Herbstsonate

Premierenkritik Ingmar Bergmans Kult-Film in einer mystisch aufgeladenen Theaterfassung von Jan Bosse. Eine Koproduktion mit dem Staatsschauspiels Stuttgart am Deutschen Theater Berlin.

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Herbstsonate

Foto: Bettina Stöß/DT

Ingmar Bergman beschreibt in seinem Kultfilm Herbstsonate aus dem Jahr 1978 (mit Ingrid Bergman und Liv Ullman in den Hauptrollen) eine komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung zwischen psychologischem Kammerspiel und klassischer Tragödie. In einer Koproduktion des Schauspiels Stuttgart mit dem Deutschen Theater Berlin macht Regisseur Jan Bosse mit den beiden Ausnahmeschauspielerinnen Corinna Harfouch und Fritzi Haberlandt daraus einen hochemotional geführten Kampf zweier Frauen, die die Geister der Vergangenheit beschwören, welche sie quälen und auf die sie dennoch nicht verzichten können. Verzweifelt versuchen sie eine Annäherung, doch zu tief gehen die Wunden. Eine Versöhnung zwischen beiden scheint nicht möglich, können doch weder Mutter noch Tochter aus ihrer Haut und den bereits in der Kindheit verfestigten Verhaltensmustern.

Die erfolgsverwöhnte Konzertpianistin Charlotte (Corinna Harfouch) hat ihre Tochter Eva (Fritzi Haberlandt) seit 7 Jahren nicht mehr gesehen. Auf deren Einladung fährt sie nach Norwegen. Eva lebt dort mit ihrem Mann Viktor (Andreas Leupold), einem Gemeindepfarrer, in einem großen Haus auf dem Land. Viktor ist ein einfacher, gutmütiger Mensch, der seine Frau abgöttisch liebt, eine Liebe, die Eva allerdings nicht erwidern kann. Was Eva ihrer Mutter verschwiegen hat: Seit geraumer Zeit pflegt sie bei sich die zweite, kranke Tochter Charlottes, Helena (Natalia Belitski in einer ausdrucksstark stummen Rolle). Auf diese Begegnung ist Charlotte noch weniger vorbereitet als auf die nun folgende Abrechnung der Tochter mit ihrer egomanischen Mutter, die, wenn sie mal da war, ihr Leben so nachhaltig negativ beeinflusst hat.

Psychos im Geisterhaus

Regisseur Jan Bosse interpretiert diese nervenaufreibende, gegenseitige Aufrechnung der beiden Frauen als, wie er es selbst bezeichnet, „lebenslänglich tragikomisches Missverständnis“. Mutter und Tochter mäandern durch „ein labyrinthisches Geflecht zwischen Erinnerung, Sehnsucht und Wahn. Hass- und Wunschvorstellungen“. Und dabei werden auch fortgesetzt die Geister aus der Vergangenheit beschworen. Allerdings nimmt Bosse das in seinen Augen vielleicht schon etwas angestaubte Psychodrama auch nicht besonders ernst, was dem melodramatischen Treiben auf der Bühne mitunter etwas von einer slapstickartigen Situationskomik verleiht. Denn natürlich möchte Bosse auch unterhalten.

Für seinen tragikomischen Exorzismus hat ihm Moritz Müller einen zweistöckigen Bau mit mehreren kleinen, ineinander verschachtelten Zimmern, die durch Treppen mit einander verbunden sind, auf die Drehbühne gestellt. Ganz oben ragt eine Treppenkonstruktion wie ein Abwehrgeschütz ins Nichts des Bühnenhimmels. Dieses labyrinthische Gebilde ist ein wunderbarer Spielplatz für die Darsteller. Es spiegelt gleichermaßen Starre und Eingeschlossenheit, aber auch eine geheimnisvolle Eigendynamik, der sich die Figuren nicht entziehen können. Puppen- und Geisterhaus zugleich. Dazu wabert ein düsterer Soundteppich, der die innere Spannung der Figuren noch betont. Bosse lässt seine Eva zunächst in einem hochgeschlossenen schwarzen Kleid wie aus dem 1900 Jahrhundert auftreten. Die Assoziation zum norwegischen Dramatiker Ibsen ist hier sicher gewollt und auch nicht abwegig.

Foto (C) Bettina Stöß

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2015/01/herbstsonate_foto_bettina_stoess_honorarfrei4.jpgEine latente Spannung überdeckt das Spiel der beiden Frauen. Die Erwartungen sind hoch gesteckt. Eine betont naive Herzlichkeit der Tochter bei der Begrüßung gegen die Steifheit und frostigen Floskeln der Mutter. Zunächst nur in kleinen Spitzen und Nebensätzen zeigen sich das Ego Charlottes und die lange aufgestauten Emotionen Evas. Jeder lebt hier irgendwie in seiner eigenen Welt, und oft erschrickt man sogar über das plötzliche Auftauchen einer anderen Person. Evas Mann Viktor scheint da auch immer irgendwie im Weg zu stehen. Schwester Helena geistert bedeutungsschwanger im barocken Puppenkostüm, wie das personifizierte schlechte Gewissen der Mutter durch das Bühnenbild. Starre Blicke, stumme Schreie und das Klammern an Charlotte, die sich der für sie peinlichen Situation sofort entzieht. Aber auch Eva hat ihren Geist. Ihr ertrunkener Sohn Erik, mit dem sie immer wieder liebevoll spricht.

Das Aufeinanderprallen dieser Welten zeigt sich erstmals nach einem bemühten Abendmahl mit Zitronenhuhn (dem Lieblingsessen Charlottes) bei Kerzenschein. Eva setzt sich beim Klavierspiel bewusst einer kritischen Beurteilung der großen Pianistin aus. Bosse lässt die Gesichter bei heruntergelassenem Gazevorhang auf Großleinwand übertragen. Eva bettelt hier förmlich mit Blicken um ein Lob der Mutter, immer schon mit der Angst deren hohen Ansprüchen nicht zu genügen. Die schulmeisterliche Einschätzung fällt dann auch dementsprechend aus und wirkt wie eine charakteristische Kurzbeschreibung des Verhältnisses beider aus Sicht Charlottes. Evas Spiel sei zu sentimental. Chopin müsse man beherrscht emotional spielen, kühl, den Schmerz unterdrückend.

Die offene emotionale Konfrontation folgt in der Nacht auf das Essen. Aus einer albtraumhaften Situation heraus fällt Eva über Charlotte her, und beide lassen die Masken fallen. Die unsichere Tochter, die stets im Schatten der Mutter stand, erhebt sich nun wie eine Furie mit erhobene Armen über die Mutter. Corinna Harfouch und Fritzi Haberlandt ziehen nun alle Register ihres Könnens. Bergmans Reise in die familiäre Vergangenheit der beiden Frauen ist gespickt mit gegenseitigen Bezichtigungen und Vorwürfen. Bosse lässt seine Protagonistinnen dabei auf einer in der Luft endenden Treppe springen, stürzen und hangeln. Vergangenheitsbewältigung als betont körperliches Abreagieren von seelischen Blockaden. Für Eva hat die Mutter ihr ihre Gefühlskälte und Unfähigkeit zur Liebe vererbt. Was Charlotte ebenfalls mit einer Geschichte aus ihrer Kindheit kontert. Auf weitere Selbsterleuchtung pfeifend, verlässt sie schließlich fluchtartig den Schauplatz.

Und trotz allem bleibt dies auch immer eine hochpsychologische Abwehrschlacht, die die beiden miteinander führen, und die keine Sieger kennt. Was folgt, ist nur eine kurze Erschöpfung. Der Kampf ist damit wohl nicht beendet. Anstatt einen Schlussstrich zu ziehen, beginnt Eva nach einer kurzen Phase der Ruhe erneut mit ihren Annäherungsversuchen an die Mutter in einem Brief, dessen Text hier Andreas Leupold in trockenen Worten rekapituliert. Nach dem ersten Eingeständnis des Selbstbetrugs folgt ein trotziges: „Ich gebe nicht auf.“ Die Never ending Story eines, wie Jan Bosse wohl ganz richtig bemerkt, großen Missverständnisses „im Namen der Liebe“, und, wie man auch meinen könnte, eines in den unterschiedlichsten Fassetten immer wiederkehrenden Mutter-Tochter-Mysteriums aus einem zu viel oder zu wenig an Liebe und Hass, Nähe und Distanz.

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Zuerst erschienen am 25.01.2015 auf Kultura-Extra.

HERBSTSONATE

Nach einem Film von Ingmar Bergman
Regie: Jan Bosse
Bühne: Moritz Müller
Kostüme: Kathrin Plath
Video: Meika Dresenkamp
Musik: Arno Kraehahn
Licht: Kevin Sock
Dramaturgie: Gabriella Bußacker
Besetzung:
Charlotte … Corinna Harfouch
Eva … Fritzi Haberlandt
Helena … Natalia Belitski
Viktor … Andreas Leupold
Erik … Rasmus Armbruster
Premiere im Schauspiel Stuttgart war am 20. Dezember 2014

im Deutsches Theater Berlin am 23.01.2015
Weitere Termine.

am Deutschen Theater Berlin: 2., 3. 2. 2015 sowie

am Schauspiel Stuttgart: 28. 2. / 1., 12., 13. 3. 2015

Weitere Infos: http://www.deutschestheater.de/spielplan/spielplan/herbstsonate/ und http://www.schauspiel-stuttgart.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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