Gespenster

Premierenkritik Am Berliner Ensemble lässt Mateja Koležnik in ihrer Inszenierung von Ibsens Familiendrama recht behebig die Bühnenmaschinerie ächzen

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Mit Ibsens düsterem Familiendrama Gespenster inszeniert Regisseurin Mateja Koležnik nach Nichts von mir von Arne Lygre bereits das zweite Stück eines norwegischen Autors am Berliner Ensemble. Schon bei der ersten Regiearbeit zu Beginn der Reese-Intendanz fiel besonders ihre etwas sperrige Art zu inszenieren auf. Ein Hang zu streng choreografierten Bewegungsabläufen. Das machte das Ganze dann doch etwas statisch. Nun, Ibsen ist nicht Lygre, aber um Lebenslügen und Beziehungskrisen geht es meist in abgewandelter Form auch bei Henrik Ibsen. In Gespenster zudem noch um die These, dass das Schlechte der Väter in den Söhnen weiterlebt. Eine Vererbungstheorie, die hier den Sohn Osvald Alving sogar an der gleichen Geschlechtskrankheit des an den Folgen seines ausschweifenden Lebens zu Grunde gegangen Vaters leiden lässt. Dazu begibt sich der aufstrebende Künstler nach Jahren der Abwesenheit in die Obhut sein Mutter Helene. Die wiederum leidet an den unausgesprochenen Familiengeheimnissen. Eines davon ist Regine, die Vater Alving mit dem damaligen Zimmermädchen zeugte. Dem versoffenen Tischler Engstrand angetraut, wurde das Geheimnis aus dem Haus geschafft. Helene holte den Fehltritt des alten Alving aber als Dienstmädchen zurück, und nach der Rückkehr Osvalds brechen die alten Gespenster wieder ins Haus und Leben der Alvings ein.

Mateja Koležnik macht nun aus dem alten, heute eher als Farce gespielten Plot wieder ein Stück ganz im Sinne des Autors, was zunächst wie ein relativ konventionelles Konversationsdrama in historischer Kostümierung wirkt. Einzige Besonderheit ist die von Raimund Orfeo Voigt und Leonie Wolf gestaltete Bühne aus per Hand verschieb- und drehbaren Zimmern. Türen öffnen und schließen sich. Die Figuren sprechen oft durch sie hindurch, als wären sie nicht in einem Raum. Das symbolisiert Isolation, Gefühlskälte und lässt so die DarstellerInnen zusätzlich die Corona-Regeln einhalten. Nachteil des Konzepts ist aber auch ein recht statisches Spiel, so dass ziemlich schnell auch etwas Langeweile aufkommt. Zudem bleibt die nur spärlich beleuchtete Bühne in ein dauerhaftes Dunkel getaucht, zuweilen leicht seltsam und spooky mit dräuend elektronischen Klängen im Hintergrund. Dazu ächzen die von fleißigen Statisten im Hintergrund immer wieder verschobenen Kulissen.

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Der Star des Abends ist eindeutig Corinna Kirchhoff als Helene Alving im schwarzen Biedermeier-Look. Taff, trocken und abgeklärt erzählt sie dem biederen Pastor Manders, genauso bieder von Veit Schubert gespielt, die wahre Familiengeschichte der Alvings. Nach dem katholischen Bischof und Sterbehilfegegner in Gott, gibt Schubert nun den protestantisch-korrekten Gottesmann, der Helene, die damals vor ihrem Mann zu ihm geflüchtet war, wieder zurück geschickt hatte und jetzt Predigten über Pflicht und Ideale hält. Er kümmert sich um die Geschäfte des von Helene mit dem Geld des Hauptmanns gestifteten Kinderasyls, eine Art Reinwaschung von den Verfehlungen Alvings. Ein ziemlich bigottes Treiben, dessen unversichertes Produkt in den Flammen des „Strafgerichts“ aufgeht.

Ziemlich verloren wirkt hier Paul Zichner als Osvald Alving zwischen zwei schwarzen Engeln. Meist etwas abwesend wirbt er entweder um die Liebe seiner Mutter oder die seiner Halbschwester Regine, wobei Judith Engel fast wie eine zweite Mutter wirkt, die sich aber am Ende, nachdem sie von Osvalds Krankheit erfährt, von ihm abwendet und wie ihr Stiefvater Tischler Engstrand (schön knarzend Wolfgang Michael) auf die Erpressung Pastor Manders setzt. Die Auflösung einer düsteren Champagner-Party in der Alving-Gruft. Der weltmännische Traum, den man heute wohl kosmopolitisch nennen würde, geht kleinbürgerlich greinend und sehr pathetisch mit Hirnerweichung zu Grunde. Lange vergeblich rüttelt die Mama an der verschlossenen Tür. Das Regiekonzept, das gegen die Rückkehr von „mausetoten Anschauungen und Meinungen“ eigentlich patriarchales Denken über Generationen anprangern will, ist so am Ende höchstens noch unfreiwillig komisch.

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Zuerst erschienen am 09.10.2020 auf Kultura-Extra.

GESPENSTER (Berliner Ensemble, 08.10.2020)
Regie: Mateja Koležnik
Bühne: Raimund Orfeo Voigt und Leonie Wolf
Kostüme: Ana Savić-Gecan
Musik: Malte Preuss
Choreografie: Matija Ferlin
Dramaturgie: Amely Joana Haag
Besetzung:
Corinna Kirchhoff (als Frau Helene Alving)
Paul Zichner (als Osvald Alving)
Veit Schubert (als Pastor Manders)
Wolfgang Michael (als Tischler Engstrand)
Judith Engel (als Regine Engstrand)
Premiere war am 8. Oktober 2020.
Weitere Termine: 09., 10., 11., 23., 24., 25.10. / 24., 25., 26.11. / 23., 25., 26.12.2020

Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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