EISLER ON THE BEACH

Premierenkritik Jürgen Kuttner und Tom Kühnel inszenieren am Deutschen Theater eine kommunistische Familienaufstellung zwischen Film Noir und Beachparty mit revolutionärer Surfmusik

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Jürgen Kuttner und Tom Kühnel haben seit ihrem Antritt am Deutschen Theater Berlin schon einige dramatische Geschichtsbetrachtungen vorgenommen. Sie inszenierten dabei Stoffe quer durch den bunten Reigen der Weltanschauungen. So etwa das Theaterstück Die Sorgen und die Macht vom kommunistischen Dichter Peter Hacks und Capitalista, Baby! nach dem Roman The Fountain Head von der marktliberalen, US-amerikanischen Autorin Ayn Rand. Das Regie-Duo Kuttner/Kühnel erstellte auch mehr oder weniger pointierte Psychogramme der russischen Zarenfamilie kurz vor dem Ersten Weltkrieg (Agonie) oder der frühen und späteren SPD um Willy Brandt (Tabula rasa, Demokratie).

In ihrem neuen Streich Eisler on the Beach geht es wieder um eine typische Tragödie der Linken, bei der sich zu Beginn des Kalten Krieges die Brüche zwischen den sich feindlich gegenüberstehenden Gesellschaftssystemen mitten durch eine Familie ziehen. Es handelt sich dabei um die Familie des berühmten Komponisten Hanns Eisler - bekannt vor allem durch seine Arbeit mit Bertolt Brecht und als Komponist der DDR-Nationalhymne. Charly Chaplin verglich die verwandtschaftlichen Beziehungen der Geschwister Elfriede, die sich später Ruth Fischer nannte, Gerhart und Hanns Eisler sogar mit einem Shakespeare‘schen Königsdrama. Waren die drei vor dem Zweiten Weltkrieg in Österreich und Deutschland noch innig vereint im kommunistischen und antifaschistischen Kampf, standen sie sich spätestens im amerikanischen Exil bei den Anhörungen vor dem sogenannten McCarthy-Ausschuss feindlich gegenüber. Als Königsmörderin fungierte hierbei die Schwester Ruth Fischer, die besonders ihrem Bruder Gerhard kommunistischer Spionage für den sowjetischen Geheimdienst und terroristischer Aktivitäten im Auftrag Stalins wie etwa dem Mord an ihrem Mann Arkadi Maslow bezichtigte. In diesen Strudel aus antikommunistischer Paranoia und Denunziation geriet auch Hanns Eisler, der zeitlebens engen Kontakt zu seinem Bruder pflegte.

Für weitere Einzelheiten und Zusammenhänge möge man bitte die einschlägigen Eisler-Biografien bemühen. Zumindest also, so möchte man meinen, ein spannendes Familienpsychogramm mit historischem Hintergrund und somit sicher ein gefundenes theatralisches Fressen für den eloquenten Videoschnipsler Jürgen Kuttner. Wie angekündigt beginnt der Abend unterm hohen mit „OCEAN“ überschriebenen Bühnenportal dann auch im Stile einer psychologischen Familienaufstellung, bei der Kuttner lässig im Hawaii-Hemd den älteren Geschwistern (Simone von Zglinicki als Ruth Fischer, Jörg Pose als Gerhart und Michael Schweighöfer als Hanns Eisler) aus der Exilzeit ihre Pendants aus jüngeren Jahren (dito Maren Eggert, Daniel Hoeves und Ole Lagerpusch) gegenüberstellt.

Der Text, den die Schauspieler dabei sprechen, ist aus den zahlreichen Anhörungsprotokollen vor dem Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten entnommen, und wird hier, da doch meist recht trocken, in arrangierten Spielszenen anstatt wie vor einem Tribunal dargestellt. Nur zwei Seitenlogen, in denen die Live-Musiker des Abends sitzen, erinnern an die historische Situation vor dem McCarthy-Ausschuss. Zuweilen fühlt man sich aber wie in einem ästhetischen Ableger zwischen Frank Castorf und Katie Mitchel. Ständig fährt eine Videoleinwand herunter und zeigt die Protagonisten auf der nicht einsehbaren Drehbühne hinter dem Portal in verschiedenen Settings (Bühne: Jo Schramm). Die Bilder werden live gefilmt und stellen fast ausschließlich bekannte Gemälde des US-amerikanischen Malers Edward Hopper nach. Hopper porträtierte die Gesellschaft in den USA der 1930er bis 50er Jahre in melancholisch erstarrten Großstadtstilleben oder sonnenlichtdurchfluteten Seelandschaften.

Dieser bewussten Stimmung versuchen Kuttner und Kühnel mit ironisch gebrochenem Plauderton zu begegnen. Das sorgt für einige komische Momente und Lacher im Publikum. So etwa, wenn im American-Diner-Setting von Hoppers Nighthawks dem „Marx der Musik“ (treffend mit Rauschebart: Michael Schweighöfer) ein Zugeständnis seiner kommunistischen Tätigkeit entlockt werden soll, oder eine Befragung zur Bewerbung Hanns Eislers für die KPD auf dem Bett des Gemäldes Morning Sun von Maren Eggert und Ole Lagerpusch wie eine komplizierte Liebesszene gespielt wird.

Der kommunistische Funktionär Gerhart Eisler hat es mit seinen Aktivitäten in den USA sogar in einen Film Noir geschafft, der hier kurz an- und dann im Originalton von den DarstellerInnen auf der Bühne weitergespielt wird. I Was a Communist for the FBI ist ein patriotischer Spionageschinken von Gordon Douglas aus dem Jahr 1951 über den in Pittsburgh in eine örtliche kommunistische Parteizelle eingeschleusten FBI-Agenten Matt Cvetic. Die ausgewählten Szenen zeigen die Kommunisten vor allem als Rassisten und Antisemiten. Ein paar Ausschnitte aus Filmen, zu denen Hanns Eisler in Hollywood die Musik geschrieben hat, wären da vielleicht eine schöne Ergänzung gewesen.

Eigentlicher Star dieses zwiespältigen Abends ist die Musik Hanns Eislers, die von der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot in zeitgemäßen GI-Uniformen neu arrangiert wurde. So sind einige feine Kleinode zu hören, wie etwa die Ballade vom Sprengen des Gartens, aber auch Bekannteres von Bertolt Brecht wie das Lob des Revolutionärs oder Lob des Kommunismus. Vor allem sind es jedoch Eislers Ernste Gesänge mit Texten von Stephan Hermlin, Friedrich Hölderlin, Giàcomo Leopardi, Helmut Richter und Berthold Viertel über die Traurigkeit, die wechselnd von den SchauspielerInnen aus den Spielsituationen heraus vorgetragen werden. Das zunächst Kämpferische geht immer mehr ins Melancholisch-Tragische über. Eisler hat in den Liedern die doch recht schwierige und mitunter einsame Exilzeit kreativ verarbeitet - gegen die aufkommende Langeweile, wie es mal so schön im Stück heißt. Passend dazu auch Peter Altenbergs Und endlich stirbt die Sehnsucht doch oder Brechts Und ich werde nicht mehr sehen.

Aufgelockert wird der Abend durch so schräge Szenen wie ein Interview mit Eisler zu den verwendeten Texten von Hölderlin (Komm! ins Offene, Freund!) und Helmut Richter (XX. Parteitag), bei dem der unnachahmliche Originalton Eislers mit seiner wunderbar österreichischer Färbung eingespielt und das parallel von Ole Lagerpusch pantomimisch nachgestellt wird. Das gehört unbestritten zu den witzigeren Momenten dieser Inszenierung.

Ansonsten ist das ein doch fast durchweg melancholischer, bisweilen sogar resignativer Abend, der für Kutter/Kühnel erstaunlich distanziert und ohne großen Erkenntnisgewinn für den Zuschauer bleibt. Sieht man mal davon ab, dass der stalinistische Terror wie auch die antikommunistische Verfolgung auf beiden Seiten ihre Opfer verlangten und sich dabei verheerend bis in familiäre Beziehungen drängten. Es bleibt eine gewisse Sprachlosigkeit und Schwere zurück gegenüber den sonst so ausufernden, reflexiven Abenden, die das Regie-Duo bisher abgeliefert hat. Oder um es mit Heiner Müller zu sagen: „… Lektüre für Dichter / Denen die Geschichte eine Last ist / Unerträglich ohne den Tanz der Vokale / Auf den Gräbern gegen die Schwerkraft der Toten“. Und so klingt auch am Ende das Eisler-Medley auf offener Drehbühne fast wie ein postrevolutionäres Requiem.

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Zuerst erschienen am 13.11.2015 auf Kultura-Extra.

EISLER ON THE BEACH

Eine kommunistische Familienaufstellung mit Musik

Regie: Tom Kühnel, Jürgen Kuttner

Bühne: Jo Schramm

Kostüme: Daniela Selig

Musik: Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot

Dramaturgie: Claus Caesar

Mit: Maren Eggert, Daniel Hoevels, Jürgen Kuttner, Ole Lagerpusch, Jörg Pose, Michael Schweighöfer, Simone von Zglinicki

Live-Musik: Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot

Live-Video: Marlene Blumert

Termine: 13. und 28.11. sowie 05., 13., 22. und 26.12.2015

Infos: https://www.deutschestheater.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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