HUSSEIN - EIN HELDENMONOLOG

Premierenkritik Lydia Ziemke inszeniert ein modernes Heldenpoem des libanesischen Theatermachers Omar Abi Azar im Berliner Ballhaus Ost

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/11/Hussein_Ballhau-Ost2.jpgParallel zum Festival „Voicing Resistance“ im Maxim Gorki Theater, das auch mit Stücken und Performances zu Rebellion und Krieg in der Türkei und Syrien aufwartet, feierte am Freitagabend im Ballhaus Ost der arabische Theatermonolog Hussein seine Berlin-Premiere. Das Berliner Theaterprojekt suite42 hat in Koproduktion mit der Beiruter Zoukak Theater Company eine Inszenierung zum aktuellen Thema Islamistischer Terror erarbeitet.

Das Thema ist gerade bei uns wieder sehr aktuell, wie man an den Erfolgen salafistischer Prediger erkennen kann, deren Werbungen auch immer mehr junge Leute aus Deutschland folgen und sie in den islamischen Krieg gegen die westliche Welt oder direkt zu den Terroristen des Islamischen Staats (IS) in die Kriegsgebiete Syriens und des Iraks ziehen lassen. Die Berliner Regisseurin Lydia Ziemke ist diesem Phänomen nachgegangen und auf das bereits vor drei Jahren entstandene Heldenpoem Hussein des libanesischen Theaterautors Omar Abi Azar gestoßen, das antike Heldenmythen mit den Vorstellungen über moderne Kämpfer verbindet.

Hussein ist nicht nur ein gebräuchlicher arabischer Vorname sondern auch der des schiitischen Märtyrers der Schlacht von Kerbala (680), Al-Husain ibn Ali, einem Enkel des islamischen Propheten Mohammed. Ein schier erdrückendes Erbe für den Protagonisten des Monologs, den der libanesische Schauspieler Junaid Sarieddeen darstellt. In rotem Umhang mit Schwert und blutigem Körper steht der Held sichtlich erschöpft nach dem Kampf vor uns. „Ich heiße Hussein, heute bin ich geboren“, beginnt Omar Abi Azars Langgedicht, dessen Text zunächst nur als Leuchtschrift auf einen schrägen Podest mit weißem Laken, auf dem gefüllte Gläser stehen, projiziert wird. Dazu hört der Zuschauer den Klagegesang der Musikerin Houwaida Goulli.

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/11/HUSSEIN-Piero-Chiussi-317.jpgHUSSEIN im Ballhaus Ost - Foto (c) Piero Chiussi


Ein ständig klingelndes Handy scheint minutenlang den Helden aus dem Konzept zu bringen, bis sich herausstellt, dass auch das zur Inszenierung gehört. Sarieddeen lädt nun das Publikum ein, im zweiten Teil auf Stühlen neben dem Podest Platz zu nehmen. Er verteilt die Gläser mit einem Getränk, das Whiskey sein soll und von dem er selbst reichlich trinkt. Der Monolog entspinnt sich nun auf arabischer Sprache und zieht den Zuschauer durch die ungewohnte aber eindrückliche Sprachmelodie und Körperperformance des Darstellers in seinen Bann. Unterstützung erfährt er dabei durch einen Jungen, der mit dem Handy zu spielen beginnt, einer Frau, die die Liebe des Helden darstellt und einen alten Mann in Soldatenmantel mit weiß geschminktem Gesicht.

Schließlich verlagert sich das Geschehen auf die Zuschauertribüne, über deren Stufen nun wieder die deutsche Übersetzung des Textes läuft. Omar Abi Azars Poem handelt von der Zerrissenheit und Müdigkeit eines Kämpfers, der kaum gestorben erneut vielfach aus den Eingeweiden des Toten aufersteht. Der sehr poetische Text verweist neben den muslimischen Quellen auch auf Helden der Antike wie den fluchbeladenen Ödipus und den aus dem Trojanischen Krieg heimkehrenden Odysseus, dessen Frau über zwanzig Jahre auf ihn warten musste. Der Held ist gefangen zwischen Tradition, Armut und den Verlockungen der modernen westlichen Welt. Seine Zweifel betäubt er mit Alkohol. Dem Ringen um Liebe und Glück steht aber nur die Banalität seiner unumkehrbaren Illusionen vom Paradies gegenüber. Ein Kreislauf der Geschichte, dem er nicht zu entrinnen vermag. Ein eindrucksvolles Drama über die Zweifelhaftigkeit andauernder Heldenverehrung.

----------

Zuerst erschienen am 23.11.2014 auf Kultura-Extra.

Hussein - Ein Heldenmonolog
Eine Produktion von suite42 (Berlin) und zoukak (Beirut) in Kooperation mit dem Ballhaus Ost.

Autor: Omar Abi Azar / Regie: Lydia Ziemke / Spiel: Junaid Sarieddeen, Lucie Zelger / Design: Claire Schirck / Live Musik: Houwaida Goulli / Dramaturgische Mitarbeit: Elke Ranzinger / Assistenz: Jamila Al-Yousef / Übertitel: David Maß

in arabischer, französischer und deutscher Sprache

Dauer: ca. 50 Minuten ohne Pause

Premiere war am 21. November 2014

nächste Termine: 6. - 9.5.2015

Infos: http://www.ballhausost.de/produktionen/hussein/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden