Die stillen Trabanten

Theater Armin Petras bringt an den Kammerspielen des Deutschen Theaters sechs traurig-melancholische Kurzgeschichten des Leipziger Autors Clemens Meyer auf die Bühne

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Peter Kurth
Peter Kurth

Foto: Arno Declair

Schon einmal war eine Inszenierung nach Kurzgeschichten des Leipziger Schriftstellers Clemens Meyer im Deutschen Theater Berlin zu Gast. 2010 inszenierte Sascha Hawemann für das Leipziger Centraltheater unter Sebastian Hartmann Meyers ersten Erzählband Die Nacht, die Lichter. Nun hat sich Armin Petras, der mit Als wir träumten ebenfalls schon einen Meyer-Roman inszenierte, den 2017 erschienen zweiten Band mit dem Titel Die Stillen Trabanten vorgenommen und fünf Erzählungen daraus plus eine aus Die Nacht, die Lichter für die Kammerspiele des DT adaptiert.

Clemens Meyers Figuren sind sogenannte Antihelden und kleine Leute aus dem werktätigen Volk, irgendwie aus der Zeit gefallen, in ihren Erinnerungen an früher und verpasste Gelegenheiten. Sehnsuchtsvolle Herzen sinnieren über verpfuschte Leben in einem für Meyer typischen poetisch-melancholisch Stil. Kleine traurige Miniaturen, die aber nicht ohne Witz und Liebe für diese Menschen geschrieben sind. In der von Armin Petras bearbeiteten Bühnenfassung der sechs Erzählungen geht es in Glasscherben im Objekt 95 um einen gealterten Wachmann, der auf immer wieder gleichen und öden Rundgängen die Zeit verstreichen sieht und dann noch mal wie in einem plötzlich auftauchenden Traumbild eine Frau aus einem von ihm vor Jahren bewachten Ausländerwohnheim. In seinen Erinnerungen entsteht diese traurige Geschichte einer kurzen, vergeblichen Liebe, die plötzlich endet, noch bevor sie richtig beginnen konnte.

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Gastschauspieler Peter Kurth, der mit Petras erst am Gorki Theater, dann am Schauspiel Stuttgart war und gerade erst in der TV-Serie Babylon Berlin brillierte, spielt diesen Wachmann zunächst in einer minutenlangen Pantomime, bei der er sich einen Tee kocht, bevor er langsam zu erzählen beginnt. Jahrelang eingeübte Handlungen eines mit seinem Job und einem belgischen Schäferhund mit Hüftleiden gealterten Mannes. Maike Knirsch und Božidar Kocevski sind das Paar in jüngeren Jahren auf der von Olaf Altmann nur mit drehbaren Stellwänden bestückten, ansonsten leeren Bühne. Die Liebe scheitert am Zaudern des Wachmanns, der sich als Beschützer anbietet und dann in einer Nacht, in der die besagten Glasscherben eine Rolle spielen, versagt. Petras löst das neben den kurzen Erzählpassagen in recht freie Spielszenen ohne weitere Requisiten auf, wie auch in den anderen Erzählungen, wobei Tempo und Spielweise bis hin zur offenen Performance immer wieder wechseln.

So auch in der zweiten Geschichte Späte Ankunft in der Anja Schneider und Katrin Wichmann zwei Frauen in den Vierzigern spielen, die auch schon so einiges hinter sich haben. Die Zugreinigungkraft Christa (Katrin Wichmann) und die Frisöse Birgitt (Anja Schneider) treffen sich zufällig spät abends im Bahnhofsrestaurant und erzählen sich aus ihrem Leben. Es entwickelt sich zögerlich eine ganz spezielle Freundschaft zwischen den beiden einsamen Frauen. Es ist eine reine Lust, den beiden Darstellerinnen dabei zuzusehen, wie sie sich langsam lockern und dann schließlich zum Song Lady in Black Uriah Heep abrocken. Begleitet wird der Abend vom exzellenten Live-Gitarristen Miles Perkin.

Der kleine Tod stammt aus dem Erzählband Die Nacht, die Lichter und dient Petras dann kurz vor der Pause eher als lockerer Performance-Warm-up, bei dem das gesamte Ensemble wie in einer Probe immer wieder neue Darstellungsformen ausprobiert, wobei die Geschichte um einen arbeitslosen Mann (Alexander Khuon), der sich kaum noch aufraffen kann zu den sinnlosen immer gleichen Gängen zum Arbeitsamt und den schließlich seine Frau verlässt, etwas im Klamauk untergeht. Peter Kurth sitzt als „Dicke“ im Nachthemd fast reglos auf einem Stuhl, während das Ensemble sich durch das Fernsehprogramm zappt und Božidar Kocevski dazu von einer komischen Rolle in die nächste wechselt. Khuon schwäbelt von einem Kapsel-Kaffeeautomaten und bekommt besagte Kapseln dann an den nackten Hintern geklebt. Petras versucht so die Trostlosigkeit der Geschichte zu konterkarieren.

Nach der Pause, des mit drei Stunden etwas langen Abends, sind dann die Stellwände weg und die Geschichten lösen sich nun auf offener Bühne fast ganz ins Performative auf. Peter Kurth sitzt und steht als Lokführer in der Erzählung Die Erinnerung auf der sich beständig drehenden Bühne und erzählt vom lachenden Mann, der plötzlich auf den Gleisen vor seinem Zug stand und den er kurz als Junge kennenlernte, bis dieser wegzog. Ruhig, poetisch und tieftraurig ist auch die Erzählung Der Spalt, in der eine Großmutter (Anja Schneider) auf ihren Enkel, der als Soldat im Ausland starb, wartet und ihn in dem umherstreunenden jungen Mann, der durch den Spalt in Tür in ihre Wohnung kommt, glaubt wiederzuerkennen. Bleischwer liegt hier der beständig wabernde Bühnennebel über der Szene, in der der Tote als Puppe ständig anwesend ist.

Wieder als szenische Improvisation kommt die letzte titelgebende Erzählung Die Stillen Trabanten daher. Gemeint sind hier natürlich nicht nur um die Erde kreisende Himmelskörper, sondern die Bewohner sogenannter Trabantenstädte, die sich kurz treffen und wieder verlieren. Wie ein Imbissbudenbesitzer (Peter Kurth), der in die kopftuchtragende Frau (Maike Knirsch) seines muslimischen Freunds (Božidar Kocevski) verliebt ist. Petras inszeniert das fast wie eine etwas variantenreichere Wiederholung des melancholischen Anfangs. Nicht immer trifft der Regisseur damit den poetischen Ton des Autors, entwickelt aber über den Abend eine eigene, atmosphärische Poesie.

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Zuerst erschienen am 26.11.2018 auf Kultura-Extra.

DIE STILLEN TRABANTEN (Kammerspiele, 25.11.2018)
Regie: Armin Petras
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Patricia Talacko
Musik: Miles Perkin
Choreografie: Denis Kooné Kuhnert
Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Alexander Khuon, Maike Knirsch, Božidar Kocevski, Peter Kurth, Anja Schneider und Katrin Wichmann
Uraufführung am Deutschen Theater Berlin: 11. November 2018
Weitere Termine: 29.11. / 03., 22., 29.12.2018

Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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