Galileo Galilei - Das Theater und die Pest

Theater Am Berliner Ensemble mischt Frank Castorf seine Inszenierung von und nach Bertolt Brecht mit Texten von Antonin Artaud

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„Wir haben letzte Woche irgendwann den Überblick verloren, den Brechtschen Klarblick.“ So witzeln Wolfgang Michael und Aljoscha Stadelmann (der zudem noch seiner Stimme eingebüßt hat) zu später Stunde auf der Bühne des Berliner Ensemble. Aber irgendwie geht es bei Frank Castorf ja immer weiter. Die beiden Zipfelmützenmänner der Inquisition haben gerade den Wissenschaftler Galileo Galilei in Gestalt der Schauspielerin Jeanne Balibar auf der hölzernen Streckbank. Gespielt wird Galileo Galilei - Das Theater und die Pest von und nach Bertolt Brecht. Sich beständig mit den Vornamen ansprechend erkundigen sich diese bösen Pausenclowns auch nach dem Befinden des Regisseurs Frank? Der sei tot, hört man weiter. Ein Kokettieren mit der fortschreitenden Lebenszeit zum fortgeschrittenen Abend, der schon gut 4 Stunden alt, aber lange noch nicht zu Ende ist. Und so wünscht man den Altmeister nicht nur so langsam zum Alteisen, sondern auch mal zum Zeigen der Instrumente auf die verdammte Streckbank. Aber das Strecken gehört natürlich zu Castorfs liebstem Instrument seiner Inszenierungen. Er zieht sie damit regelmäßig auf Überlänge.

Unter 5 Stunden ist ein Castorf selten zu haben. Und auch beim Galilei sind es nicht die von Castorf in einer Pressekonferenz ein paar Tage vor der Premiere prognostizierten 4,5 Stunden inklusive Pause, sondern ganze 1,5 Stunden mehr. Wenn die Glocke auf der Bühne Mitternacht schlägt, ist es dann aber tatsächlich auch am zweiten Abend vorbei, obwohl die 6 Stunden der Premiere, wie von Dramaturg Frank Raddatz bei der Stückeinführung zuvor geäußert, nicht beabsichtigt waren. Ein guter Castorf dauert eben seine Zeit. Da helfen auch keine Nachfragen. Wann es wirklich zu Ende ist, kann man hier nie genau wissen. Es sei denn, man entschließt sich zum vorzeitigen Gehen. Eine Möglichkeit, von der einige im Publikum in und nach der Pause dann immer wieder auch regen Gebrauch machen.

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Es ist die Pest damit, einen Castorf vorweg ausrechnen zu wollen. Sein Theater lässt sich nicht nach den herkömmlichen Maßstäben bemessen, obwohl es da schon ein paar sichere Säulen gibt. Im Großen und Ganzen ist es aber wie beim Galilei mit dem ptolemäischen Weltbild, das da plötzlich ins Wanken kommt, wenn die Gestirne keine Feste mehr haben und die Kristallsphären zu durchstoßen drohen. „Galileo Galilei rechnete aus: Die Sonn steht still, die Erd kommt von der Stell.“ Und plötzlich ist der Himmel leert, wie es da weiter bei Brecht heißt. Die Säulen der Institution Kirche wanken gefährlich, fallen aber dann doch noch nicht. Galilei, der noch eben an die Vernunft des Menschen glaubte („Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse“) widerruft seine Aussagen unter dem Druck der vatikanischen Inquisition. Eher finstere Zeiten als die prognostizierten neuen stehen da bevor. Brecht hatte seine liebe Müh mit dem Stück, dessen erste Fassung 1939 im dänischen Exil entstand und das er immer wieder in Amerika und nach dem Krieg zurück im neuen Deutschland an die politischen Gegebenheiten anpassen musste.

Das Denken und die Pest spielen in Brechts Stück eine Rolle, aber auch der französische Dichter Antonin Artaud beschäftigte sich in seinen Werken zum Theater mit der Seuche, wenn auch nicht wissenschaftlich didaktisch wie der Meister des Epischen Theaters. Zuerst entdeckt hat das Frank Castorfs Säulenheiliger Heiner Müller. „Artaud hat die Literatur der Polizei, das Theater der Medizin entrissen. Unter der Sonne der Folter blühen seine Texte. Auf den Trümmern Europas gelesen, könnten sie klassisch sein.“ Das ist Grund genug für Regisseur Castorf den Dialektikers und Hausheiligen des BE mit dem Surrealisten und Begründer des Theaters der Grausamkeit zu verschneiden. Die Idee den Galilei zu machen, stamme von Oliver Reese, lies Castorf verlauten. Castorfs Idee ist es nun, Artauds Traktat Das Theater und der Pest als seinen kleinen Beitrag beizusteuern. Nur zieht sich dieser Einfall nicht etwa wie ein roter Faden durch den Abend, sondern meandert im großen Textkonvolut zwischen Brechts Galilei, und den wirren Gedanken Artauds über den Zusammenhang der Pest mit dem alles infizierenden Theater hin und her, so dass man dabei schon mal den Überblick verlieren kann. Auch auf der Drehbühne, die Aleksandar Denić mit einem Zelt, doppelstöckigen Palazzo, Kirchturm und höhenverstellbaren Holzteleskop mit venezianischem Löwen auf dem gigantischen Rohr bestückt hat, herrscht das übliche Chaos mit suchender Livekamera, die die Gesichter der Akteure hinter den Kulissen groß auf die Videoleinwand bringt.

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Getreu dem Motto Heiner Müllers: „Ich glaube an Konflikt. Sonst glaube ich an nichts.“ hält Castorf es mit Artaud, einem der vielen Gewährsmänner seiner ausdauernden Theatertherapie, „um Schluss zu machen mit dem Gottesgericht.“ Im Disput zwischen Jeanne Balibar und Andreas Döhler, der ansonsten Sagredo, den Freund Galileis, spielt, steigern sich beide in einen Rausch der Artaud-Sätze. „Es kann sein, daß das Gift des Theaters den gesellschaftlichen Körper zur Auflösung bringt, wenn es in ihn gelangt, nach Art einer rächenden Geißel, einer heilsamen Epidemie, ... Wie die Pest ist das Theater eine Krise, die mit dem Tod oder der Heilung endet.“ Wenn das Publikum denn überhaupt für eines davon bereit wäre. Als Beilage gibt es auch mal sogenannten Naturkaviar, den Stefanie Reinsperger als burschikose Haushälterin Frau Sarti aus dem Eimer frisst. Zusammen mit Sina Martens als Galilei-Tochter Virginia beißen sich die beiden wie im Fieberwahn demonstrativ die Pestbeulen auf. „Schwitzt, meine Kinder / Verbrennt euch die Hände / Kämpft um die Sonne.“ singt mit dem DAF-Song Sato Sato auch Bettina Hoppe als Medici-Spross Cosmo, der sich mit dem jungen Andrea Sarti, gespielt von Rocco Mylord um die einzige Wahrheit prügelt.

Auf die Folter gespannt versprüht die Wahrheit in Gestalt von Jeanne Balibar einen durchaus verführerischen Reiz. Mit Artaud sagt sie u.a.: „Und schließlich kann man sehen, daß vom menschlichen Standpunkt aus die Wirkung des Theaters wie die der Pest wohltuend ist; denn in dem sie die Menschen dazu bringt, sich zu sehen, so wie sie sind, läßt sie die Maske fallen, deckt sie die Lüge, die Schwäche, die Niedrigkeit, die Heuchelei auf;“ Die Aufforderung eine „heroische Haltung einzunehmen, zu der sie ohne sie niemals gefunden hätten.“ kann man bei Castorf in Wort und Bild getrost als Allegorie nehmen. Der wahrhafte und Fleisch gewordene Genussmensch Galilei, der trotz der Gier nach neuen Erkenntnissen den ungeliebten Brotjob für die Bezahlung des Milchmanns und eine gebratene Gans annimmt, oder für ein paar Scudis Fernrohre vermarktet, widerruft letztendlich aus Angst vor der Folter. Der 86jährige Mime Jürgen Holtz spielt ihn am BE zu Beginn völlig nackt und noch vital unter der plötzlichen Dusche von oben. Später am Ende wird er allein auf einem Stuhl den Wissenschaftsberuf wie einen zu groß geworden Mantel an den Nagel hängen, der Verrat hat ihm die Stimme schwer gemacht. Holtz ist das Ereignis des Abends, auch wenn ihm die Souffleuse immer wieder Stichwort gebend zur Seite springt. Das letzte Wort hat aber nicht der alte hungrige Galilei, der zum Essen abtritt, sondern der junge, weiter nach Wissen dürstende Andrea Sarti, der das Land, das Helden nötig hat, verlässt. Dazu gibt die Balibar den sterbenden Bowie mit Black Star. Ein Stern verglüht, ein neuer wird geboren. Da ist auch nach sechs Stunden noch nicht alles vorbei.

Galileo Galilei - Das Theater und die Pest
von und nach Bertolt Brecht mit Musik von Hanns Eisler
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Musikalische Einstudierung: Jörg Gollasch
Sounddesign: William Minke
Videodesign: Jens Crull, Andreas Deinert
Live-Kamera: Andreas Deinert
Licht: Ulrich Eh
Dramaturgie: Frank Raddatz
Künstlerische Produktionsleitung: Sebastian Klink
Mit: Jürgen Holtz als Galileo
Andreas Döhler, Jeanne Balibar, Bettina Hoppe, Sina Martens, Wolfgang Michael, Rocco Mylord, Stefanie Reinsperger, Aljoscha Stadelmann
Die Premiere war am 19.01.2018 im Berliner Ensemble
Termine: 30., 31.03. / 07.04. / 04., 05.05.2019

Infos: https://www.berliner-ensemble.de/inszenierung/galileo-galilei

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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