GOЯKI-Neustart in Berlin

Theater Russen, Tussen, Türken, Birken - Kunst, Culture Clash und Klischees. Hoch her ging‘s zum Auftakt der neuen Intendanz von Shermin Langhoff am Maxim Gorki Theater.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2013/12/Gorkilogo.png

Es schlug wie eine Bombe ein, als kurz vor Ende des Berliner Theatertreffens im Mai 2012 bekannt wurde, dass Shermin Langhoff, langjährige Leiterin des Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg, die Nachfolge des nach Stuttgart wechselnden Armin Petras am Maxim Gorki Theater antreten würde. Der regierende Bürgermeister, Kultur- und Partysenator Klaus Wowereit hatte die deutsche Theatermacherin mit türkischen Wurzeln kurz vor den Toren Wiens abgefangen. Jetzt könnte man sich in dem Witz ergehen, dass die Türken bereits 1529 und 1683 vor Wien gescheitert sind. Was allerdings die Tatsache negieren hieße, dass sie mittlerweile längst in der Mitte Europas leben, und mit ihnen so manch andere Nationalität. Shermin Langhoffs Entscheidung für Berlin und das Maxim Gorki Theater war letztendlich eine ganz persönliche und bescherte der deutschen Hauptstadt dazu nun endlich auch das erste interkulturelle Schauspielensemble im deutschsprachigen Raum. Die Wiener Festwochen müssen sich mit der Belgierin Frie Leysen begnügen, die bereits das Festival Theater der Welt und 2012 das Berliner Theaterfestival Foreign Affaires kuratierte. Einer weiteren Internationalisierung der Festwochen werden also auch die Wiener nicht entgehen können.

*

Der Kirschgarten von Anton Tschechow in einer Inszenierung von Nurkan Erpulat

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2013/12/Gorki1.jpg

Das neue GOЯKI. - Foto: St. B.

Zurück nach Berlin. Mit einem Herbstsalon der Kunst eröffnete Shermin Langhoff Anfang November ihre Intendanz am Maxim Gorki Theater. Für zwei Wochen wurde das angrenzende Palais am Kupfergraben mit Objekten, Installationen und Performances in Berlin lebender Künstler von internationaler Couleur bespielt. Ein gelungener Einstieg und Vorgeschmack auf den eigentlichen Start, der vom 17. Bis 19. November mit drei Premieren gefeiert wurde. Mit Anton Tschechows Kirschgarten und zwei Inszenierungen von Gegenwartsstoffen der jungen Schriftstellerin Olga Grjasnowas und der jungen Dramatikerin Marianna Salzmann fiel das erste Wochenende im neuen GOЯKI recht russischlastig aus.

Zum Auftakt interpretierte der nicht nur in Berlin bereits recht bekannte deutsch-türkische Theaterregisseur Nurkan Erpulat Tschechows Kirschgarten nicht als Widerspruch Alt gegen Neu, Oben gegen Unten, sondern, ganz im Sinne des Leitmotivs des neuen Gorki, nämlich als Kampf der mittlerweile in der dritten Generation im Lande lebenden Migranten gegen die Alteingesessenen. Da wird der alte Sehnsuchtsort Kirschgarten, der ja schon bei Tschechow in jeder Enzyklopädie stand, zu einer Art überkommenen Leitkultur, die der junge Migrant Lopachin (Taner Sahintürk), dessen Vater noch als Leibeigener für die Familie der Ranewskaja (Ruth Reinicke als letzte Verbliebene – im doppelten Sinne – des alten Gorki-Ensembles) ackern musste, am liebsten abholzen möchte. Er will Parzellen mit Ferienhäusern statt schöne Phrasen der deutschen Aufklärung. Taner Sahintürk liest aus Immanuel Kants Was ist Aufklärung? Und lässt das Buch wie einst Tschechows Lopachin verständnislos sinken.

Die Unterschiede zur jammernden und schwafelnden Intelligenzija der Ranewskaja, ihres Bruders Gajew (Falilou Seck) oder dem Studenten Trofimow (Aram Tafreshian) werden hier an rein kulturellen Differenzen festgemacht. Da geht doch einiges verloren. Die Ausdeutung der meisten Hauptfiguren bleibt bei allem darstellerischen Können doch recht vage. Den Nebenfiguren bzw. Bediensteten wird in Erpulats Kirschgarten dagegen klar ihre Entsprechung in der heutigen deutschen Einwanderungsgesellschaft zugewiesen. Ihnen allen scheint irgendetwas zu fehlen. Sei es die Identität, Liebe, Zugehörigkeit oder gar die Heimat.

Sie wirken dementsprechend auch irgendwie orientierungslos. Çetin İpekkaya als Firs irrt auf der Bühne umher, verfällt immer wieder in die türkische Sprache und wird von den anderen nicht ernst genommen. Tamer Arslan als Jascha spielt den coolen Macho im Trainingsanzug. Pitschick (Mehmet Yilmaz) und Dunjascha (Mareike Beykirch) sind Karikaturen der Anpassung im deutschen Trachtenlook. Die Travestiekünstlerin Fatma Souad bringt als Charlotta mit ihrer ganz speziellen Geschichte (schwul, lesbisch, türkisch, berlinerisch) etwas Kreuzberger Lokalkolorit nach Mitte. Die schon bei Tschechow alters- und heimatlose Gouvernante als transidentisch darzustellen, ist natürlich schlüssig, aber auch nicht ganz neu.

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2013/12/Gorki5.jpg

Berliner Herbstsalon des GOЯKI - Foto: St. B.

Tschechows differenzierte Figurenzeichnung tritt hier hinter die klare Absicht des Regisseurs zurück. Nur dass der aktuelle Anstrich bisweilen etwas zu plakativ ausfällt. Immer wieder werden deutsche Volkslieder gesungen, und eine Musikerin (Sinem Altan) im schwarzen Hidschab spielt Klavier. Spätestens wenn Lopachin sich seine neue Heimat gekauft hat und beginnt, die alten Tapeten abzureißen, schlägt auch bei ihm die unaufgearbeitete Vergangenheit durch. Tradition und Moderne geben sich auf der Bühne die Hand. Man tanzt zu türkischer Musik und spricht vom Aufbruch in eine neue Zeit. Zumindest tut man so. Und da ist man dann wieder ganz nah bei der Sehnsucht der Tschechow’schen Figuren.

*

Olga Grjasnowas Roman Der Russe ist einer, der Birken liebt (inszeniert von Yael Ronen) und Schwimmen lernen von Marianna Salzmann (inszeniert von Hakan Savaş Mican)


In den anderen beiden Inszenierungen ist man dann doch etwas näher dran an der Lebenswirklichkeit junger Migranten in Deutschland. Die junge Jüdin Mascha (Anastasia Gubareva) aus Olga Grjasnowas Roman Der Russe ist einer, der Birken liebt ist Kontingentflüchtling aus der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan. Sie ist kriegstraumatisiert und daher nicht gerade auskunftsfreudig, was ihre Vergangenheit angeht, die sich ihr deutscher Freund Elias (Knut Berger), mit Hang zum Zuschreibungswahn, entsprechend zusammenreimt. Da gibt es dann genug Platz für altbekannte Klischees und Missverständnisse. Zwischen die Beiden schiebt sich der in Deutschland gestrandete und auf ein Visum für die USA wartende Palästinenser Sami (Thomas Wodianka). Er ist einer, der keine Milch von Kühen im Kaffee mag und auch ansonsten nicht viel auf Traditionen gibt. Cem (Dimitrij Schad) ist Türke, schwul, spielt Gitarre und mimt den Conférencier.

Armes Deutschland, kann da Elias Vater Horst (Tim Porath) nur noch von sich geben. Der Deutsche ist hier entweder provinziell verknöchert und stink konservativ oder hyperaktiv um Verständnis heuchelnd. Zumindest muss alles seine Ordnung haben und sich entsprechend einsortieren lassen. Elias kommt mit seinen Fragen allerdings nicht mehr weit. Er erliegt nach der Hälfte des Stücks den Folgen eines blöden Sportunfalls, und mit ihm auch die Lebenslust Maschas. Nach einem traumatischen Besuch in der ostdeutschen Provinz bei Elias Vater, der den Sinn des Lebens darin sieht, die vielen Kuckucksuhren seines Vaters aufzuziehen, über den er sonst auch nicht viel mehr weiß als über seinen Sohn Elias, verkriecht sich Mascha erstmal für Wochen mit dessen Spotshirt ins Bett. Dass sie da nicht ranzig wird, hat sie Cems Hartnäckigkeit und seinem Sinn für aufbauende Geschichten zu verdanken.

Über schlüpfrige Umwege kommt die sprach- und anderweitig begabte Mascha an ein Auslandsstipendium und damit schließlich nach Israel. Neues Land, neue Liebe, neues Leben. Erinnerungen an früher und allzu feste Wurzeln sind da nur noch hinderlich. Grjasnowas Roman ist ein schöne Beschreibung der bindungsarmen, zwischen den Welten switchenden Jugendlichen, die sich eigentlich nicht viel Gedanken über ihre eigentliche Identität und Heimat machen, diese aber trotzdem immer im Hintergrund mit sich herumschleppen und auch von der Gesellschaft hinterfragt bekommen. Die Inszenierung von Yael Ronen ist frisch, witzig, mit viel Situationskomik und macht definitiv Lust auf mehr.

*

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2013/12/Gorki-Studio1.jpgGanz ähnlich geht es der jungen Protagonistin im Stück Schwimmen lernen der Dramatikerin Marianna Salzmann. Die Russin Lil (Marina Frenk) fühlt sich einsam in Deutschland. Sie träumt vom Meer in ihrer Heimat. Feli (Anastasia Gubareva) und Pep (Dimitrij Schad) dagegen sind ein Paar und halten sich für die beste Idee. Diese will aber auf Dauer nicht so recht zünden. Feli lernt Lil kennen und lieben. Angesteckt von Lils Idee vom Meer gehen beide schließlich nach Russland. Aber das Leben dort birgt andere Schwierigkeiten. Lil ist schnell genervt von den Kuchennachmittagen und Fragen der Verwandten, und Feli fügt sich schwer in ihren neuen Job ein. Der Alltag ist Gift für die junge Liebe und das Meer nur eine ferne Projektion.

Wieder ein schönes Stück über Sehnsüchte Jugendlicher nach Freiheit und Geborgenheit gleichermaßen. Vereinbar scheinen Beide auf Dauer nicht zu sein. Irgendwann ist Feli wieder weg und Lil im fremden Land auf sich allein gestellt. Hakan Savaş Mican inszeniert diesen zwischen Aufruhr der Gefühle und Melancholie schwankenden Lovesong auch als solchen. Die Darsteller singen immer wieder von Heimweh, Liebe und Liebesleid. Sie spielen dazu begnadet auf der Gitarre, dem Klavier oder trommeln sich die Seele aus dem Leib. Heiß her geht es, bis zum Schluss die Fenster geöffnet werden und die jungen Leute auf die Straße ausbrechen. Ganz großes Theater im kleinen neuen Studio Я, das in Zukunft auch unter der Leitung von Marianna Salzmann stehen wird.

*

Es sagt mir nichts, das sogenannte draußen - Sebastian Nübling inszeniert Sibylle Berg

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2013/12/SIBYLLE-BERG1-e1387467762986.jpgSibylle Berg im Oktober 2013

Foto: Katharina Lütscher

Ganz ohne Migrationshintergrund kommt dagegen das extra fürs neue Gorki geschriebene Stück der Schriftstellerin, Dramatikerin und Spiegel-Online-Kolumnistin Sibylle Berg aus. Jugendlich sind die Protagonistinnen des lockeren Fünfundsiebzig-Minüters Es sagt mir nichts, das sogenannte draußen aber schon. Regisseur Sebastian Nübling, den Shermin Langhoff überraschender Weise fürs Gorki verpflichten konnte, besetzt das Stück für eine Person und mehrere Stimmen dann auch mit den vier jungen Schauspielerinnen Nora Abdel-Maksoud, Suna Gürler, Rahel Jankowski und Cynthia Micas. Deren vierstimmigen Wutschwall, von Berg als ununterbrochener Fließtext geschrieben, inszeniert Nübling als stampfendes, dampfendes Körperballett auf ansonsten leerer Bühne. In Schlabberlook und Nerdbrille zieht das Quartett dabei chorisch und unkorrekt über den heutigen Zeitgeist mit seinem Jugend-, Mode- und Körperwahn her.

Aus der Sicht der namenlosen Hauptprotagonistin hört dieses Rumgeleide aus Liebeskummer, Partystress und Identifikationdruck wahrscheinlich nie auf. Aber ob da einfach nur Älterwerden die Lösung bringt, darf bezweifelt werden. Vorerst bedient frau noch weiter bestens alle möglichen Ziel- und Randgruppen-Klischees. Dass es hier vor allem immer wieder die heteronormative Männlichkeit trifft ist durchaus beabsichtigt. „Schräger Pony, verdeckt beginnende Geheimratsecken, enge Hose, korrekter BMI, Nerd-Brille ... und tschüss!“ Aber auch trendige Fitness-Beautys bekommen ihr Fett weg. „Wie werde ich überflüssige Pfunde am schnellsten los?“ Zuviel Hormone oder überhaupt Gefühle sind da einfach nur zum Kotzen. Zwischendurch rufen immer mal wieder die Schwestern Minna und Gemma oder die angehimmelte Freundin Lina an, während Stiefpapa Paul, das Opfer, im imaginierten Kellerverließ sitzt.

So trampeln sich die vier Darstellerinnen den Frust vom Leib und übertragen mit viel Coolness ihren We don't give a shit-Storm aufs mehrheitlich jugendliche Publikum. Nur, wer die Radikalität der Bücher von Sibylle Berg kennt und weiß mit welcher oft auch moralischen Keule sie die Leser ihrer S.P.O.N.-Kolumnen traktieren kann, wird hier an manchen Stellen auch schon mal verstohlen gähnen. Ihre sonst recht böse Ironie kommt hier zuweilen doch recht nett daher. Und während Frau sich noch so ihren Teil denkt, schläft Mann vielleicht schon fest.

----------

Siehe auch: Kultura-Extra

www.blog.theater-nachtgedanken.de

Der Kirschgarten
eine Komödie von Anton Tschechow

Mit:
Jascha: Tamer Arslan
Dunjascha: Mareike Beykirch
Firs: Çetin İpekkaya
Anja: Marleen Lohse
Ranewskaya: Ruth Reinecke
Lopachin: Taner Şahintürk
Gajew: Falilou Seck
Trofimov: Aram Tafreshian
Warja: Sesede Terziyan
Simeonow-Pischtschik: Mehmet Yılmaz
Charlotta: Fatma Souad
Musiker: Özgür Ersoy
Musikerin: Sinem Altan

Regie: Nurkan Erpulat
Bühne: Magda Willi
Kostüme: Ulrike Gutbrod
Musik: Sinem Altan / Tobias Schwencke
Licht: Norman Plathe
Dramaturgie: Daniel Richter

Weitere Informationen: http://www.gorki.de/spielplan/der-kirschgarten/

---

Der Russe ist einer, der Birken liebt (UA)
von Olga Grjasnowa in einer Bühnenfassung von Yael Ronen

Mit: Mehmet Ateşçí, Knut Berger, Anastasia Gubareva, Orit Nahmias, Tim Porath, Dimitrij Schaad, Thomas Wodianka

Regie: Yael Ronen
Bühne: Magda Willi
Kostüme: Esther Krapiwnikow
Video: Benjamin Krieg
Musik: Yaniv Fridel / Dimitrij Schaad
Dramaturgie: Irina Szodruch.

Weitere Infos: http://www.gorki.de/spielplan/der-russe-ist-einer-der-birken-liebt/

---

Schwimmen lernen. Ein Lovesong
von Marianna Salzmann

Mit: Marina Frenk, Anastasia Gubareva, Dimitrij Schaad.

Regie: Hakan Savaş Mican
Bühne und Kostüme: Sylvia Rieger
Musik: Enik
Video: Benjamin Krieger
Licht: Daniel Krawietz
Dramaturgie: Irina Szodruch.

Weitere Infos: http://www.gorki.de/spielplan/schwimmen-lernen/

---

Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen (UA)
von Sibylle Berg

Mit: Nora Abdel-Maksoud, Suna Gürler, Rahel Jankowski, Cynthia Micas.

Regie: Sebastian Nübling
Choreographie: Tabea Martin
Raum: Magda Willi
Kostüme: Ursula Leuenberger
Mitarbeit Raum/Kostüme: Moïra Gilliéron
Licht: Jan Langebartels
Dramaturgie: Katja Hagedorn.

Weitere Infos: http://www.gorki.de/spielplan/es-sagt-mir-nichts-das-sogenannte-draussen/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden