FEINDE, die Geschichte einer Liebe

Premierenkritik Am Maxim Gorki Theater inszeniert Yael Ronen eine Bühnenadaption des jiddischen Flüchtlingsromans von Isaac B. Singer

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FEINDE, die Geschichte einer Liebe

Foto: Ute Langkafel MAIFOTO

Der 1935 in die USA emigrierte jüdische Schriftsteller Isaac B. Singer, erster Nobelpreisträger für Literatur, der in jiddischer Sprache schrieb, beschreibt in seinem Roman Feinde - die Geschichte einer Liebe das Leben von vier Personen nach dem Zweiten Weltkrieg in New York, deren Erlebnisse während des Holocaust sie auf immer schicksalhaft miteinander verkettet haben. Yael Ronen, die junge jüdische Hausregisseurin am Maxim Gorki Theater, sonst eher bekannt für ihre politischen Recherchestücke, hat diesen Flüchtlingsroman nun für die Bühne adaptiert.

„Der Jude hat nie verächtlich auf den Fahnenflüchtigen herabgeblickt, der sich in einem Keller oder dem Dachboden verkroch, während draußen in den Straßen Armeen aufeinanderprallten.“ heißt es in Singers Roman. Herman Broder, ein Shoa-Überlebender aus Polen, hat dieses Prinzip verinnerlicht. Im Gegensatz zu seiner Familie hat es ihm das Leben gerettet, aber auch einen großen, lebenslangen Schuldkomplex eingetragen. Von Yadwiga, der polnischen Dienstmagd seiner Eltern drei Jahre lang auf dem Dachboden versteckt, versucht Herman sich auch nach dem Krieg in New York vor dem wirklichen Leben zu verstecken. In Yael Ronens Inszenierung kriecht Aleksandar Radenkovic als Herman Broder zu Beginn aus einer Luke am Boden und flüchtet sich während der zweistündigen Aufführung öfter auf eine hohe Metallbrücke über dem Bühnenportal.

Herman steht zudem zwischen drei Frauen. Yadwiga (Orit Nahmias), die er aus Dankbarkeit geheiratet hat, ist ein etwas einfach gestricktes Bauernmädchen, das weder lesen noch schreiben kann und ihm bedingungslos ergeben ist. Abwechslung sucht Herman bei Mascha (Lea Draeger), einer genauso hoch erotischen wie neurotischen Frau, die er in einem jüdischen Auffanglager kennen gelernt hat. Mit ihr hat er schnellen Sex auf dem Küchentisch, wird aber auch von ihren ständigen Eifersuchtsattacken geplagt. Ganz verzwickt wird die Lage, als seine totgeglaubte Ehefrau Tamara (Çizdem Tekes) plötzlich wie ein Geist oder jüdischer Dibbuk in New York auftaucht. Auch von ihr kann sich Herman wegen ihrer beider Vergangenheit nicht trennen. Er wird zum Trigamist wider Willen, ein albtraumgeplagter Wandler zwischen dem Hier und jetzt der New Yorker Gegenwart und den Schatten der Vergangenheit.

Dazu kommt, dass alle Figuren mehr oder weniger durch ihre Erlebnisse während des Krieges traumatisiert und lebensunfähig sind. All das setzt Yael Ronen nun ganz geschickt um, in dem alle vier Figuren auf verschiedenen Podestebenen auf der Bühne immer gleichzeitig anwesend sind und Herman, verfolgt von per Video eingeblendeten Schatten und Negativaufnahmen, zwischen den Frauen ständig hin und her hetzen muss. Singer hat Herman noch einen identitäts- und namenlosen Job als Ghostwriter für den New Yorker Rabbi Milton Lambert gegeben, den er als Vorwand nutzt, um sich immer wieder für Stunden oder Tage zu Mascha oder Tamara zu flüchten. Ständig klingelt ein Telefon wie eine Lagersirene und schreckt Herman aus seinem aus Ausflüchten und Lügen zusammengehaltenen Lebensgebilde.

In seiner Dankesrede zum Nobelpreis sagte Isaac B. Singer: „Gespenster lieben Jiddisch, und soviel ich weiß, sprechen sie es auch.“ Die Figuren seines Romans sind solche Gespenster, die ihre unbewältigten Traumata mit sich schleppen, unfähig sich in die neue Zeit des Friedens und der Freiheit zu integrieren. So tagträumt Herman z.B. von Nazis in Brooklyn. Yael Ronen hat diese epischen, teilweise sehr poetischen Passagen gestrichen sowie einige Nebenstränge gekappt und ihre Inszenierung ganz auf das schwierige Liebes- und Gefühlschaos der vier Hauptpersonen fokussiert. Eine recht konventionelle Regieführung, die sich an Konversationsstücken des New Yorker Broadway orientiert, aber auch slapstickhafte oder melodramatische Elemente mit einer Prise jüdischen Humors kombiniert. Dafür zieht Ronen eine neue, musikalische Ebene ein. Daniel Kahn performt mit seiner Klezmerband Tragikomisches aus jüdischer Tradition und Moderne. Er fungiert dabei als singender Erzähler und Witze reißender Rabbi Lambert.

Zentral für das Spiel auf der Bühne sind aber vor allem die unterschiedlichen Charaktere der drei Frauen. Yadwiga entwickelt sich langsam aus ihrer devoten Rolle und findet während ihrer Schwangerschaft in der Konversion zum jüdischen Glauben einen neuen Halt, den Herman längst verloren hat. Mascha und ihre Mutter Shifrah Puah (Ruth Reinecke) haben Schreckliches erlebt, was sie zu verdrängen suchen, sich aber immer mal wieder in ihren emotionalen Ausbrüchen äußert. Der scheinbare Ruhepol in der Konstellation ist Tamara, die bei allem einen kühlen Kopf bewahrt. Ihre Gefühlskälte und Ablehnung gegenüber Herman ist dabei natürlich auch Ausdruck des Erlebten.

Dabei sind gerade Familie und Kinder das Schmiermittel der Gesellschaft und des Weiterlebens. Eine Normalität, die den Protagonisten abhandengekommen ist und um die sie verzweifelt ringen. Sie ist im Video ständig anwesend, wie auch die vielen Toten des Holocaust. Das verdeutlicht die Inszenierung von Yael Ronen, die zum einen natürlich unterhalten will, aber auch das Gedenken wachhält mit einem kleinen Blick in Gegenwart und Zukunft. Die ungeliebten Flüchtlinge damals wie heute sind der Gesellschaft mit ihren Problemen unangenehm, da sie ein Verdrängen der Geschichte unmöglich machen. Ein Lichtblick des Abends ist da nach dem Verschwinden Hermans das Schlussbild der übriggebliebenen rein weiblichen Zweckgemeinschaft mit Kind.

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Zuerst erschienen am 13.03.2016 auf Kultura-Extra.

FEINDE, die Geschichte einer Liebe | ENEMIES, a love story
von Isaac Bashevis Singer
Premiere am 11.3. im Maxim Gorki Theater
Regie: Yael Ronen
Bühne Heike Schuppelius
Kostüme Amit Epstein
Musik Daniel Kahn
Video Hanna Slak
Dramaturgie Necati Öziri
Besetzung: Lea Draeger, Daniel Kahn, Orit Nahmias, Aleksandar Radenkovic, Ruth Reinecke, Çiğdem Teke, Christian Dawid / Daniel Kahn / Hampus Melin
Premiere war am 11.03.2016 am Maxim Gorki Theater
Dauer: 120 Minuten, keine Pause

Termine: 15.03., 04. und 07.04.2016

Infos: http://www.gorki.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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