Haußmanns Staatssicherheitstheater

Premierenkritik Leander Haußmann inszeniert seine eigens für die Berliner Volksbühne geschriebene Stasiklamotte

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es mutet schon irgendwie grotesk an. Während René Pollesch in Zürich mit Kathrin Angerer und Marin Wuttke zwei ehemalige Volksbühnenstars in einem Stück namens Ich weiß nicht, was ein Ort ist... auftreten lässt, versucht Leander Haußmann am Ort früherer Pollesch-Erfolge mit dem halben Peymann-BE-Ensemble die alte Volksbühne wiederzubeleben. Ein Versuch, der fast zwangsläufig scheitern muss, zumal der alte Castorf-Kollege und Regisseur von Kult-Filmen über die Ex-DDR wie Sonnenallee oder NVA eine Komödie mit dem Titel Haußmanns Staatssicherheitstheater aufführt.

Da wittern natürlich manche sofort jede Menge Ostalgie und klamaukigen Stasi-Ulk. Ganz Unrecht sollten sie damit auch nicht haben. Trotzdem hatte sich so ziemlich alles, was in Berliner Künstler- und Theaterkreisen Rang und Namen hat, zur Premiere dieser ersten Eigenproduktion der von Klaus Dörr nach dem Rauswurf von Chris Dercon interimsmäßig geleiteten Volksbühne eingefunden. Es fehlte vermutlich nur Claus Peymann, und selbst Frank Castorf (!) betrat seit dem Ende seiner Intendanz im Sommer 2017 wohl zum ersten Mal wieder seine alte Wirkungsstätte. Die Erwartungen waren dementsprechend hoch, hatte Leander Haußmann doch selbst ordentlich in der Presse für sein Stasi-Stück getrommelt. Den ersten Szenenbeifall gab es schon zu Beginn, als noch nicht mal ein Wort gesprochen war, dafür aber ein dreistöckiges Altberliner Wohnhaus (Bühne: Lothar Holler) mit einer Kantinennachbildung der Volksbühne, mehreren Zimmern und einem Dachboden aus der Unterbühne hochfuhr. Schöner hätte es Aleksandar Denić sicher auch nicht bauen können.

Eingebetteter Medieninhalt

In dieser Kulisse sitzen Horst Kotterba als Ex-DDR-Literat Ludger Fuchs (was für ein Name) und die letzte übriggebliebene Volksbühnenschauspielerin Silvia Rieger als seine Frau Renate und blättern gemeinsam in der Stasiakte des ehemaligen Underground-Poeten. Der hatte zuvor schon über Lüge und Wahrheit philosophiert. Was nun vor den beiden liegt, ist über Jahre akribisch von der Stasi zusammengetragen worden. Das Fotoalbum eines halben Lebens samt einem alten Liebesbrief, der nicht von Renate stammt und zu einiger Irritation ihrerseits führt. Ludgers kleinlautes Resümee: „Da schafft es die Stasi nun doch noch, uns auseinanderzubringen.“ Zersetzen und Zermürben, das war die Taktik der Staatssicherheit, die sich mittels offizieller und inoffizieller Mitarbeiter in die Prenzlauer-Berg-Bohème der alten DDR einzuschleusen versuchte. Dass dies auch gelang, ist bestens bekannt.

Der Witz an Haußmanns Stasi-Plot ist, wie er in mehreren Radio- und Zeitungsinterviews verlauten ließ, dass die extra dafür ausgebildeten Stasispitzel selbst eine Künstlerkarriere begannen und diese sogar noch nach der Wende weiter zu führen versuchten. Der Autor und Regisseur Haußmann stützt sich dabei auf eine altbekannte These von Wolf Biermann, der in seiner Büchnerpreisrede 1991 den gesamten DDR-Künstler-Underground als blühenden Schrebergarten der Stasi mit spätdadaistischen Gartenzwergen mit Bleistift und Pinsel bezeichnete. Wie diese Gurkentruppe operativ taktisch vorging, wird nun von Haußmann in einer grell gezeichneten Parodie vorgeführt. Zunächst darf aber Uwe Dag Berlin als alter Stasimitarbeiter von gekappten Renten sprechen und über Siegerjustiz wettern. Eine Ungerechtigkeit gegenüber seinesgleichen, die sich selbst bei seinen Kindern und Kindeskindern einprägen und für bleibenden Unmut und Revolte sorgen wird. Pegida lässt grüßen und ein Gruß von Dag Berlin in Richtung Paris lässt einen da kurz auch mal erschauern.

Was folgt ist allerdings ein 90minütiger Stasi-Witz mit Waldemar Kobus als Minister („Ich bin zwar dick, aber nicht nett“) einer ganzen Familie (hier der nächste Lacher: „Famielke“) von Knallchargen mit dem Handgelenktaschen-Accessoire eines typischen unauffälligen Stasimitarbeiters im operativen Außendienst. Von Uwe Dag Berlin und Norbert Stöß als Stasi-Oberstleutnant wird diese „LSD“ genannte Künstler-Sondereinheit entsprechend geschult. Einsatzort ist also der Kiez um den Helmholtzplatz mit Lychener-, Schliemann- und Dunckerstraße, dem Zentrum der Ostberliner Künstler-Bohème, hier kurz „NegDeks" (Negativ Dekadente Elemente) genannt. Das hat durchaus Witz, besonders wenn die Truppe dem in Frauenkleidern steckenden Minister zum Einschlafen den Rotgardistenkampfsong Der kleine Trompeter singt. Haußmann walzt das Ganze aber bis zur Pause dermaßen aus, dass man sich fragt, wann die Geschichte jetzt eigentlich endlich mal richtig losgeht.

Zum Einsatz kommt der junge Ludgar (Matthias Mosbach) mit Tarnname „Bunter Hund“ dann nach der Pause. Zusammen mit einem jungen Kollegen vom alten „Stasi-Adel“ (Christopher Nell) bricht er in die Wohnung von Renate ein. Der Schlüssel liegt natürlich unter der Matte, was auf dem DDR-üblichen Notizblock (mangels Telefon) an der Wohnungstür steht. In einer weiteren komischen Rolle darf Silvia Rieger im Fatsuit als Nachbarin Frau Krüger und IM „Spitzmaus“ den Block immer wieder als Klopapier nutzend auf halbe Treppe gehen. Der Plot ist also nicht arm an DDR-Klischees. Untermalt wird das immer wieder mit passender Musik von ehemaligen Ost-Kult-Bands wie Renft (Nach der Schlacht, Manchmal fällt auf uns der Frost), Feeling B (Artig, Mix mir einen Drink) oder Bettina Wegners Traurig bin ich sowieso im Schlager-Remix.

Das Stasigespann treibt in der Wohnung „Methodenschauspiel“ und andere schräge Sachen, bis Renate (nun Antonia Bill) nach Hause kommt und sich Ludger im Schrank verstecken muss, in dem ihn sein eigener Vater (wieder Horst Kotterba als langmähniger Maler und Liebhaber Renates) entdeckt und einen Herzinfarkt erleidet. Dazu säuselt Manne Krug Niemand liebt Dich so wie ich, und das neue Paar findet sich zu Sartres „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt“. Da Renate selbst bei der „Firma“ ist, wird kurzer Hand die Hochzeit befohlen und Ludgar in die Prenzlauer-Berg-Bohème eingeführt, wobei er kurz den Sascha Anderson macht.

Da das anscheinend noch nicht reicht, werden irgendwann die Kulissen rausgeschoben, und alle katzbuckeln in Rokoko-Kostümen vor dem Minister, der als eine Art Sonnenkönig nochmal über die „Textsicherheit“ kalauern darf und über die DDR als Apfelmetapher philosophiert. Da befindet man sich eigentlich schon in einem etwas zu lang geraten Abspann eines Films, den Leander Haußmann nach eigener Aussage tatsächlich auch noch drehen will. Was nicht mehr ins Drehbuch gepasst hat, ist nun an der Volksbühne zu sehen. Zu Nick Caves The carnival is over treffen sich Alexander Scheer im queeren David-Bowie-Kostüm und Detlev Buck als ABV aus Sonnenallee. Eine nette Zugabe fürs Premierenpublikum, das danach sofort in der Kantine weiter fachsimpeln darf. Mit hochgekrempelten Ärmeln und zufrieden lächelnd erschien auch Kultursenator Klaus Lederer. Wohl eher auch ein Zeichen dafür, dass da in der nächsten Zeit noch einiges mehr an der Volksbühne zu leisten wäre.

----------

Zuerst erschienen am 16.12.2018 auf Kultura-Extra.

Haußmanns Staatssicherheitstheater
Text und Regie: Leander Haußmann
Bühne: Lothar Holler
Kostüme: Janina Brinkmann
Musikalische Leitung: Sir Henry
Licht: Henning Streck
Theaterfotografie: Harald Hauswald
Dramaturgie: Steffen Sünkel
Mit: Uwe Dag Berlin, Antonia Bill, Waldemar Kobus, Horst Kotterba, Matthias Mosbach, Christopher Nell, Silvia Rieger, Eric Spiering, Norbert Stöß und Lennart Hillmann, Karl Schaper, Daniel Felix Adolf (Studenten der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch"), sowie Sir Henry (Piano), Herman Herrmann (Gitarre), Elise Brehmer (Cello), Oscar Stöß (Trompete)
Die Premiere war am 14.12.2018 in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Termine: 21.12.2018 // 05., 24.01.2109

Infos: https://www.volksbuehne.berlin/de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden