Dimiter Gotscheff (26.04.1943 - 20.10.2013)

Nachruf auf einen einzigartigen Theaterregisseur

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„Wen reißt ein gelungener Endreim vom Barhocker / Das letzte Abenteuer ist der Tod / Ich werde wiederkommen außer mir / ein Tag im Oktober im Regensturz“

Heiner Müller, aus: Notiz 409 (Okt. 1995)

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Manchmal sieht man ja den Wald vor lauter Bäumen nicht. „Was für ein Wald, Du Idiot? Wald ist im Kopf.“ soll der Theaterregisseur Dimiter Gotscheff einem Schauspieler in der Probe zu Tschechows Iwanow an der Berliner Volksbühne zugerufen haben.

So ähnlich musste es dem damals jungen Studenten der Veterinärmedizin wohl selbst gegangen sein, als er 1964 bei der Lektüre von Heiner Müllers Philoktet auf der Schönhauser Allee gegen einen Baum rannte. Eine Initialzündung. Der deutsche Dramatiker Müller ging dem Bulgaren Gotscheff seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Er wechselte ins Theaterfach („Immerhin ist der Mensch das Tier, das am besten schauspielern kann“) und wurde Regisseur.

Aber noch ein anderer Körperteil spielt in der Regiearbeit von Gotscheff eine große Rolle. Er nannte sich selbst einen Bauchmenschen. Es war wohl ein untrügliches Bauchgefühl, was ihn zuerst an einen Text glauben ließ. Auch Heiner Müller sprach beim Verstehen von Theatertexten nicht in Versen, sondern von Fersen. Da reagieren die Gedärme eher als das Hirn.

Dimiter Gotscheff wurde 1943 als Sohn eines Tierarztes im südbulgarischen Parwomaj geboren. Dort holte man das Wasser noch täglich aus dem Fluss Marica (griech. Evros, lat. Hebros), in dem der singende Kopf des von den dionysischen Mänaden zerrissen griechischen Dichters Orpheus samt Lyra ins Ägäische Meer geschwommen sein soll. Noch unbewusst saugte er das Theater sozusagen als Kind mit dem Bade ein.

Mit seinem Vater siedelte Gotscheff 1962 in die DDR über. Er verließ sie 1979 wieder, um die Worte Müllers, Büchners und Hölderlins nach Bulgarien zu tragen. Bekannt wurde er schließlich 1983 mit einer Inszenierung von Heiner Müllers Philoktet in Sofia. Über die Umwege Köln, Düsseldorf, Hannover und Bochum kam Gotscheff schließlich 2000 wieder zurück nach Berlin. Hier begann er am Deutschen Theater und an der Volksbühne seine Karriere als Nachlassverwalter der Texte Heiner Müllers. Was ihn auch ans Thalia Theater Hamburg und Residenztheater München führte.

Wie ein Dauerarbeiter im Müllersteinbruch stand der Regisseur selbst als Hamlet in einer Inszenierung der Hamletmaschine auf der Bühne des DT und quälte sich an der Volksbühne gemeinsam mit Samuel Finzi und Sepp Bierbichler saufend und fluchend wiedermal durch den Philoktet. In Kritikerkreisen trug Gotscheff das schnell den Titel der einzigen rechtmäßigen Witwe des Schriftstellers Heiner Müller ein. Was ihm mit seiner großen Fähigkeit zur Selbstironie eher Antrieb als Last war. Müllers Texte besaßen für Gotscheff immer noch Gültigkeit. „Eine Sprache, die man einatmet und die einem in den Poren kleben bleibt.“ Seine grandiosen Schauspieler füllten damit immer wieder den leeren Theaterraum. Der Mund wird zum Fleisch, das reden will - sagte Gotscheff in Abwandlung von Müller.

Aber nicht nur Heiner Müller beschäftigte Dimiter Gotscheff. Auch mit Stücken von Shakespeare, Molière, Tschechow, Handke oder Horvath feierte er Erfolge. Wie gerne hätte man letztens Samuel Finzi als Don Juan kommt aus dem Krieg in einer Regie von Dimiter Gotscheff gesehen. Und mit den Werken von Sophokles und Aischylos, natürlich in Übersetzungen von Bertolt Brecht und Heiner Müller, war er wieder bei den Anfängen des Theaters angekommen. 2006 erhielt Gotscheff fürden Iwanow den 3sat-Preis des Theatertreffens und wurde 2007 er für seine legendären Perser am DT zum Regisseur des Jahres gewählt. Gerne hätte er auch noch Dantons Tod von Büchner inszeniert. Was bleibt, ist seine Inszenierung von Müllers gewaltigem Revolutionsdrama Zement am Münchner Residenztheater.

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2013/10/Dimiter-Gotscheff.-Dunkel-das-uns-blendet-225x300.jpg Cover des im Juni 2013 erschienenen „Arbeitsbuch 22" von Theater der Zeit über Dimiter Gotscheff - (C) TdZ


Ein Baum spielt auch in Samuel Becketts Warten auf Godot eine wichtige Rolle. Kaum ein Bühnenbild ohne ihn. So ist es verfügt. Unter ihm versammeln sich seither all die Wartenden. Dimiter Gotscheff wollte das Stück im Mai 2014 am Deutschen Theater Berlin inszenieren. Wir hatten uns schon auf Samuel Finzi und Wolfram Koch als Wladimir und Estragon gefreut. Und allen Erben zum Trotz vielleicht auf Almut Zilcher und Margit Bendokat in zwei grandiosen Hosenrollen als Lucky und Pozzo. Alles vergebens?

Er könne sich nur noch einen Strick nehmen, ohne das Gefühl für die Utopie - hatte Dimiter Gotscheff in einem Interview zu seinem 70sten Geburtstag im TdZ-Sonderheft Dimiter Gotscheff. Dunkel das uns blendet gesagt. „Ohne Utopie kann ich diesen Schauspielern gar nicht begegnen.“ Hier glaubte einer noch an die Müllerworte vom wieder gehörten Schweigen des Theaters, das der Grund seiner Sprache ist. Was wird nun aus der grandiosen Gotscheff-Familie ohne ihren Erzeuger?

In der Nacht zum Sonntag ist der Theaterregisseur Dimiter Gotscheff nach kurzer Krankheit in Berlin gestorben. Wir gehen nicht von der Stelle und werden weiter warten.

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Der Text ist am 20.10.13 zuerst auf Kultura-Extra erschienen.

blog.theater-nachtgedanken.de

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Theater der Zeit: Dimiter Gotscheff. Dunkel das uns blendet. (Herausgegeben von Dorte Lena Eilers, Klaus Caesar und Harald Müller) Arbeitsbuch 22 von
Theater der Zeit
, Berlin 2013. 186 Seiten, 18 Euro

Inklusive Film-DVD „Homo ludens“ – Das Gotscheff-Porträt von Ivan Panteleev

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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