiker dagegen verklärten den deutschen Wald als einen unverbrauchten Sehnsuchtsort. Außerdem steht der Wald in der psychologischen Traumdeutung für das Unbewusste und Verdrängte.

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In seinem 2000 erschienenen Roman Die dunkle Seite des Mondes, Bestandteil einer neurologischen Trilogie, greift der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter das Wald- und Naturthema für einen Trip ins Unbewusste des Menschen auf. Er bezog sich im Titel auf ein Zitat Mark Twains, das besagt, jeder Mensch sei ein Mond mit einer dunklen Seite, die er niemandem zeigt. Eine weitere Quelle ist das Konzeptalbum der Rockband Pink Floyd The Darkside oft he Moon, das sich mit der Entstehung von Ängsten und Wahnsinn befasst und auf ein Ereignis im Roman verweist, bei dem der Held nach der Einnahme psychedelisch wirkender Pilze eine traumatische Bewusstseinsveränderung erfährt.

Um das Psychologische in den Figuren seines Romans noch zu betonen, benutzt Suter in der Schweiz recht gebräuchliche, sprechende Namen. So heißt die Hauptperson, der Wirtschaftsanwalt Blank, der sich im Laufe der Handlung immer mehr vom Wald angezogen fühlt, mit Vornamen Urs. Weitere Beispiele sind die Namen Florin oder Lucille. Sogar im doppelten Wortsinn trifft das auch auf Pius Ott, den Förderer und späteren Widersacher Blanks zu, der ein Vermögen aus der geplanten Fusion zweier Pharmakonzerne ziehen will. Ott beauftragt mit der Durchführung die Kanzlei von Urs Blank, den er wegen seiner Durchsetzungskraft für besonders befähigt hält, seine Pläne umzusetzen.

Allerdings ist Blank (Moritz Bleibtreu), nachdem sich Dr. Florin, der unterlegene Firmenbesitzer, eine bereits geglückten Fusion vor seinen Augen erschießt, seelisch etwas aus der Bahn geraten und zeigt plötzlich Skrupel. Die Verfilmung von Stephan Rick verweist schon zu Beginn auf Analogien zwischen dem wilden Wald, in dem der passionierte Jäger Ott (Jürgen Prochnow) einen Wolf erlegt und sich damit als Herr in der Natur zeigt, und der blanken Skyline der Frankfurter Geschäftswelt, in der Anwalt Blank in Anzug und Krawatte seinen Fusionsgegner Fluri vertraglich zur Strecke bringt.

„Wer die Kunst begreifen will, muss in den Wald gehen“ sagt Blanks Freund und Psychologe Alfred Wenger (Luc Feit) auf einer Vernissage mit Wald-Fotos. Und der erfolgreiche Anwalt schert nun tatsächlich aus seinem geregelten Leben aus, verlässt seine Frau Evelyn (Doris Schretzmayer) und verliert sich vorerst ganz unbewusst im Wald, wo er die flippige Lucille (Nora von Waldstätten) trifft. Techno, Joints und ungezügelter Sex lassen ihn langsam wieder aufleben. Nach dem besagten Psilo-Pilztrip bei einer Hippie-Kommune im Wald bekommt Blank dann aber plötzlich unkontrollierte Aggressionsschübe, die er erst an der Katze von Lucille auslässt. Später verursacht er auch einen folgenschweren Verkehrsunfall, schlägt seine Geliebte und vergreift sich sogar am Chef der Kommune (André Hennicke), um zu erfahren, welche Pilze seine psychischen Veränderungen verursacht haben.

Nun ist der von seinen düsteren Gemütsanwandlungen und plötzlichen Gewaltausbrüchen verstörte Anwalt gar nicht so sehr daran interessiert, seine dunkle Seite wirklich kennenzulernen, von der Lucille behauptet, dass sie nur das zutage fördert, was eh schon immer in ihm war. Und hier liegt das Problem des Buches wie der Irrtum des Films. Das Jekyll-und Hyde-Szenario, dass hier noch zusätzlich durch den Werwolf-Mythos verstärkt wird, muss irgendwie aufgelöst werden. Im Buch geschieht das durch eine lange Reise des Protagonisten in die Natur der Wälder, wo Blank den einen Pilz finden will wie einst William S. Burroughs auf der Suche nach Yagé, der seine vermeintliche Psychose wieder umkehren kann. Im Film dagegen muss das Psychologische zu Gunsten eines Wirtschaftskrimis weichen, bei dem es zusätzlich noch um die vernichtende Studie um ein MS-Medikament geht, die den Fusionsplan Otts zunichtemachen würde.

Die schönen, geheimnisvollen Bilder des Waldes, in dem Blank eigentlich Ruhe und Frieden verspürt, wechseln ständig mit Szenen in der Zivilisation wie Blanks Kanzlei oder der Praxis Wengers und münden schließlich in eine gnadenlose Verfolgung des Abtrünnigen durch Ott und die Polizei, die Blank zum Gejagten machen und das Ganze mehr in Richtung Thriller verdichten soll. Das ist sicher ganz gut inszeniert und gespielt, kommt aber qualitativ nicht über einen Sonntagabend-TV-Krimi hinaus. Zudem lässt der zum Buch leicht abgewandelte Showdown im Wald alles in einem ganz anderen Licht erscheinen. Moralische Gesellschaftskritik, Genrefilm über die Machenschaften von Pharmakonzernen oder psychologische Studie - das lässt sich hier nicht mehr so genau ausmachen.

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Zuerst erschienen am 21.01.2016 auf Kultura-Extra.

Die dunkle Seite des Mondes (Deutschland, Luxemburg 2015)
Regie: Stephan Rick
Drehbuch: Stephan Rick, Catharina Junk, David Marconi
Basierend auf dem Roman von Martin Suter
Kamera: Stefan Ciupek, Felix Cramer
Schnitt: Florian Drechsler
Szenenbild: Gabriele Wolff
Kostüm: Magdalena Labuz
Musik: Gast Waltzing
Besetzung:
Urs Blank: MORITZ BLEIBTREU
Pius Ott: JÜRGEN PROCHNOW
Lucille: NORA VON WALDSTÄTTEN
Evelyn: DORIS SCHRETZMAYER
Joe: ANDRÉ HENNICKE
Wenger: LUC FEIT
Konrad Geiger: NICKEL BÖSENBERG
Dr. Fluri: MARCO LORENZINI

Kinostart war am 14.01.2016

Infos: http://www.alamodefilm.de/kino/detail/die-dunkle-seite-des-mondes.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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