DIE RASSEN von Ferdinand Bruckner

Premierenkritik einer Fassung von Manfred Karge auf der kleinen Bühne des Pavillons am Berliner Ensemble.

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„Jede einem Menschen zugefügte Beleidigung, gleichgültig welcher Rasse er angehört, ist eine Beleidigung der ganzen Menschheit.“ Albert Camus

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http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2013/11/Die-Rassen_BE2-199x300.jpg DIE RASSEN am BE: Nicolai Despot, Marina Senckel - Foto: Barbara Braun

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Dieses Zitat des französischen Schriftstellers und Existentialphilosophen Albert Camus hat das BE an das Ende seines Programmhefts zu Ferdinand Bruckners „Die Rassen“ gesetzt, in dem auch der Text der Spielfassung von Manfred Karge enthalten ist. Bruckner hatte das Stück 1933 unter dem Eindruck der Ereignisse nach den Märzwahlen in Deutschland im Pariser Exil geschrieben. Er erahnte darin fast prophetisch die beginnende Verfolgung und den Rassenhass der deutschen Nationalsozialisten und beschrieb treffend den Taumel, in dem ein ganzes Volk begann, deren Ansichten teilend, diese in die Tat umzusetzen. Nun jährt sich die sogenannte Reichspogromnacht 1938 zum 75. Mal. Zwei Tage zuvor beging man auch den 100. Geburtstag Camus, der in seinem großen, metaphysisch allegorischer Roman „Die Pest“ die Folgen dessen beschrieb, was mit dem Ausbruch der braunen Pest in Deutschland seinen Anfang genommen hatte.

Die Anwendung des heute kaum mehr gebräuchlichen Begriffs der Rasse auf die biologische bzw. anthropologische Klassifizierung von Menschen hat ihren etymologischen Ursprung in den lateinischen bzw. romanischen Worten für Wurzel, Art oder Wesensmerkmal. Deutlich abwertend wurde er wieder ab dem 19. Jahrhundert im Zuge der Kolonisierung weiter Teile Afrikas durch europäische Wissenschaftler benutzt. Die Nationalsozialisten griffen deren Rassentheorien, die sich bereits seit langem als Vorurteile in der deutschen Bevölkerung festgesetzt hatten, dankbar auf, um ihre Blut-und-Boden-Theorien zu untermauern. Das Bild der Juden als verschlagen raffgierige, mindere Sklavenrasse, bekam damit sogar eine wissenschaftlich begründeten Hintergrund, was sich ab 1935 auch in den deutschen Rassegesetzen niederschlug.

In Ferdinand Bruckners Stück ist all das von Anfang an gegenwärtig. Im Gespräch des Studenten Karlanner (Nicolai Despot) mit seinem Kommilitonen Tessow (Stefan Schäfer) werden diese „rassischen“ Vorurteile bereits zu Beginn deutlich vor uns ausgebreitet. Karlanner, der sich bisher mit wenig Ehrgeiz mehr recht und schlecht durch sein Medizinstudium gequält hat, lebt seit zwei Jahren mit der Jüdin Helene (Marina Senckel). Durch ihre Liebe bekommt sein bisher unstetes Leben wieder eine Richtung und er steht kurz vor seiner Promotion beim ebenfalls jüdischen Professor Horowitz. Allerdings lässt sich der willensschwache und von der wechselhaften Politik der Weimarer Republik enttäuschte Karlanner nur zu gern in den nationalistischen Taumel um die Wahlerfolge der NSDAP reißen und trennt sich auf Drängen Tessows von Helene.

Tessow ist der Inbegriff des kleinen Mitläufers. Ohne jegliche eigene Ambitionen gibt er bereitwillig seine Individualität auf, um Teil des großen, völkischen Gedankens zu werden. Karlanner und Tessow schließen sich nach dem Wahlsieg der Nazis den Sturmtrupps um den charismatischen, faschistischen Studentenführer Rosloh (Marko Schmidt) an. In einer Männerrunde im Münchner Brauhauskeller huldigt man Hitler und intoniert nationales Liedgut wie die „Wacht am Rhein“. Bereits ein kleiner Junge wird von seinem SA-Vater (Uli Pleßmann) auf die neue Bewegung eingeschworen. Manfred Karge inszeniert die Bierseligen als kostümierte Stammtischkarikaturen und großes Tableau an der Rampe. Besonderer Regieeinfall ist dabei wohl die Besetzung des „Knaben in braun“ mit dem deutsch-türkischen Jungen Arda Dalci, der unter Blondhaarperücke deutschnationalistische Phrasen repetiert. Trotz allem bleibt Bruckners Text hier aber bedrohlich gegenwärtig.

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DIE RASSEN am BE: Hannes Lindenblatt, Stephan Schäfer, Felix Isenbügel, Marco Schmidt, Detlef Lutz, Nicolai Despot, Thomas Wittmann, Gustav Körner, Michael Kinkel, Uli Pleßmann, Andy Klinger - Foto: Barbara Braun

Dass Karge, der diesmal auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, das Stück in einer Art klaustrophoben Gefängniszelle mit abgeriegelter Tür und Pritsche spielen lässt, tut sein Übriges. Hauptfigur Karlanner bleibt hier die ganze Zeit anwesend. Gefangen gleichsam in den Gedanken und Taten der Bewegung, wie auch in seinen aufkeimenden Zweifeln, die ihn wieder zu Helene treiben. Sich dem Befehl Roslohs, Helene zu verhaften, widersetzend, versucht er schließlich auszubrechen und wird nun selbst zum „Verräter Deutschlands“ gestempelt. „Die Rassen“ des in den 1920er Jahren viel gespielten Dramatikers Bruckner ist eines der eindrücklichsten Zeitstücke über die Gefahren des Faschismus, wie es sonst nur noch Bertolt Brecht mit „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ oder dem „Arturo Ui“ gelang. Beide Stücke befinden sich ebenfalls im Repertoire des Berliner Ensembles.

Deutliche Parallelen zu Bruckners Stück weist auch das Drama „Professor Mamlock“ von Friedrich Wolf auf, das 1934 in Warschau uraufgeführt und 1961 von der DEFA in der Regie von Wolfs Sohns Konrad verfilmt wurde. Der Arzt Mamlock, zu Beginn wie Helenes Vater (Martin Schneider) noch überzeugter, deutschlandtreuer Hindenburg-Wähler, macht hier die gleichen Demütigungen durch, wie der jüdische Student Siegelmann (Winfried Goos) in Bruckners Rassen, und begeht zum Schluss Selbstmord. Bei Bruckner kommt Siegelmann die Rolle des jüdischen Sündenbocks zu. Es sind dies die eindrücklichsten Szenen einer Inszenierung, die sonst dem gewohnt hochtrabenden Sprechduktus des Berliner Ensembles folgend, eher recht altbacken und konventionell daherkommt. Wiewohl das Thema Faschismus und Rassismus doch gerade wieder sehr aktuell ist. Ein Grund mehr, den Weg in den Pavillon des BE zu wagen, um dieses Stück dunkelster, deutscher Geschichte wiederzuentdecken.

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Erstveröffentlichung am 16.11.13 auf livekritik.de

www.blog.theater-nachtgedanken.de

DIE RASSEN von Ferdinand Bruckner

Fassung von Manfred Karge

Mit: Nicolai Despot (Karlanner), Stephan Schäfer (Tessow), Winfried Goos (Siegelmann), Andy Klinger (Rosloh), Martin Schneider (Marx), Marina Senckel (Helene), Marko Schmidt (Der Studentenanführer), Hannes Lindenblatt (Der erste Student), Felix Isenbügel (Der zweite Student), Uli Pleßmann (Der Festredner), Michael Kinkel (Der Professor), Detlef Lutz (Der Dekan), Thomas Wittmann (Der Oberstudienrat) und Arda Dalci / Gustav Körner (Ein Kind)

Regie, Bühnenbild, Kostüme:
Manfred Karge
Musikalische Mitarbeit: Alfons Nowacki
Dramaturgie: Hermann Wündrich
Licht: Steffen Heinke

Dauer: ca. 1h 40 Min (ohne Pause)

Premiere war am 11.11.2013

Infos: http://www.berliner-ensemble.de/repertoire/titel/94/die-rassen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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