El Dschihad

Premierenkritik Ein kleines Dokutheaterstück im Ballhaus Naunynstraße versucht die historische Verstrickung Deutschlands in den islamistischen Terror zu hinterleuchten

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Deutschland und der islamische Dschihad - dass sich diese gemeinsame Geschichte weiter zurückverfolgen lässt als bis zum 11. September 2001 (da mehrere muslimische Attentäter, von denen einige zuvor in Hamburg studiert hatten, zwei Passagierflugzeuge ins New Yorker World-Trade-Center lenkten), ist sicher nicht jedem bekannt. Diese Tatsache und wie sich Menschen zu solchen Taten radikalisieren lassen, hat die 1962 in Beirut geborene Theaterregisseurin Claudia Basrawi interessiert. In der von ihr verantworteten Eröffnungsinszenierung der neuen Spielzeit im Ballhaus Naunynstraße mit Namen El Dschihad versucht sie anhand von geführten Interviews und jeder Menge Recherchearbeit zum Thema diese Zusammenhänge aufzudecken und künstlerisch zu verarbeiten. Ihre Motivation, wie die Regisseurin zu Beginn erklärt, zieht sie aus ihrer familiären Nähe zu den heutigen Brennpunkten des sogenannten Islamischen Staats (IS) in Syrien und dem Irak. Ihre Eltern stammen aus Bagdad, geboren wurde Claudia Basrawi in Beirut. In Damaskus lebte sie einige Jahre, die sie heute noch als die schönste Zeit in ihrem Leben bezeichnet. Nach dem Beginn des Bürgerkriegs 2011 in Syrien kam sie wieder nach Deutschland, ein Schicksal, dass sie aktuell mit den meisten ebenfalls nach Deutschland drängenden Flüchtlingen teilt. In der sich momentan dadurch verändernden geopolitischen Lage der Welt spielt Deutschland ihrer Meinung nach eine große Rolle.

El Dschihad heißt auch eine im Ersten Weltkrieg in Deutschland in mehreren Sprachen von der Nachrichtenstelle für den Orient (NfO) herausgebrachte „Zeitung für mohammedanische Kriegsgefangene“, die in der Nähe von Berlin im brandenburgischen Wünsdorf bei Zossen interniert waren. An diesem als „Halbmondlager“ bezeichneten Ort wurden die aus dem Nahen Osten, Nordafrika, Russland und Indien stammenden Muslime von der deutsche Propagandaeinrichtung des NfO auf den Kampf gegen die Besatzer ihrer Länder wie Frankreich und England (bekanntlich Gegner des Deutschen Reichs) vorbereitet. Sogar ein deutscher Diplomat und Orientalist zog ab 1914 im Auftrag von Kaiser Wilhelm II durch den Nahen und Mittleren Osten. Max von Oppenheim - wir hören später in einem Video der Inszenierung aus seinen Berichten - sollte die Muslime der Region zu Sabotageakten und Attentaten aufstacheln. Dazu wurden vor allem die Religionslehren des Islams ausgenutzt, die den Dschihad mehr oder weniger als religiöse Pflicht vorschreiben. Allerdings gibt es da natürlich auch sehr viel Interpretationsspielraum.

Eigentlich bedeutet Dschihad nicht nur wie allgemein bekannt „Heiliger Krieg“, sondern wörtlich übersetzt Bemühung oder Anstrengung, wie wir erfahren. Also eine doch etwas positivere Konnotation, wenn man beiseitelässt, welche Gräueltaten heute von islamistischen Terroristen im Namen des Dschihad begangen werden. Insbesondere ist damit natürlich der IS in Syrien und im Irak gemeint. Zur allgemeinen Stimmungslage in Bezug auf die Radikalisierung von Muslimen in Deutschland für diesen Kampf haben die Regisseurin und ihr Team Interviewmaterial auf der Straße gesammelt und mit einen Imam befragt. Mit Hilfe von vier weiteren DarstellerInnen (Elmira Bahrami, Erdinç Güler, Mario Mentru und Rahel Savoldelli) werden die Ergebnisse nun teils erzählerisch, teils spielerisch auf der Bühne des Ballhaus Naunynstraße präsentiert. Dazu sprechen die AkteurInnen abwechselnd in einen umgekehrten Trichter, oder führen auch kleine Szenen hinter einem Gazevorhang auf, was wiederum auf eine Videoleinwand übertragen wird. Der Imam macht vor allem die vorherrschende Stigmatisierung des Islam, die fehlende Bildung und das Internet für die voranschreitende Radikalisierung unter den Jugendlichen verantwortlich. Besonders im Gefängnis wären die jungen Muslime auf der Suche nach Anschluss und charismatischen Persönlichkeiten anfällig für deren Ideologien.

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El Dschihad im Ballhaus Naunynstraße - Foto © Lena Obst



Claudia Basrawi hat eine Art Dokutheater geschaffen, das sich in einigen Momenten ausnimmt wie die allbekannten Faktenbombardements von Hans-Werner Kroesinger, dann aber anscheinend doch nicht ganz seinen Quellen vertraut und sie weitestgehend anonymisiert als Herr S oder Frau K auftreten lässt. So stehen hier recherchierte Fakten neben den Meinungen und Aussagen von Passanten und einer sogenannten Nahostpolitikexpertin oder einem linken Militärhistoriker, der über die gezielte Aufrüstung der Dschihadisten durch die internationalen Großmächte berichtet. Wie etwa durch die USA, die ab Ende der 1970er Jahre die Mudschaheddin in Afghanistan im Kampf gegen die damalige Sowjetunion mit Waffenlieferungen unterstützen. Es geht um Einflussnahme und Kontrolle der Öl- und Gasvorräte im Nahen Osten, wie wir hören. Im Krieg wird von allen Seiten für die mediale Manipulation und gezielte Propaganda immer noch viel Geld aufgewendet. Ein Szenario, das sich seit dem Ende des Kalten Krieges wohl kaum verändert hat. Die momentane Lage in Syrien und dem Irak sind weitere Beweise dafür.

Schließlich hören wir noch einen deutschen Archäologen, der die Überreste einer 1915 für die muslimischen Kriegsgefangenen in Wünsdorf erbauten Moschee ausgraben soll. Der sehr überzeugend wirkende Erdinç Güler schreitet hier die Fläche der Bühne im Ballhaus wie eine imaginäre Grabungsstätte ab, telefoniert zwischendurch, gibt Anweisungen und erzählt nebenbei aus der Geschichte des Ortes. Er ist in Zeitdruck, denn die Bagger stehen schon bereit für den Bau eines Aufnahmelagers für Flüchtlinge aus Syrien. So schließt sich der Kreis aus der Vergangenheit im Hier und Jetzt. Im Video wandeln die DarstellerInnen in historischen Kostümen auf einem muslimischen Friedhof in Wünsdorf wie die Geister der Verstorbenen, denen sie auch kurzzeitig ihre Stimmen leihen. Das ist zweifellos sehr interessant erzählt, wirkt künstlerisch aber auch recht bemüht. Es bedarf sicher einiges mehr, wie etwa die vom Leiter des Ballhaus Naunynstraße Wagner Carvalho anschließend angekündigten Podiumsdiskussionen, um die Dimensionen dieses Themas ausreichend zu beleuchten. Der knapp 90 Minuten währende Abend kann sie nur vage umreißen.

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Zuerst erschienen am 02.09.2015 auf Kultura-Extra.

EL DSCHIHAD
von Claudia Basrawi und Team
Regie: Claudia Basrawi
Konzeptionelle Mitarbeit: Samuel Schwarz
Bühne, Kostüm und Video: Rebecca Riedel, Patricia Talacko
Musik: Gina D’Orio
Dramaturgie: Azar Mortazavi, Katja Wenzel
Mit: Elmira Bahrami, Claudia Basrawi, Erdinç Güler, Mario Mentrup, Rahel Savoldelli
Uraufführung im Ballhaus Naunynstraße am 1.9.2015
Termine: 4.-5.9. / 7.-8.9.15

Infos: http://www.ballhausnaunynstrasse.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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