HEIL

Kino Eine deftige Filmsatire von Dietrich Brüggemann zum Thema „braun gebranntes“ Deutschland.

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http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2015/07/HEIL-Plakat-A4_300dpi_RGB.jpgSommerkino mal ohne Sonne und Balkon, trotzdem ist Deutschland in Heil von Dietrich Brüggemann ziemlich braun gebrannt. Der Regisseur des preisgekrönten Spielfilms Kreuzweg hat zum ewig-aktuellen Thema die passende Komödie gedreht und pünktlich zum Ferienbeginn in die deutschen Kinos gebracht. So richtig strahlend ist Brüggemanns Deutschland nicht, selbst wenn hier einige Protagonisten ein relativ sonniges Gemüt an den Tag legen. Mit Dummheit ist in dieser rasanten Neonazifarce aber nahezu jeder reichlich gesegnet. Außerdem wird mächtig ungeniert und very politically incorrect auf die braune Kacke gehauen. Und diese manifestiert sich gleich zu Beginn als ziemlich dumpfbackig und großmäulig, ist fremdsprachlich allerdings eher wenig beleckt. So sprüht Provinz-Glatze Johnny (Jacob Matschenz) statt „White Power“ ein etwas eingedeutschtes „Weit Pauer“ an die Hauswand und hetzt seinen Köter Jesus auf die vietnamesische Imbissbudenbesitzerin in einem brandenburgischen Kaff namens Prittwitz, was dann ja auch bereits so gut wie alles sagt.

Recht witzig ist der trotz etlicher weiterer Glatzen ziemlich haarsträubende Plot dann aber schon. Brüggemann lässt dazu einen bunten Querschnitt unserer Gesellschaft auflaufen und munter Phrasen dreschen, deren Spektrum vom steif-linken Antifarand über eine betroffen-gutmeinende Mitte, intellektuell verbrämte Talkrunden mit Vertretern aus Medien, Kunst und Stützen des Rechtsstaats sowie rechtskonservative Eliten mit Verbindung in führende Politikkreise bis hin zu Kameradschaften mit stramm völkischer Gesinnung reicht. Hier bekommt also jeder sein satirisches Fett weg. Wenn auch alles nahe an der Karikatur und etwas im Klischee stecken bleibt, treibt der Film die eigentlich recht traurige Realität doch ziemlich grotesk und schonungslos spottend auf die Spitze. Man kann das ganz entspannt goutieren oder aber zum Lachen in den eigenen kleinen (Nazi)Keller gehen.

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Heil - Foto (C) X-Verleih



Auslöser für den rasch um sich greifenden Wahnsinn ist das Verschwinden des als deutschen Integrationsautor mit ghanaischen Wurzeln gefeierten Sebastian Klein, der von Jerry Hoffmann (den Berlinern vom postmigrantischen Ensemble des Maxim Gorki Theaters bekannt) gespielt wird. Klein hat den Bestseller „Das braun gebrannte Land“, ein Buch über den alltäglichen Rassismus in Deutschland, geschrieben und kommt auf Lesereise auch ins ostdeutsche Prittwitz, wo er von der Neonazi-Gang um ihren Möchtegern-„Führer“ mit politischen Ambitionen und dem urdeutschen Namen Sven Stanislawski (Benno Fürmann) gekidnappt wird. Der von den drei Deutschnationalen Sven, Johnny und Kalle (Daniel Zillmann) rüde vor den Kopf gestoßene Afrodeutsche Sebastian beginnt nun in Vollamnesie alles nachzuplappern, was ihm Stanislawski an Nazisprech vorflüstert.

Hier wittert der gegenüber dem Hamburger Kontrahenten Heiko Georgi (Jörg Bundschuh), einem „Nazi-Hipster“ mit modernem Format und gestyltem Facebookauftritt, eher ziemlich blasse Stanislawski endlich Morgenluft. Er schleppt den bekannten Autor Klein als rechtsgedrehtes Integrationswunder erst zu rechtsnationalen Eliteseminaren und später dann von einer Talkshow zur nächsten. „AufdieZwölf“ heißt so eine Persiflage im Anne-Will-Format, bei dem typenmäßig alles aufritt, was man so aus dem privaten bis öffentlich rechtlichen Talkzirkus kennt. Neben den sich beharkenden Experten und Politschranzen von links bis rechts sitzen da auch ein Theaterregisseur (Sven Taddicken), der von der Arbeit mit authentischen Nazis träumt, und sogar ein Alter-Ego Brüggemanns (Tom Lass) auf der Talkcouch. Der Nazikomödienfilmer faselt vom Lachen, das im Hals stecken bleibt. Coolness trifft hier auf fehlende Selbstreflektion. Das ist durchaus selbstironisch, wirkt aber mit der Zeit auch etwas überambitioniert. Zusätzlich peppt Brüggemann seine mit einer Unmenge an Nebenrollen überbordende Story noch durch Kurzauftritte etlicher Kollegen und Kino-Promis wie Andreas Dresen, Heinz-Rudolf Kunze, Michael Gwisdek oder Hanns Zischler auf.

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Heil - Foto (C) X-Verleih



Zu Sebastians Rettung macht sich neben seiner hochschwangeren und -eifersüchtigen Freundin Nina (Liv Lisa Fries) nur noch der gute Kleinstadt-Bulle Sascha Heinze (Oliver Bröcker) auf. Nachdem beide am die rechte Gefahr verharmlosenden Bürgermeister und an der auf dem sprichwörtlich rechten Auge blinden Justiz gescheitert sind, bilden sie eine Art Notgemeinschaft, zu der schließlich noch die ziemlich taffe Ex des Autors Stella Gustafsson (Thelma Buabeng) stößt. Als Running Gag darf das schwarze, echt kölsche Mädchen mit Herz, Hirn und Schnauze den netten Polizeibeamten immer mal wieder ihren Ausweis zeigen. Während die drei Neonazis mit einem sensationsgeilen Journalisten (Richard Kropf) im Schlepptau, und als V-Männer von drei verschiedenen Landes-Verfassungsschutzämtern mit reichlich Staatsknete ausgerüstet, marodierend durchs Land ziehen, werden ihre Überfallopfer nicht ernstgenommen und sogar selbst verdächtigt. Das erinnert natürlich an den bekannten NSU-Fall. Die großen Pannenermittler, Computerkoryphäen und Aktenvernichter vom Versfassungsschutz werden hier allesamt auch ordentlich durch den Kakao gezogen.

Damit nicht genug. Die Prittwitzer Neonazizelle, angestachelt durch die politisch weitreichenden Zielvorgaben der von Stanislawski angebeteten Faschooberbraut Doreen (Anna Brüggemann im Outfit einer rechten Kriegerin), setzt mit einem aus Bundeswehrbeständen geklauten Panzer und hanebüchenem Sender-Gleiwitz-Plan über die Oder, um ihren Traum von der Weltherrschaft in die Tat umzusetzen. Die Geschichte wiederholt sich hier im wahrsten Sinne des Marxwortes als Farce inklusive knalligem Showdown. Oder aber die braune Vergangenheit, die am Anfang in Archivbildern kurz über die Leinwand flimmert, ist eben nach 70 Jahren noch immer nicht vergangen. Woran auch das gnädige Vergessen, mit dem die übriggebliebene Nazibrut kurzzeitig geschlagen scheint, nichts ändert. Die Frage bleibt, ob Bewohnern eines Flüchtlingsheims angesichts eines solch verblödeten Mobs ebenfalls zum Lachen ist. Aber für die ist dieser Film dann offensichtlich auch nicht gemacht.

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Zuerst erschienen am 17.07.2015 auf Kultura-Extra.

Heil (Deutschland, 2015)
Dauer: 1 Std., 44 Min.
Buch, Regie, Musik: Dietrich Brüggemann
Kamera: Alexander Sass
Szenenbild: Theresia Anna Ficus
Kostüm: Juliane Maier
Maske: Annett Schulze, Jan Kempkens-Odemski
Schnitt: Vincent Assmann
Ton: Jacob Ilgner
Sounddesign: Martin Frühmorgen

Besetzung: Sven Stanislawski… Benno Fürmann, Nina Schmidt… Liv Lisa Fries, Sebastian Klein… Jerry Hoffmann, Johnny… Jacob Matschenz, Kalle Schulze… Daniel Zillmann, Sascha Heinze… Oliver Bröcker, Doreen Seiler… Anna Brüggemann, Stella Gustafsson… Thelma Buabeng, Florian Meier… Richard Kropf, Heiko Georgi… Jörg Bundschuh, Chef des Verfassungsschutzes… Michael Gwisdek, Graf Ludbert zu Regenstauf… Hanns Zischler u.v.a.

Infos: http://www.heilderfilm.x-verleih.de/

KINOSTART: 16. Juli 2015

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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