Die langen hellen Tage

Kino Der georgische Film von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß zeigt eine schwierige Emanzipation in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs.

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Die Geschehnisse in der georgischen Hauptstadt Tiflis (Tblissi), von denen der Film Die langen hellen Tage erzählt, liegen mehr als zwanzig Jahre zurück. Und dennoch sind sie, gerade auch in Hinblick auf die jüngsten Ereignisse in der Ukraine, aktueller denn je. 1992 war es gerade erst ein Jahr her, dass die ehemalige Sowjetrepublik Georgien ihre Unabhängigkeit erklärt hatte. Was nicht ohne regional aufflammende bewaffnete Kämpfe abging. Parallele zur Ostukraine: Die südkaukasische Region Abchasien strebte damals ihre Unabhängigkeit von der Republik Georgien an. Der Status von Abchasien ist nach wie vor völkerrechtlich umstritten. Georgien verfügt de facto bis heute über keinerlei Staatsmacht in dem autonomen Gebiet.

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http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/08/dielangenhellentage2.jpgDie langen hellen Tage ist aber dennoch kein Film über den Bürgerkrieg, sondern über das Aufwachsen einer Jugend in der postkommunistischen Gesellschaft Georgiens. Gewalt ist auch hier latent immer spürbar. Sie kommt aus dem Radio mit heroischen Berichten vom Krieg, geht weiter durch die Familien und macht auch nicht halt vor den Läden, an denen die Menschen nach dem täglichen Brot anstehen müssen. Inmitten dessen die 14jährigen Mädchen Eka (Lika Babluani) und Natia (Mariam Bokeria), Klassenkameradinnen und unzertrennliche Freundinnen. Der Film zeigt die beiden Teenager immer wieder in der Schule, auf dem Weg nach Hause und in ihren Familien, die sich am Rande des Zerfalls befinden.

Ekas Vater sitzt im Gefängnis, die überforderte Mutter (Ana Nijaradze) schweigt sich über die Hintergründe aus. Der Vater (Temiko Chichinadze) von Natia trinkt und streitet ständig mit der Mutter (Tamar Bukhnikashvili). In der Schule versucht die alte Lehrerin vergeblich, die schwindende Autorität aufrecht zu erhalten. Die Mädchen fliehen immer wieder die bröckelnden Verhältnisse ohne wirkliche Vorbilder und Alternativen. Ihre Rückzugsgebiete sind gemeinsame Nachmittage mit Musik und pubertäre Gespräche über erste Geschichten mit Jungs. Eine Zeit im Wandel, bei der alte Werte auf moderne Vorstellungen über die Liebe prallen. Die Pflege von Traditionen zeigt sich einerseits in Form von alten Tänzen und melancholischen Liedern, Zeichen einer uralten Kultur - anderseits aber auch als Vorboten des Rückfalls in patriarchale Muster.

Die Jungen stellen den Mädchen ungeniert nach, terrorisieren Eka auf dem Heimweg oder entführen sogar die hübsche Natia mit dem Auto. Von Lado (Data Zakareishvili), einem ihrer Verehrer, bekommt Natia eine Pistole geschenkt. Ein verquerer Liebesbeweis, der sich auf die beschriebene Hilflosigkeit der Mädchen beruft. Natia gibt die Pistole an Eka weiter, und die Möglichkeit des Gebrauchs schwebt nun wie eine drohende und sich selbst erfüllende Prophezeiung über den Beiden. Ein Härtetest, der die Freundschaft der Mädchen belastet, aber auch für ein Umdenken bei Eka sorgt. Während sich Natia fast wie selbstverständlich in ihr vorbestimmtes Schicksal einer Zwangsheirat mit dem Entführer Kote (Zurab Gogaladze) zu fügen scheint, entwickelt die zunächst schüchterne Eka eine trotzige Haltung und den Hunger auf eine andere Zukunft.

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Die langen hellen Tage - (c) Indiz Film

Der georgischen Regisseurin Nana Ekvtimishvili ist zusammen mit ihrem deutschen Partner Simon Groß ein eindrückliches Portrait einer heranwachsenden Jugend in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs gelungen, das zeigt, wie sich Gewalt, Agonie und Gleichgültigkeit auf die Emanzipation junger Menschen und vor allem junger Frauen auswirken. Ein Film, der aber auch Mut auf einen eigenen Kopf machen will. Die starken, poetischen Bilder dazu liefert der rumänische Kameramann Oleg Mutu, der eigentlich für seine streng schwarz/weiße, fast dokumentarische Kameraführung in den Filmen von Cristian Mungiu (4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage oder Jenseits der Hügel) bekannt ist.

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in Berlin in den Kinos: Eiszeit, Krokodil, Brotfabrik (OmU) und den Hackeschen Höfen

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Zuerst veröffentlicht am 24.08.2014 auf Kultura-Extra.

DIE LANGEN HELLEN TAGE (GE/D/F 2013)

Regie: Nana Ekvtimishvili & Simon Groß
Drehbuch: Nana Ekvtimishvili
Produzenten: Simon Groß & Marc Wächter
Kamera: Oleg Mutu (RSC)
Schnitt: Stefan Stabenow
Sound Design: Paata Godziashvili
Produktionsdesign: Konstantine Japharidze
Kostümdesign: Medea Bakradze

Besetzung:
Eka Khizanishvili ... Lika Babluani
Natia Zaridze ... Mariam Bokeria
Kote ... Zurab Gogaladze
Lado ... Data Zakareishvili
Ana, Ekas Mutter ... Ana Nijaradze
Sophiko, Ekas Schwester ... Maiko Ninua
Natias Mutter ... Tamar Bukhnikashvili
Natias Vater ... Temiko Chichinadze
Natela, Natias Großmutter ... Berta Khapava
Gio, Natias Bruder ... Sandro Shanshiashvili
Kotes Mutter ... Endi Dzidzava
Kotes Vater ... Zaza Salia
Kopla ... Giorgi Aladashvili
Koplas Freund ... Gia Shonia
Lehrerin ... Marina Janashia

Dauer: 1 Std. 42 Min.

Kinostart: 21. 8. 2014

Weitere Infos siehe auch: http://dielangenhellentage.wordpress.com/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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