Don Juan

Theater Frank Castorf inszeniert Molièrs Frauenhelden am Münchner Residenztheater als selbstironischen Abgesang auf die guten, alten Zeiten

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Sechs Jahre ist es mittlerweile her, dass an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz eine Molière-Trilogie herauskam. Neben dem damaligen Hausherrn Frank Castorf, der sich die Komödie Der Geizige vornahm, reüssierte Schauspieler Martin Wuttke mit Der eingebildete Kranke als Regisseur, wobei er selbst auch gleich die Hauptrolle übernahm. René Pollesch machte mit Wuttke dann das Trio voll und brachte Molièrs Don Juan auf die Bühne. In der Post-Volksbühnen-Ära hat sich nun Frank Castorf im Münchner Residenztheater den spanischen Casanova und weltberühmten Womanizer vorgenommen. Leider kann er damit nicht wirklich an seine alten Volksbühnenzeiten anknüpfen.

Boys are back in Town


Zwar löst sich Castorf wie gewohnt vom Stoff, bleibt aber vor allem in den Kostümen doch weitestgehend im historischen Kontext. Den Titelpart des Don Juan teilen sich die Schauspieler Franz Pätzold und Aurel Manthei - nicht unbedingt ein Duo Infernale, aber doch ein diabolisches Doppelpack, halb jugendlicher Draufgänger, halb gelangweilter Zyniker. Im Halbdunkel einer kleinen Theaterbühne, die einen Teil des sich wieder beständig drehenden Bühnenbaus von Aleksandar Denić bildet, schmieden diese beiden bad „Boys (are back in Town)“ ihre Pläne, bis die von Don Juan verlassene Ehefrau Donna Elvira auftaucht und ihr Leid klagt. Bibiana Beglau gibt sie ebenfalls im barocken Fummel. Die beiden Kavaliere spielen ihr dann in Masken und Kostümen der Commedia dell'arte recht übel mit, eine willenlose Puppe, krumm hingestellt und in die nackte Brust gekniffen.

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Im Vorfeld zur Premiere im Juni machte ein Interview, das Frank Castorf der Süddeutschen Zeitung gegeben hatte, die große Runde. Castorf, der alternde Theaterpatriarch und Dauer-Provokateur, verglich im großspurigen Plauderton die Arbeit von Regiefrauen mit der Güte von Frauenfußball und wurde anschließend als alter Sack und unverbesserlicher Sexist wie die sprichwörtliche Sau durchs Feuilleton-Dorf getrieben. Man kann Castorfs laxe Art auch als Unwillen, sich dem allgemeinen Meinungsmainstream zu beugen, ansehen - ein Gutteil Starrsinn mag ebenfalls dabei gewesen sein - aber auch als Werbung für den gesellschaftlich unangepassten Titelhelden seiner Inszenierung.

Von alldem ist der Inszenierung herzlich wenig anzusehen. Sie verliert sich vor der Pause der mit 4:15 Stunden ungewöhnlich kurzen Aufführung zunehmend in einem düsteren Gelage von dekadenten, mit Pestbeulen befallenen Adligen (aus Puschkins Gelage während der Pest), die sich in Selbstmitleid und Langeweile suhlen. Die Sehnsucht nach Lust und Abenteuern wird mit Völlerei bekämpft, als Zeitvertreib bis zum nahen Tod. Bibiana Beglau bringt dazu den passenden Fremdtext von Blaise Pascal über die Sucht nach Zerstreuung. Ein wenig Schweinkram gibt’s von Georges Bataille oben drauf. All das erinnert auch an die als Memento Mori angelegte Moliére-Trilogie an der Volksbühne.

So dreht sich das Bühnen-Karussell gewohnt routiniert, dürfen sich die Männer, respektive beide Don Juans, nackt dem Publikum präsentieren und ihr bestes Teil schwingen, wobei der Soundtrack (mit viel David Lynch) von Rock über Blues bis coolen Jazz changiert. Als Buffo-Teil spielen Marcel Heuperman als Pierrot und Nora Buzalka als Charlotte das berlinernde Bauernpaar im Ziegenstall mit echten Tieren und viel Theaterkotze und -scheiße, in der sich ausgiebig lüstern gesuhlt wird. Anschließend geht's zum flotten Dreier in den großen hölzernen Badezuber. Heupermann gibt nicht nur den hitzig eifersüchtigen Bauerntrottel, dem von Don Juan die Verlobte ausgespannt wird, sondern nach der Pause auch noch dessen Diener Sganarelle, der ihn auf der Flucht vor der Rache der Brüder Donna Elviras bis nach Madrid begleitet. Ein Sündenbabel, das sich als Treff vor einer 24-Stunden-Open-Bar entpuppt. Hier lungern übernächtigte Liebeshungrige, die sich in Zynismus ergehen und einem gläubigen Bettler bei einer Pest-Prozession einen Louisdor für das Fluchen auf Gott anbieten.

Der Hedonist und ewige Narziss - zweimal „Ich“ steht an den Säulen des Bühnenportals - glaubt hier an nichts mehr. Auch seinem gottesfürchtigen Vater, Don Louis (Jürgen Stössinger), der ihn an die Verpflichtungen des Adels erinnert, heuchelt er nur etwa vor. Viel ist von Verrat und Vergeltung für die von Don Juan begangenen Verbrechen die Rede. Das Grabmal des von ihm ermordeten Komturs geht hier als Hochperücke tragende Bibiana Beglau über die Bühne. Farah O'Bryant gibt mit weißem Flügelpaar den schwarzen Engel der Verzweiflung. Frank Castorf verzichtet auch in Molièrs barockem Spanien nicht auf Heiner Müllers Der Auftrag. Doch nie wirkten die Passagen um Debuisson, den Sohn weißer Sklavenhalter, der vom süßen Verrat überwältigt wird, so bemüht.

Auf der Videoleinwand überschneiden sich die Bilder aus dem Inneren des Bühnenbaus mit Szenen des jugendlicher Marcello Mastroianni aus Fellinis Film La dolce vita. In Fellinis Stadt der Frauen hat man Henry Hübchen einst als dessen Alter Ego an der Volksbühne gesehen. Eine schwache Reminiszenz an alte Tage. Davon ist diese zuweilen doch etwas zähe Inszenierung jedoch weit entfernt. Wo sind die guten alten Zeiten hin, oder sind sie nun gottlob endgültig passé? Den Don Juan holt hier am Ende der Geist des alten Komturs in der Gestalt von Jürgen Stössinger im silbern glitzernden Leichenhemd. Zurück bleibt die schlechte Don-Juan-Kopie Sganarelle, und Jay Jay Johanson singt soft vom Band: „So tell the Girls that I am back in Town“. Ein selbstironischer Abgesang, der hoffentlich noch nicht das Ende des Regisseurs Frank Castorf bedeutet.

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Zuerst erschienen am 15.07.2018 auf Kultura-Extra.

Don Juan (Residenztheater, 13.07.2018)
von Molière
Deutsch von Hartmut Stenzel
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Soundtrack: William Minke
Licht: Gerrit Jurda
Video + Live-Schnitt: Marie-Lena Eissing
Live-Kamera: Josef Motzet + Jaromir Zezula
Dramaturgie: Angela Obst
Besetzung:
Bibiana Beglau als Elvira
Nora Buzalka als Charlotte
Julien Feuillet als La Ramée
Marcel Heuperman als Pierrot
Aurel Manthei als Don Juan
Farah O'Bryant als Mathurine
Franz Pätzold als Don Juan
Jürgen Stössinger als Don Louis
Die Premiere war am 29. Juni 2018 im Residenztheater
Vorstellungsdauer ca. 4 Std. 15 Min., eine Pause
Termine: 18. Juli 2018

Infos: https://www.residenztheater.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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