Hasta la Westler, Baby!

Premierenkritik Am Deutschen Theater enttäuschen Jürgen Kuttner und Tom Kühnel mit einer musikalischen Nummernrevue zum Thema deutsche Einheit

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„Da wächst zusammen, was zusammengehört“, ist eine der auch nach 30 Jahren immer noch ziemlich hohl klingenden Phrasen der deutschen Wiedervereinigung, die sich nur teilweise verwirklicht hat. Dass da noch nicht alles aufgearbeitet ist, zeigt schon die recht einseitige Behandlung des Themas an den Bühnen des wiedervereinigten Landes. So richtig von Interesse ist das Wühlen in deutsch-deutschen Befindlichkeiten scheinbar nur im Osten Deutschlands, wo mit Werken von ehemaligen Ost-Autoren wie Volker Braun (Die hellen Haufen) oder Oliver Bukowski (Birkenbiegen) die Folgen der Wiedervereinigung dramatisch angegangen werden. Dazu kommt noch das Autor-Alter-Ego von Regisseur Armin Petras, Fritz Kater, der hin und wieder in seinen Stücken die Wendezeit reflektiert. Das ist aber meist schon etwas länger her. Im Jubiläumsjahr fehlt es an aktueller Dramatik, so dass man sich meist mit älteren Stücken sowie Roman- und Filmadaptionen behelfen muss.

Das Deutsche Theater gedachte in dieser Spielzeit unter dem Motto „30.nach.89“ bereits des Jubiläums 30 Jahre Mauerfall und Wende. Logische Folge ist in diesem Jahr die künstlerische Verarbeitung der Wiedervereinigung, die sich im Oktober 1990 mit dem Beitritt der DDR zum Grundgesetz der alten Bundesrepublik vollzog. Was scheinbar immer geht, ist eine Revue, die sich ironisch und mit viel Musik die Sache vom Hals hält. Als Meisterironiker hat sich das DT den bekannten Videoschnipsler der alten Volksbühnenära Jürgen Kuttner geholt, der sich mit seinem Ko-Regisseur Tom Kühnel (der 2018 in Dresden mit Wir sind auch nur ein Volk nach den gleichnamigen Drehbüchern von Jurek Becker schon Vorarbeit leistete) der Sache angenommen hat.

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Die ebenso bekannte wie ernüchternde Bilanz der Wiedervereinigung, die mit einem Ausverkauf der DDR-Industrie einherging, flimmert bereist am Anfang in Zahlen über den noch geschlossenen Vorhang in den DT-Kammerspielen. Ob das heute noch jemanden interessiert, ist dabei weniger die Frage als die, ob der Osten tatsächlich anders tickt und vielleicht die Ursachen für die Ablehnung etablierter Parteien und die vermehrte Hinwendung zur AfD im Osten nicht doch auch (aber natürlich nicht nur) in einer Missachtung von Lebensleistungen und faktisch von oben verordneten Enteignung zu finden sind. Das zu untersuchen, wie zum Beispiel Wolfgang Engler und Jana Hensel in ihrem Gesprächsbuch Wer wir sind - Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein, wäre eine durchaus lohnende Aufgabe für Theaterschaffende. Kuttner und Kühnel versuchen es in den Kammerspielen mit einer Hasta la Westler, Baby! - Ein deutsches Theater mit Musik genannten Nummernrevue.

Wie man 30 Jahre aneinander vorbeileben kann, demonstrieren gleich zu Beginn des Abends Maren Eggert und Peter René Lüdicke als ungleiches Ost-West-Paar, das sich wie bei einer Art Therapiegespräch gegenübersitzt und dabei über erste Erfahrungen beim Besuch des jeweils anderen Landes erzählt. Die Infragestellung seiner Identität, die der Ostler gegenüber neuen, unbekannten Machthabern empfindet, steht gegen die Abwertung des Ostens durch den Westler, der dem Gegenüber einfach 40 Jahre ungelebtes Leben unterstellt. Jeder Satz vom anderen wird da wie eine bewusste Verletzung wahrgenommenen. Die anschließende erzwungene Umarmung wirkt dann auch ziemlich verkrampft. Als Ausgangspunkt des Abends ist das natürlich recht klug gedacht.

Was aber folgt ist eine Aneinanderreihung altbekannter Klischees, wie in einem Motivationsseminar, bei dem Božidar Kocevski im Cowboy-Kostüm, den Ossi-Indianern Maren Eggert, Katrin Klein und Peter René Lüdicke den Westen bzw. die westdeutsche Kauf- und Verkaufsmentalität erklärt. Dass der Osten wie eine Kolonie vom Westen in Besitz genommen wurde, signalisiert Kuttner bereits in einer Eingangssequenz, bei der er als Astronaut wie Neil Armstrong auf dem Mond eine deutsche Flagge in den Boden, der von Jo Schramm ansonsten relativ leer gehaltenen Bühne rammt. Das weiter auszubauen fehlt dem Abend dann aber doch der rechte Schneid. Kuttner und Kühnel begnügen sich dagegen mit ironischer Videoschnipselei einer SFB-Sendung, bei der Moderator Cherno Jobatey altklug erklärt, was die Ostdeutschen sich mit 4.000 eins zu eins umgetauschten D-Mark kaufen können, anstatt sich zu fragen, ob sie diese überhaupt haben.

Ein Abend „zwischen Reflexion und Quatsch“ soll es laut Conférencier Jürgen Kuttner sein, wobei der Quatsch in Form eines Zitate-Hütchenspiels oder vor Bluescreen gefilmten Musikvideos, in dem Božidar Kocevski zum abstürzenden „Bundesadler“ aus dem gleichnamigen Song von Funny van Dannen wird, ziemlich überhandnimmt. Provozieren sollen ein Vortrag von Peter René Lüdicke als britischer Historiker James Hawes, der davon referiert, dass alles Schlechte in der deutschen Geschichte aus dem Osten kommt, und Kuttner, der mit Erich Honeckers letzter Rede von Siegerjustiz, einem Europa der Reichen und der DDR als gescheitertem Experiment spricht. Auch Günter Gaus hat es mit einer Einschätzung der Ideologie des Kapitalismus, nach der jeder seines Glückes Schmied ist, in diese bunte Nummernrevue geschafft, in der außerdem aus den bitteren Tagebüchern von Michael Eberth, dem aus dem Westen an das Deutsche Theater gekommenen Chefdramaturgen der Nachwende-Intendanz von Thomas Langhoff, mit dem sarkastisch anmutenden Titel Einheit zitiert wird. Ein Musterbeispiel für ein ziemlich tragisches Ost-West-Missverständnis.

Musikalisch schwelgt der Abend mit der Westernhagen-Parodie „Ich bin froh, dass ich kein Ostler bin“ und Funny van Dannens Als Willy Brandt Bundeskanzler war zwischen Klamauk und Nostalgie. Auch der Ostschlager kommt in einem bunten Medley der Ost-West-Melodien, live gespielt von Matthias Trippner und dem gut aufgelegten Ensemble gesungen, nicht zu kurz. Maren Eggert setzt den Schlusspunkt mit der deutschen Version des Abba-Songs Der Sieger hat die Wahl. Doch auch das kann letztendlich nicht wirklich überzeugen. Aber gut, dass wir mal drüber gesungen haben.

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Zuerst erschienen am 27.01.2020 auf Kultur-Extra.

Hasta la Westler, Baby!
Ein deutsches Theater mit Musik
von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Regie Tom Kühnel, Jürgen Kuttner
Bühne Jo Schramm
Kostüme Daniela Selig
Musik Matthias Trippner
Video Bert Zander
Licht Kristina Jedelsky
Dramaturgie Claus Caesar
Mit: Maren Eggert, Katrin Klein, Božidar Kocevski, Jürgen Kuttner, Peter René Lüdicke
Live-Musik: Matthias Trippner
Live-Video: Bert Zander
Die Uraufführung war am 24. Januar 2020 im Deutschen Theater, Kammerspiele
Termine: 28.01. / 09., 24.02.2020

Infos: https://www.deutschestheater.de/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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