Felix Krull - Herzstück

Premierenkritik Spielzeitstart mit Thomas Mann am Berliner Ensemble und Heiner Müller am Maxim Gorki Theater

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Alexander Eisenach macht aus Thomas Manns Roman Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull eine kalauernde Nummernrevue

Die kurze Theater-Sommerpause in Berlin ist vorbei, und gleich zwei Theater gehen an diesem Wochenende mit neuen Produktionen an den Saison-Start. Den Auftakt zur neuen Spielzeit bestreitet am Berliner Ensemble der junge Regisseur Alexander Eisenach, der vor zwei Jahren mit Die Entführung Europas nach dem Radiokrimi Der Tod ist kein Geschäft von Heiner Müller bereits seine Visitenkarte am Kleinen Haus abgegeben hatte. Mit Felix Krull - Stunde der Hochstapler, einer 90-minütigen Bühnenfassung nach dem unvollendet gebliebenen Memoiren-Roman von Thomas Mann, darf er nun auch ans Große Haus. Leider ist ein veritabler Fehlstart zu verzeichnen. So klamaukig dünn wie die letzte Spielzeit am BE mit Max und Moritz endete, beginnt auch die neue.

Dabei geht es gar nicht mal so schlecht los. Die Einführung des Krull (Marc Oliver Schulze) als befrackter Fake-Geiger, der zu Vivaldis Jahreszeiten einfach nur so tut als ob. Die schöne Kunst des Scheins und gleichzeitig auch Parodie dessen - damit ist das Thema des Abends gesetzt und wird auch gleich im Gespräch mit Martin Rentzsch als Mischung aus Theaterregisseur und Krull-Pate Schimmelpreester in die Richtung Theater geführt. Die Bühne als der perfekte Ort der Illusion fasziniert auch den jungen Felix Krull, Sohn eines bankrotten Schaumweinfabrikanten, der sich über seinen Vater erheben will und ein großes Talent zur Selbstdarstellung mitbringt. Er sieht sich selbst als „Vorzugskind des Himmels“, wie Schulze es hier auch im Monolog an der Rampe betont.

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Der Künstler als Hochstapler und Narziss, darum geht es immer auch im Werk von Thomas Mann. Nur zieht Eisenach seine Krull-Parodie immer mehr ins Gewöhnliche. „Die Kunst macht uns zu Göttern“, heißt es da eben noch. Geerdet wird das Ganze dann durch Sina Martens und den miesepetrig in der Loge sitzenden und schrecklich berlinernden Sidekick Jonathan Kempf, die den aufstrebenden, als Hotelpage in Paris eingestellten Krull erstmal auf den Boden der Realitäten zurückholen wollen. Das gerät am BE immer mehr zur kabarettistischen Lachnummer, bei der jeder mal was zum Thema referieren darf. Zum Einsatz kommen dabei neben dem Romantext auch Passagen aus Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen (Wagner, Nietzsche, Goethe, Schlag-mich-tot), was einmal sogar in demokratiefeindliche Aussagen mündet. Der Populist als gefährliche politische Form des Hochstaplers. Nur dass das hier zu nichts führt.

Lieber ergötzt sich die Regie weiter an der Parodie des Romans, lässt Constanze Becker als liebestolle Madame Houpflé ein paar Sado-Maso-Spielchen mit Krull veranstalten, hängt sie als androgyne Artistin Andromache in die Seile, während Schulze im goldenen Lendenschurz mit Flügelhelm als Gott der Diebe Hermes auftritt. Des Weiteren sitzt man in einer mit dem Wort „Geist“ bemalten Badewanne, und Schulze muss auch noch den Klempner mit Klosettschüssel geben. Es geht auch um die Selbstdarstellung im Internet, wozu nicht viel mehr als der Wortgag Infuenzer/Influenza fällt. Sina Martens spielt dann auch noch Squash gegen die nicht vorhandene vierte Wand.

So jagt ein Kalauer den nächsten, wird Brechts Spruch von der Wahrheit zitiert. Ist der Lügner nur ein Dummkopf oder ein Verbrecher? Will man am Theater immer die Wahrheit hören? Constanze Becker bringt dann auch noch ein Referat des geschwätzigen Paläontologen Professor Kuckuck zur Evolution und dem Intermezzo des Menschen „zwischen Nichts und Nichts“. Die menschliche Existenz als Lüge - da wäre es dann interessant geworden. Die Liebe und Manns Begriff der „Allsympathie“ werden auch noch abgehakt, bevor alle im Maul eines riesigen Kopfes verschwinden. „Hereinspaziert!“ heißt es da am Ende. Ein Vorgeschmack auf Eisenachs weitere Ausführungen zum Thema Stunde der Hochstapler im Dezember. Da kann einem jetzt schon angst du bange werden.

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Sebastian Nübling eröffnet die neue Ersatzspielstätte Container mit einer Clownerie zum Thema Arbeitseffizienz nach Heiner Müllers Kurzdrama Herzstück

Das Maxim Gorki Theater hat zum Spielzeitbeginn doppelten Grund zu feiern. Erstens wird endlich der jahrelange Sanierungsstau bei der Bühnentechnik angegangen, und zweitens hat der Berliner Senat aus diesem Grund eine Ersatzspielstätte [s. Foto unten] spendiert, die am gestrigen Tage auch durch Kultursenator Klaus Lederer und Intendantin Shermin Langhoff feierlich eingeweiht wurde. Es ist ein großer, mit grauem Stahlblech verkleideter Container mit Platz für 200 Leute. Nun ist dieser Container keine große Architektur, eher ein reiner Zweckbau, der diesen auch effizient erfüllen wird. Er beherbergt nämlich „eine moderne Raumbühne, die für unsere experimentelle Spielweisen ebenso wie für unser Autorinnentheater hervorragend geeignet ist“, wie Shermin Langhoff in einer Pressemitteilung betont.

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Um Effizienz oder aber das genaue Gegenteil geht es dann auch in der ersten Premiere im Gorki-Container. Dazu haben sich Hausregisseur Sebastian Nübling und Mitglieder des Maxim Gorki Theaters sowie des Exil-Ensembles eine kleine Meditation zum Thema Arbeiten und Nicht-Arbeiten entwickelt. Als Aufhänger nehmen sie nicht etwa die anstehenden Bauarbeiten im Haus, obwohl einige der zum Einsatz kommenden Requisiten direkt von der Baustelle im Haupthaus nebenan kommen könnten, sondern das Kurzdrama Herzstück von Heiner Müller. Es umfasst gerade mal vierzehn Zeilen und wäre wohl nach 5 Minuten beendet, und ist also wie geschaffen für ein theatrales Nachdenken über die Arbeit. Müller hatte es 1981 wohl nach einer durchzechten Nacht geschrieben. Es ist auch eher eine satirische Aufarbeitung des Geschlechterkampfthemas, das er im kurz zuvor entstandenen Stück Quartett behandelte. Clown Eins möchte Clown Zwei sein Herz zu Füßen legen, bekommt es aber nicht heraus, woraufhin Clown Zwei zum Messer greift. Am Ende ist das Herz von Clown Eins ein Ziegelstein. „Aber es schlägt nur für Sie.“ versichert dieser seinem Angebeteten.

Irgendwie ist Heiner Müller wohl ein Zitat des schottischen Essayisten und Historikers Thomas Carlyle (1795-1881) in den Text geraten. „Arbeiten und nicht verzweifeln“ steht auch irgendwann an der Rückwand der Bühne im Gorki-Container. Vermutlich hat Müller Carlyle in Zusammenhang mit der Entstehung des Revolutionsdramas Der Auftrag (1979) gelesen. Überliefert ist das leider nicht und tut hier auch nichts weiter zur Sache, da Müllers Kurzdrama wie gesagt nur der grobe Aufhänger zu einer 75-minütigen Clownerie ist, die Autor und Stück zwar ständig im Munde führt, aber irgendwie nicht zum Ziel, der Aufführung des Stücks, gelangt. Viel mehr noch, sie geradezu verweigert.

Und das lässt sich auch recht lustig an. Acht Clowns, wie Regisseur Nübling sie bereits in der Inszenierung von Müllers Hamletmaschine zum Einsatz brachte, bevölkern hier die Bühne. Allerdings müssen sie erst durch Dominic Hartmann als übereifriger Chef-Clown fast schon auf die Bühne gezerrt werden. So gibt Maryam Abu Khaled ständig vor noch proben zu müssen, klebt sich Mazen Aljubbeh einfach den Mund zu, verbindet sich den ganzen Kopf und legt sich mit einem Schild „Artist at Work“ ostentativ mitten auf die Bühne oder schleicht Elena Schmidt in Zeitlupe mit einem schwarzen Vorhang über die Bühne und beteuert immer wieder alles nur zu verzögern. Natürlich scheitert auch ihr Versuch den Vorhang anzubringen. Alles zurück auf Anfang also. Dazu läuft ein Zahlencountdown vor- und rückwärts. Beim Versuch ein Gerüst zum Aufhängen eines Holzherzens aufzubauen, scheitern dann alle, aber mit einem Höchsteinsatz an Slapstick-Nummern. Das einfache Holzherz wird dann von Bühnenarbeitern durch ein elektrisch blinkendes Show-Herz ersetzt.

In Dauerschleife erklingt dazu der 70er-Jahre-Smashhit Baker Street von Gerry Rafferty mit den schönen Liedzeilen: „You used to say that it was so easy / But youre tryin, youre tryin now.“ Was Maryam Abu Khaled immer wieder vorzuführen versucht. Und auch Frank Sinatra hat noch einen Song zum Thema „easy“ beizusteuern. Aber es ist dann eben doch nicht alles so einfach. Da helfen auch keine pseudophilosophischen Nonsenssprüche von Karim Daoud wie: „Um eine Entscheidung zu treffen, musst du eine Entscheidung treffen.“ „Out of Order“ steht auf einem Eimer, aus dem viele kleine Bälle über die Bühne hopsen. Sprunghaft und hektisch ist der Versuch hier irgendetwas auf die Reihe zu kriegen. Ein satirischer Verweis auf die schnelllebige Welt des Theaters und den Druck, immer kürzer und effizienter zu produzieren. Diese Hektik wird hier durch einen Soloauftritt von Vidina Popov verdeutlicht, die sich beim Reden fast überschlägt und ein Musterbeispiel an Effizienz und Arbeitsbereitschaft bis zur Totalerschöpfung darstellt.

Irgendwann verdreht sich der Eingangssatz in ein: „Zweifeln und nicht verarbeiten.“, was zu einem Stuhlkreis der persönlichen Befindlichkeiten führt. Kenda Hmeidan ist hier der pinke Depri-Clown. Wie im Felix Krull am Vorabend im BE steht also der Künstler im Mittelpunkt. Aber nicht als großer Imagineur und Lügner, sondern als stets einsatzbereiter Arbeiter an sich selbst. Man kann diese schöne Parabel als Kapitalismuskritik und Theaterbetriebssatire lesen oder einfach wieder auf den ursprünglichen Tanz der Gefühle zurückführen. Was danach kommen könnte, zeigen am Ende zwei Staubsaugerroboter, die Heiner Müller im O-Ton sendend über die Bühne kreisen.

Felix Krull - Stunde der Hochstapler
nach Thomas Mann
Regie: Alexander Eisenach
Bühne: Daniel Wollenzin
Kostüme: Lena Schmid
Dramaturgie: Sibylle Baschung
Mit: Constanze Becker, Jonathan Kempf, Sina Martens, Martin Rentzsch, Marc Oliver Schulze
Die Premiere war am 16.08.2019 im Berliner Ensemble, Großes Haus
Termine: 23., 28.08. / 03., 08., 19., 26.09. / 03., 24., 31.10. 2019

Infos: https://www.berliner-ensemble.de/

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Herzstück
von Heiner Müller
Regie: Sebastian Nübling
Bühne und Kostüme: Evi Bauer
Musik: Tobias Koch
Video: Maryvonne Riedelsheimer, Jesse Kracht
Licht: Gregor Roth
Dramaturgie: Ludwig Haugk
Mit: Maryam Abu Khaled, Mazen Aljubbeh, Karim Daoud, Dominic Hartmann, Kenda Hmeidan, Vidina Popov, Elena Schmidt
Die Premiere war am 17. August im Container, Maxim Gorki Theater
Termine: 20., 21.08. / 01.09.2019

Infos: https://gorki.de/de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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