Feuerwerk am helllichten Tage

Kino Der diesjährige BERLINALE-Sieger des chinesischen Regisseurs Diao Yinan ist ein spannender Genrestreifen im Stile des Film noir.

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Foto: Weltkino Verleih
Foto: Weltkino Verleih

Black Coal, Thin Ice (dt.: "Schwarze Kohle, dünnes Eis") hieß der Film des chinesischen Regisseurs Diao Yinan noch im kalten Februar, als er überraschend den Goldenen Bären der BERLINALE erhielt. Nun ist er im heißen Sommer unter dem deutschen Titel Feuerwerk am helllichten Tage in die Kinos gekommen. So hell sind die chinesischen Tage aber gar nicht, und auch das Feuerwerk, mit dem sich der deutsche Verleih weitestgehend dem chinesischen Originaltitel angenähert hat, lässt lange auf sich warten.

Es ist 1999, im tief verschneiten Norden Chinas werden in der gesamten Provinz auf riesigen Kohlehalden und langen schwarzen Förderbändern immer wieder Leichenteile gefunden, als würden sie vom dunstig grauen Himmel regnen. Die Polizei ist auf eine schnelle Lösung des Falls aus. Erste Spuren sind überdeutlich, findet sich doch bei einer abgetrennten Hand auch der Ausweis der Leiche. Es ist ein Arbeiter aus dem Kohlewerk. Aber schlampige Ermittlungen durch gewalttätige, gleichgültige Polizisten führen schließlich in die Irre und ins lokale Kleinganovenmilieu, was zwei von ihnen mit dem Leben bezahlen.

Zu den erfolglosen Ermittlern gehört Zhang Zili (Liao Fan), ein desillusionierter, zynischer Mann, der nicht von seiner geschiedenen Frau lassen kann. Er ist nicht ganz der typische Bad Cop, aber mit jeder Menge persönlicher Probleme beladen. Zhang wird bei der missglückten Verhaftung verwundet und rutscht nach der Entlassung aus dem Krankenhaus vollends in den Suff ab. Er muss sich, aus dem Polizeidienst entlassen, nun als Sicherheitsangestellter im Kohlewerk verdingen.

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/07/Feuerwerk_04_Liao-Fan-©Weltkino-Filmverleih.jpgFeuerwerk am helllichten Tage - Foto (C) Weltkino Filmverleih



Es geht nicht wirklich voran in diesem mysteriösen Fall, den die Polizei nach fünf Jahren Unterbrechung wieder aufrollt, da plötzlich neue Leichenteile auftauchen. Die Ermittler unter Zhangs damaligem Freund und Kollegen Captain Wang (Yu Ailei) konzentrieren sich nun wieder auf die Beschattung der Frau des ersten Toten. Die schöne aber zurückhaltende Wu Zhizhen (Gwei Lun Mei) arbeitet in einem kleinen Waschsalon, dessen Besitzer einen etwas bizarren Hang zu Frauen und Kleidungsstücken hat. Aber weiterhin Fehlanzeige.

Auch Zhang lässt der alte Fall nicht los, er sucht die Nähe der geheimnisvollen Frau Wu, die ihn wie eine Männer verschlingende Femme fatale der chinesischen Vorstädte magisch anzieht. Die Kamera folgt den Beiden bei ihren knirschenden Gängen durch die verschneiten Straßen des nächtlichen Viertels, einer Wohnwüste mit einsamen Oasen blinkender Lichter von Supermärkten, Garküchen und Vergnügungsbars. Tags überwiegen das Grau der Häuser und der normale Alltag der großen Stadt, die mehr schlecht als recht verwaltet wird. Nur in überfüllten Bussen, dem Halbdunkel der Kinos und Tanzschuppen und beim allabendlichen Eislaufen kommen sich die Menschen näher. Ansonsten lebt man flüchtig nebeneinander her. Ein interessanter Mix aus Genre-Film und düsterem Gesellschaftsportrait, der damit vielleicht eine Alternative zum kommerziell erfolgreichen chinesischen Martial-Arts-Kino darstellt.

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Feuerwerk am helllichten Tage - Foto (C) Weltkino Filmverleih

Der tatsächliche Grund für die Morde wird Zhang vom Waschsalonbesitzer dann fast wie nebenbei präsentiert. Ein fast vergessener ruinierter Ledermantel spielt dabei eine tragende Rolle, nur dass sich lange niemand wirklich dafür interessiert. Es ist das leidige Geld, nach dem alle streben, Barbesitzerin wie Waschsalonbetreiber oder Mitarbeiter eines Wettbüros. Es lässt keinen Platz für Nähe und echte Gefühle. Kein „guter Mensch“, nirgends. Die nötige Wärme fehlt auch der armen Wäscherin. Wie die Zudringlichkeiten ihres Chefs wehrt sie aber zunächst die an Stalking grenzenden Annährungsversuche Zhangs kühl ab.

Der ebenfalls Ausgestoßene gewinnt mit seiner stoischen Beharrlichkeit nicht nur Stück für Stück die Zuneigung der traurigen, zurückgezogenen Frau. Er kommt auch irgendwann auf die Spur des unbekannten Schlittschuhmörders und Leichenzerstückelers, der schon vor langer Zeit Stück für Stück seiner wahren Identität entsorgt hat. Der Ex-Bulle wird den Fall lösen, und damit seine Liebe zerstören. Träume von persönlichem Glück und der Wunsch nach Gerechtigkeit gehen in dieser eisigen, grauen Welt nicht zusammen. Dagegen aufzubegehren, erscheint dem Helden wie ein nutzloser Knalleffekt, der zum Schluss wie das titelgebende Feuerwerk am helllichten Tage verpufft. Was Zhang bleibt, ist ein ausgelassenes Tänzchen auf dem Parkett der einsamen Herzen.

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Zuerst erschienen am 25.07.2014 auf Kutura-Extra.

FEUERWERK AM HELLLICHTEN TAGE (BAI RI YAN HUO - BLACK COAL, THIN ICE) Volksrepublik China / Hongkong, China, 2014, 106 Min

Regie, Buch: Diao Yinan, Kamera: Dong Jingsong, Schnitt: Yang Hongyu, Musik: Wen Zi, Sound Design: Zhang Yang, Production Design: Liu Qiang, Produzenten: Qu Vivian u. Wan Juan, Co-Produzenten: Shen Yang u. Zhang Dajun

Mit: Liao Fan (Zhang Zili), Gwei Lun Mei (Wu Zhizhen), Wang Xuebing (Liang Zhijun), Wang Jingchun (Rong Rong), Yu Ailei (Captain Wang), Ni Jingyang (Su Lijuan)

Kinostart: 24.07.2014

Verleiher: Weltkino Filmverleih GmbH

Infos: http://www.weltkino.de/file/Home.html

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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