Die Glasmenagerie

Premierenkritik Am Deutschen Theater Berlin treibt Stephan Kimmig das Familiendrama von Tennessee Williams ins absurd Komische

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Dass man die autobiografisch angehauchte Südstaatentragödie Die Glasmenagerie von Tennessee Williams auch als Komödie lesen kann, hat schon Milan Peschel 2010 am Maxim Gorki Theater zu beweisen versucht. Gorkierprobt sind auch Anja Schneider und Holger Stockhaus, die nun am Deutschen Theater dem Komödienaffen Zucker geben wollen. Nur leider, muss man sagen, will so richtig nichts zusammengehen in der Inszenierung von DT-Hausregisseur Stephan Kimmig. Eine Liebeserklärung an die vom Leben Enttäuschten dieser Welt sollte es werden. Familie Wingfield mit Helikopter-Mutter Amanda (Anja Schneider), Sohn Tom (DT-Nachwuchsstar Marcel Kohler), einem verhinderten „Shakespeare“ mit alltäglichem Lagerhausjob und nächtlicher Weltflucht ins Kino, und der etwas gehandicapten Tochter Laura (Linn Reusse), die leicht autistisch in ihrer Traumwelt aus Glastieren und Hühnern versunkenen ist, macht vor der Pause hyperventilierend auf ADHS-Family und gerät danach an einen ebenso überdrehten Mentaltrainer (Holger Stockhaus), den Tom im Auftrag der besorgten Mutter als erstes Date für die Aschenbecher-bebrillte Laura anschleppt.

Erst voll auf Aggro, dann jede Menge Klamauk - so lässt sich die Inszenierung von Stephan Kimmig recht kurz zusammenfassen. Alles Atmosphärische und Gefühlige in dieser Geschichte um die in ihren Träumen verhangenen Williams-Figuren, die vor der Zukunft ebenso viel Angst haben wie vor ihrer Vergangenheit, hat Regisseur Kimmig konsequent weginszeniert. Zu Beginn gibt es nur einen kurzen Gruß ins mondlichtige Nowhere. Die drei Wingfields leben in einer grünstichigen Fabrikarbeitshölle mit Nähmaschinen, Hühnerstall, Plattenspieler und Foto vom Vater, auf dessen letzter Postkarte aus Mexico nur ein „Lebt wohl“ stand. Am Frühstückstisch gedenken ihm aber alle immer noch in Liebe.

Eingebetteter MedieninhaltMutter Wingfield nervt mit ihrem „Morgenstund hat Gold im Mund“ und anderen Küchenweisheiten, die aber weder zum Sorgenkind der Familie Laura noch zum Hoffnungsträger Tom durchdringen. Der von Autor Williams als rückblickender Erzähler Vorgesehene wendet sich nur recht kurz mit einigen Erklärungen zum historischen Hintergrund der großen amerikanischen Depression vor dem Zweiten Weltkrieg ans Publikum. Eine Gesellschaft in Auflösung und am Rand des Nervenzusammenbruchs, den Mutter Amanda zwischen Operndiva und vergangener Disco-Queen vom Mississippi-Delta gestaltet. Wenn Tom nachts das verhasste Heim flieht, legt Laura aus der Plattensammlung des Vaters auf, holt eines der Hühner aus dem Verschlag und träumt sich in einer Art Voodoo-Zeremonie in die Welt ihrer Glasmenagerie. Statt Woody Guthrie hören wir aber u.a. den Neo-Folkie L'aupaire mit seinem Song Rollercoaster Girl, der wie für diesen Abend geschrieben zu sein scheint.

Ein Auf und Ab der Neurosen, was allerdings nur für Mutter Amanda zutrifft. Anja Schneider stiehlt mit ihrem Spiel der heimlichen Hauptfigur Laura zunehmend die Show, die die Ernst-Busch-Absolventin Linn Reusse nur kurz nach der Pause für einen Kurzsauftritt als Donna Summer im fliederfarbenen Kleid zurückerobern kann. I feel love im Bronski-Beat-Gedächtnis-Mix. Ein traumartiger Schlangentanz, der sofort wieder ins Ungelenke umschlägt, wenn sie die Mutter mit ihrem Hang zum Optimierungswahn wieder aus ihren Mädchen-Träumen reißt. Es mutet für heutige Ohren schon etwas skurril an, wie hier eine junge Frau für den Heiratsmarkt vorbereitet und ausstaffiert wird. Dass das Essen im Fiasko enden wird, ist da schon so gut wie vorprogrammiert.

Was folgt, ist der Auftritt von Holger Stockhaus als Jim O’Connor im zu knappen Anzug mit Schnauzbart und Brille. Der Absolvent eines Rhetorikkurses für zukünftige Leitungskader mit leichtem Sprachfehler ist der lebende Beweis neoliberaler Versprechungen der Selbstoptimierung und damit Mutter Amandas Traum von einem Schwiegersohn. Dass er mit ein paar Phrasen vom wissenschaftlichen Fortschritt und dem amerikanischen Traum vom Chewing-Gum-Millionär bei der schüchternen Laura punkten kann, hat einen durchaus absurden Witz, steuert die sentimentale Verliererstory allerdings in ganz andere Gewässer. Der oberflächliche Streber Jim, in dem Laura eine frühere, unerreichbare Schwärmerei wiedererkennt, ist nicht der Hoffnungsschimmer am Himmel der Wingfields, sondern nur eine weitere Enttäuschung. Holger Stockhaus liefert ein paar lustige Slapsticks mit Tisch, Kerzen und eine Jazzimprovisation, bevor er Linn Reusse zielsicher auf den Karton mit den Glasfiguren setzt. Die Metapher mit dem kaputten Einhorn verpufft als Klamotte.

Bertolt Brecht bezeichnete 1945 Die Glasmenagerie nach einem Besuch einer Aufführung am Broadway als „völlig idiotisch“. Selbst Tennessee Williams traute irgendwann dem wachsenden Erfolg seines Stücks nicht mehr. Trotz aller darstellerischen Brillanz sorgt Stephan Kimmigs recht ziellos trashige Inszenierung da nicht unbedingt für eine Ehrenrettung des Klassikers.

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Zuerst erschienen am 18.12.2016 auf Kultura-Extra.

DIE GLASMENAGERIE (Deutsches Theater Berlin, 16.12.2016)
von Tennessee Williams
Regie: Stephan Kimmig
Bühne: Katja Haß
Kostüme: Anja Rabes
Musik: Michael Verhovec
Licht: Robert Grauel
Dramaturgie: Ulrich Beck
Mit: Anja Schneider (Amanda Wingfield), Linn Reusse (Laura Wingfield), Marcel Kohler (Tom Wingfield) und Holger Stockhaus (Jim O’Connor)
Premiere war am 16. Dezember 2016.
Weitere Termine: 23., 25.12.2016 // 11., 27.01. / 04.02.2017

Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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