Fever Room und News Crime Sports

Theater, Performance Bildende Kunst in der Volksbühne - Eine audio-visuelle Installation von Apichatpong Weerasethakul und eine Performances- und Konzertreihe von Calla Henkel & Max Pitegoff

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Den thailändischen Filmregisseur Apichatpong Weerasethakul kennen Kinoenthusiasten vorrangig durch seine preisgekrönten Spielfilme wie etwa Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben, der 2010 in Cannes die Goldene Palme erhielt. Sein letzter Spielfilm Cemetery of Splendour wurde 2015 ebenfalls beim Filmfestival Cannes gezeigt und kam unter dem Titel Friedhof der Könige im Januar 2016 in die deutschen Kinos. Die Bezeichnung Spielfilm ist hier allerdings etwas irreführend. Cemetery of Splendour bewegt sich in seinen meditativen Naturaufnahmen und beschreibenden Dialogen eher zwischen Dokumentar- und Kunstfilm. Weerasethakul beschäftigt sich hier mit dem Thema der transzendentalen Seelenwanderung, die Teil des religiösen Empfindens der Einwohner im Nordosten Thailands, der Heimat des Regisseurs, sind. Parallel zu seinen Filmen arbeitet Apichatpong Weerasethakul auch für den internationalen Kunstbetrieb. Seine Videoinstallationen wurden bei der Saitama Triennale in Japan, der Biennale in Sidney, der 13. Documenta in Kassel oder in der Tate Modern in London gezeigt. Dabei kam sicherlich auch die Verbindung zu Chris Dercon zustande.

Bei der Pressekonferenz zur Programmvorstellung der neuen Volksbühne wurde Weerasethakuls für den internationalen Festivalbetrieb entwickelte Projektions-Performance Fever Room als weitere große Regiearbeit zwischen Film und Schauspiel angekündigt. Premiere hatte die Produktion 2015 im Asian Arts Theatre Gwangju, Südkorea. Die Erstaufführung im deutschsprachigen Raum fand im September dieses Jahres beim Steirischen Herbst im Orpheum-Konzerthaus in Graz statt. Wenn auch für die Bühne konzipiert, hat Fever Room mit herkömmlichem Schauspiel allerdings kaum etwas zu tun. Schauspieler sieht man nur in den aus Cemetery of Splendour stammenden Filmszenen, auf denen die Videoinstallation zum größten Teil beruht. Ansonsten ist Fever Room eher dem Bereich bildende Kunst zuzuordnen, dem sich die Volksbühne unter Chris Dercon ja zunehmend verschrieben hat.

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Das Publikum sitzt bei der Vorführung in der Volksbühne auf Stühlen bzw. direkt auf dem Boden der abgedunkelten Bühne im großen Saal. Aus dem Schnürboden senkt sich zunächst im Bereich des Bühnenportals vor dem noch geschlossenen Vorhang eine Videoleinwand, auf die besagte Filmszenen projiziert werden. Später kommen eine Leinwand darüber und zwei weitere links und rechts davon hinzu. Zu sehen sind Bilder aus einem Krankenhaus, von Hunden, Bäumen und Pavillons in einem Park, oder von Bergen und dem Meer, die von den beiden ProtagonistInnen, einem an der Schlafkrankheit leidenden Soldaten und einer Krankenschwester, die sich als Medium in seine Träume hineinversetzt, nacheinander beschrieben werden. Diese Sequenzen laufen nacheinander in sich wiederholenden Schleifen. Nach einer längeren Bootsfahrt auf dem Mekong, bei der Bilder der Landschaft mit denen von befestigte Uferböschungen wechseln, sieht man noch das Innere einer Höhle. Es entsteht dabei eine zunehmende visuelle und akustische Überlagerung von gleichzeitig ablaufenden Filmszenen und der aus Originalgeräuschen der Umgebung bestehenden Tonspur.

Schon das allein hat eine sehr meditative und fast magische Wirkung, die nach etwa 50 Minuten noch durch den Einsatz eines Laserstrahls verstärkt wird. Nachdem die Leinwände wieder hochgefahren werden, öffnet sich der Vorhang zum Zuschauerraum. Der sich in Trockeneisnebel drehende Laserstrahl bildet dabei wechselnd eine trichterartige Höhle oder eine sich hebende und senkende zentralperspektivische Ebene, die einem das Gefühl geben, in diese dreidimensionale Lichtinstallation eingesogen zu werden. Musik, einzelne Stimmen und schattenartige Projektionen von Menschen sollen das Geschehen und die Gedanken der sich in ihren Träumen an frühere Begebenheiten Erinnernden in eine Dimension der Transzendenz überführen. Was recht esoterisch klingt und ein wenig auch an die Intension der Performance Women in Trouble von Susanne Kennedy erinnert. Nur dass deren Arbeit nicht die immersive Kraft von Fever Room entfalten kann. Auch wenn man sich auf Weerasethakuls Denkart nicht einlassen möchte, überzeugt zumindest die technische Perfektion dieser audiovisuellen Installation, die den Raum der Volksbühne perfekt nutzt, ohne wirklich Theater zu sein.

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Im Grüner Salon der Volksbühne sieht’s derzeit ein wenig aus wie bei Hempels unterm Sofa. Die lotterige Bühneninstallation für die neue Performance-Reihe News Crime Sports stammt von Calla Henkel & Max Pitegoff, denen Chris Dercon die Programmgestaltung der kleinen Nebenspielstätte im 1. Stock des Hauses überantwortet hat. Das in den USA geborene und seit 7 Jahren in Berlin lebende Künstler-Duo zeichnet auch für Text und Regie dieser als in loser Folge entwickelten Performances- und Konzertreihe verantwortlich. Die Musik stammt von Katrin Vellrath und dem allseits bekannten Volksbühnenurgestein Sir Henry, der hier auch den Part des Manns an den Tasten übernommen hat und in einer Art Tattoo-Überzieher den Captain Cook mimt.

Calla Henkel & Max Pitegoff sind in der Kunstszene Berlins bestens vernetzt und haben ihre Fotografien und installationsartigen Wohnräume bereits in New York, London, Rotterdam und bei der letzten Berlin Biennale 2016 ausgestellt. Vertreten werden sie von der Schöneberger Galerie Isabella Bortolozzi. Von 2013 - 2015 bespielten die beiden mit englischsprachigen Stücken auch das New Theater in einem Kreuzberger Ladenlokal. Dann kam der Ruf von Chris Dercon an die neue Volksbühne. Im ersten Teil von News Crime Sports, der zur Eröffnung des Grünen Salons uraufgeführt wurde, sieht man einer internationalen Entourage aus Kunstgroupies und Partypeople beim Zeittotschlagen zu. Das Ganze handelt laut Website „in einer undeutlichen Vergangenheit, in der Wahnsinn die Passagiere eines Kreuzfahrtschiffs wellenartig überfällt, während sie die Stunden, Wochen und Jahre zu füllen versuchen, die wie auf einen Schlag zu vergehen scheinen.“

Auf der Bühne steht dabei eine Gruppe von bildenden Künstlern, Tänzern, Performern und Musikern. Sogar ein Model mit Mick-Jagger-Schmollmund mimt hier eine Tochter aus besserem Hause, die sich in der „City of lazy, hazy, grazy People“, die sich hier auf den rumstehenden Sofas lümmeln, zunehmend langweilt. Und auch die Mutter ist als Journalistin auf der Suche nach besagten News, Crime and Sports. Zunächst gibt’s aber nur Champagner, Dosenpfirsiche und gute Ratschläge vom Hausphilosophen („Seelen reisen in Gruppen"), bis irgendwann eine mysteriöse Dame mit Rollkoffer und Einkaufstaschen die träge Gesellschaft aufmischt. „Kollektives Träumen ist möglich.“ heißt es da. Die Stimme kommt vom Band und gehört Silvia Rieger, die neben Sir Henry weiterhin zum Rumpf-Ensemble der neuen Volksbühne gehört. Dazwischen gibt es etwas Musik und ein paar Anspielungen auf das schwere und prekäre Künstlerleben. „We all need Jobs.“ Leider kann hier niemand wirklich Theater spielen und tänzelt und feudelt sich dann halt irgendwie durch.

Vor drei Jahren hat das Ballhaus Ost mit einer Romanadaption von Franz Hessels Heimliches Berlin schon mal das ewige Künstlertum in einer sich beständig wandelnden Metropole beschrieben. Seit den wilden Zwanzigern scheint sich da in Berlin nicht viel geändert zu haben. Was sich ändert sind nur die Vorzeichen, und die stehen zurzeit auf Austauschbarkeit. Worte wie Vergangenheit oder Zukunft haben hier keinerlei Bedeutung mehr, da sich die Kunst längst von Ort und Kontext befreit hat. Dabei wirkt die Performance so Old School, dass man erstaunt ist, dass es so etwas wirklich noch gibt. Oder besser, dass die Kapelle des untergehenden Kreuzfahrtdampfers immer noch so lange einfach weiterspielt, bis der Kahn tatsächlich gesunken ist. „What Time it ist?“ oder „How long are we here?“ sind dann auch die großen Fragen des Abends, die man sich notgedrungen beginnt selbst zu stellen. Wenn dann auch noch von einem von Polizisten abgesperrten Theater die Rede ist, ist das schon etwas kokett, und man fragt sich ernsthaft, warum sich die Volksbühne erst von hinten den Dilettantismus in den Grünen Salon reinholt, den sie durch die Polizei vorne hat rausholen lassen.

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Zuerst erschienen am 10.12. und 11.12.2017 auf Kultura-Extra.

Fever Room (Volksbühne, 08.12.2017)
Regie: Apichatpong Weerasethakul
Visual Design: Rueangrith Suntisuk
Licht Design: Pornpan Arayaveerasid
Sound Design: Akritchalerm Kalayanamitr
Komposition: Koichi Shimizu
Produktion: Asian Culture Centre Theatre - Korea, Kick the Machine Films, Volksbühne Berlin
Die Berlin-Premiere war am 07.12.2017
Dauer: 90 min., keine Pause
Thailändisch mit deutschen und englischen Untertiteln
Termine: 26., 27., 28.01.2018

News Crime Sports (Grüner Salon, 08.12.12017)
Regie und Text: Calla Henkel & Max Pitegoff
Kostüme: Ella Plevin
Komposition: Sir Henry, Katrin Vellrath
Stimme von: Silvia Rieger
Choreographie: Tarren Johnson
Musik: Sir Henry
Redaktion und Übersetzung: Alex Scrimgeour
Kuratorin: Elodie Evers
Mit: Agathe Bommier, Mia von Matt, Lily McMenamy, Leon Kahane, Theresa Patzschke, Elias Pitegoff
Die Premiere war am 17.11.2017 im Grünen Salon der Volksbühne
Mehrsprachig (Englisch, Deutsch, Französisch)

Infos und Termine: https://www.volksbuehne.berlin/de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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