Gundermann

Kino Andreas Dresens Portrait des Musikers und Baggerfahrers Gerhard Gundermann ist auch ein Film über das Ringen um die Deutungshoheit der eigenen DDR-Biografie

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Anna Unterberger und Alexander Scheer
Anna Unterberger und Alexander Scheer

Foto: Peter Hartwig/Pandora Film

Die Sicht auf den deutschen Osten verstellen immer noch viele Klischees und Vorurteile. Dennoch und gerade auch deswegen ist die Ostidentifikation nicht tot zu kriegen und die Aufarbeitung von ostdeutschem Lebensgefühl und Legenden nicht abgeschlossen. Alle Jahre wieder ist es Zeit, sich zu erinnern. Wenn es auch manche nicht mehr hören wollen, zu sehen ist es momentan in zwei neuen Filmen über die alte DDR. Neben dem dokumentarischen Portrait über die streitbare deutsche Intellektuellenfamilie Brasch aus Ost-Berlin geht es da auch um einen singenden Baggerfahrer aus dem Lausitzer Braunkohlerevier rund um die nach der Wende zu zweifelhaftem Ruhm gelangte Stadt Hoyerswerda, damals zum Energiebezirk Cottbus gehörig, heute zum Bundesland Sachsen. Erst Braunkohle, jetzt nur noch braun, muss man da im Moment wohl zynisch witzeln. Hoywoy, wie es im Volksmund immer noch heißt, war eine der vielen sozialistischen Musterstädte, in der z.B. auch Brigitte Reimanns Roman Franziska Linkerhand spielt. Menschen mit fast grenzenlosem Idealismus stoßen beim sozialistischen Aufbau an die Grenzen des real existierenden Sozialismus.

Ein solcher Mensch ist auch Gerhard „Gundi“ Gundermann (1955-1998). Regisseur Andreas Dresen hat es nach der Verfilmung von Clemens Meyers Leipziger Wenderoman Als wir träumten für seinen neuen Spielfilm Gundermann in die Lausitz verschlagen. Ein Landstrich mit rauen Menschen (wie Gundermann singt) vom Braunkohletagebau geformt. Gräbendorf, Nochten, Seese-Ost, Seese-West oder Welzow-Süd hießen die Gruben, benannt nach den Dörfern, die ihnen weichen mussten. Im Tagebau Spreetal, genannt „Brigitta“, arbeitete Gerhard Gundermann erst als Hilfsarbeiter dann als Maschinist für Tagebaugroßgeräte auf dem Schaufelbagger 1417. Dresens Film beginnt aber nach der Wende 1992. „Immer wieder wächst das Gras, klammert all die Wunden zu“, singt da Gundermann zur Gitarre und sucht eine neue Band. Dass manchmal auch ein Esel kommt und das Gras abfrisst, was alte Wunden wieder aufreißt, erfährt der Sänger wenig später, als ihm ein Puppenspieler (Thorsten Merten) seine Vergangenheit als IM „Grigori“ präsentiert.

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Gundermann war überzeugter Kommunist, Offiziersschüler und doch auch widerspenstig. Weil er gegen stalinistischen Personenkult ist und kein Lied zu Ehren des Armeegenerals Heinz Hoffmann singen will, wird er aus der Armee entlassen und geht in die Produktion, kämpft da weiter gegen unsinnige Normbeschlüsse und schlechte Arbeitsbedingungen. Und trotzdem: Einer, der mit anderen, aber v.a. auch mit sich selbst immer hart ins Gericht gegangen ist, verdrängt und vergisst einen Teil seines Lebens, eine ganze Dekade. Das ist Gundermanns Manko, ein Makel, den er sich nicht verzeihen kann. Ansonsten kann er sich für diesen dunklen Punkt in seiner Vergangenheit nicht entschuldigen. Eine Konsequenz, die viele nicht verstehen werden, die aber zum Selbstverständnis Gundermanns gehört, wie das Beharren auf seiner inhaltlichen Kritik beim Parteiausschluss. Wenn er auch zugibt, an der Form seiner Kritik noch feilen zu müssen. „Der Kollege hat den Vor- und Nachteil, dass er sagt, was er denkt.“ ist die Einschätzung einer älteren Parteigenossin und Kollegin Gundermanns, der in einer Szene des Films schon mal einen Minister vor versammelter Mannschaft mit konkreten Fragen düpiert und einen anderen Partei-Funktionär in den Grubendreck stößt.

Sein Parteibuch gibt er nicht freiwillig her, wie auch seinen Stolz nicht. Der Stolz eines Menschen, der bis zum Ende mit der ihm eigenen Gewissheit darauf besteht, auf das richtige Pferd gesetzt zu haben, wenn auch das falsche gewonnen hat. Und wie schon der Schriftsteller Ronald M. Schernikau (auch bekannt als Der letzte Kommunist, wie eine 2009 erschienene Biografie titelt), sagte: „Die Dummheit der Kommunisten halte ich für kein Argument gegen den Kommunismus“, so bleibt auch Gundermann nach der Wende ein Kritiker des sich vor allem in materiellen Dingen runderneuernden Systems, das nun wieder Kapitalismus heißt und dem er seine intelligenten, manchmal melancholischen, aber v.a. immer sehr poetischen Songtexte entgegenhält. Fast ruhelos geht es vom Konzert gleich auf den Bagger. Neben dem Künstler bleibt Gundermann im Herzen Proletarier, will sich nicht abhängig machen vom Musikgeschäft.

Als die Bagger dann still stehen, singt er melancholisch: „Ach meine Grube Brigitta ist Pleite / Und die letzte Schicht lang schon verkauft / Und mein Bagger der stirbt in der Heide / Und das Erdbeben hört endlich auf.“ Gedreht wurde u.a. im Tagebau Nochten. Originales Großgerät und riesige Abraumhalden erinnern dort noch immer an die Mondlandschaften, die die Braunkohlebagger geformt haben. Dass Gundermann nun seine ökologische Ader entdeckt und „Unter der Fahne der Grünen Armee“ die Löcher in der Lausitzer Erde wieder schließt, zeigt der Film lediglich beim Retten eines angefahrenen Igels, den er dann fast schon symbolisch wie ein paar seiner Träume zu Grabe trägt. „Und ich habe keine Zeit mehr. Ich nehm den Handschuh auf. Ich laufe um mein Leben und gegen den Lebenslauf.“ singt Gundermann 1995. Das wird zum Motto von Dresens Film, der immer wieder in Gundis Lebenslauf zurück in die 1970er Jahre springt, zeigt, wie der junge, zuweilen etwas naive Idealist sich mit Che und Marx im Gepäck an den alten Funktionärseliten abarbeitet und ganz allein „Wo soll ich landen / Wenn der Tank leer ist“ singt.

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Ohne eigenen Vater, der den Kontakt zum Sohn zeitig abbrach, landet Gundermann schließlich bei seinem Führungsoffizier, den Axel Prahl wie einen väterlich lockenden Mephisto spielt, nebst Bewährungseinsatz in Ungarn, um einen bayrischen „Menschenhändler“ in die DDR zu locken. Was an Gundermanns fehlender Trinkfestigkeit wie am Mangel entsprechender Verstellungskunst scheitert. Ein dauernder Tanz auf Messers Schneide. Dass Gundermann in seinem späteren Zaudern, sich zu outen, auch wie eine Hamletfigur zwischen Sein und Nichtsein abwägt, zeigt der Film zum Ende in einer Puppenspielszene. Die Entscheidung, seinem Eingeständnis in einem Zeitungsinterview mit einer befreundeten Journalistin (Kathrin Angerer) nicht die erwartete Reue folgen zu lassen, ist aber auch eine bewusste Wahl, sich weiterhin Ärger einzuhandeln. Auch in der Gauckbehörde schlägt Gundermann bei der Suche nach seiner Täterakte Unverständnis entgegen. Seine Opferakte, angelegt nachdem der prinzipiell Eigenwillige selbst zum Ziel von Spitzelleien wird, bleibt verschwunden.

Diesen Gundermann spielt Ex-Volksbühnenstar Alexander Scheer, bekannt auch aus anderen Filmen über deutsche Vergangenheit wie Sonnenallee (Ost) oder Gladbeck (West). Scheer taucht in Aussehen, Gestik und Duktus ganz tief in die Figur Gundermann ein. Der Schauspieler hat mit der Band des Liedermachers Gisbert zu Knyphausen (im Film auch zum Teil als Gundermanns Nachwendebegleitband Seilschaft zu sehen) den 18 Songs umfassenden Soundtrack eingespielt. Es ist durchaus ein Glücksfall für den Film, dass sich Scheer als Schauspieler ebenso glaubhaft verbrauchen kann wie Gundermann zwischen Bagger, Singegruppe, Liebesbeziehung und Parteiversammlung. Zweiter Strang des Films ist Gundermanns unermüdliches, über Jahre dauerndes Werben um die mit einem Musikerkollegen verheiratete Conny (Anna Unterberger), die den schwer zu Bremsenden auch später immer wieder mit einem energischen „Och, Gundi“ und auch mal mit einem gezielten Tassenwurf erden wird.

Regisseur Dresen und seine langjährige Drehbuchautorin Laila Stieler hatten die beiden bereits bestehenden Dokumentarfilme von Richard Engel, das Interviewbuch Tankstelle für Verlierer von Journalist und Theaterkritiker Hans-Dieter Schütt (zu sehen in einer Interviewszene mit Gundi und Conny auf der DDR-typischen Hollywoodschaukel) sowie die Baggerbänder, eine Art Tagebuch, das Gundermann auf ein Diktiergerät bei der Arbeit gesprochen hatte, zur Verfügung. Ihnen ist ein überzeugendes Portrait eines Menschen gelungen - und es menschelt mitunter gewaltig in Dresens Film - der schräge Type ist und doch v.a. auch fehlbarer Mensch bleibt, wenn er am Ende von sich behauptet: „Ich sehe mich nicht als Opfer und auch nicht als Täter. Ich habe mich mit der DDR eingelassen - mit wem sonst? - und ich habe ausgeteilt und eingesteckt. Und ich habe gelernt. Deswegen bin ich auf der Welt.“ So wie der Film-Gundermann mit sich ringt, hat auch Dresen zehn Jahre lang um die Finanzierung seines Films gerungen. Dass er es mit diesem Versuch einer Annäherung an den politisch denkenden Menschen und Musiker Gundermann zwischen Fakten und künstlerisch freier Interpretation nicht jedem recht machen wird, ist auch klar. Aber was dem einen sein Dylan, ist dem andern sein Springsteen, oder Wader, Wecker, Wenzel oder eben auch Gundermann. Es ist wieder an der Zeit, sie zu hören.

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Zuerst erschienen am 30.08.2018auf Kultura-Extra.

GUNDERMANN (D, 2018), 127 Min.
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Laila Stieler
Kamera: Andreas Höfer
Produzenten: Claudia Steffen, Christoph Friedel
Koproduzenten: Peter Hartwig, Björn Hoffmann
Redaktion: Cooky Ziesche (rbb), Andreas Schreitmüller (Arte), Dagmar Mielke (rbb / Arte)
Szenenbild: Susanne Hopf
Kostümbild: Sabine Greunig
Maskenbild: Grit Kosse, Uta Spikermann
Besetzung: Karen Wendland
Schnitt: Jörg Hauschild
Musikproduktion: Jens Quandt
Ton: Peter Schmidt, Thomas Neumann, Ralf Krause
Mit: Alexander Scheer, Anna Unterberger, Axel Prahl, Thorsten Merten, Eva Weißenborn, Benjamin Kramme, Milan Peschel, Kathrin Angerer, Peter Sodann u.a.
eine Produktion von Pandora Film Produktion
in Koproduktion mit Kineo Filmproduktion, Rundfunk Berlin-Brandenburg / Kinoinitiative Leuchtstoff, ARTE
Kinostart war am 23. August 2018

Infos: https://www.gundermann-derfilm.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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