IN MY ROOM

Premierenkritik Am Maxim Gorki Theater versuchen sich Falk Richter und sein Männer-Ensemble an einer sehr persönlichen Analyse zur Krise der Männlichkeit

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„Viele Männer verhalten sich toxisch“ ist nicht nur die Ansicht von Theaterregisseur und Dramatiker Falk Richter (Fear , Small Town Boy ). Ähnlich wie der französische Soziologe und Autor Édouard Louis, dessen Essay Wer hat meinen Vater umgebracht gerade die deutschsprachigen Bühnen erobert, hat Richter einen Text über seinen Vater geschrieben. Er steht als Monolog am Beginn seines neuen Recherche-Stücks In My Room, das am 15.01.2020 am Maxim Gorki Theater seine Premiere feierte.

Wie Louis ist auch Richter schwul und hatte Probleme, vom Vater deswegen akzeptiert zu werden. Richters Vater ist Jahrgang 1926, wurde mit 18 Jahren in den Krieg eingezogen und hat an der Front gekämpft. Richters Großvater kämpfte im Ersten Weltkrieg, hat seinen Sohn oft geschlagen, war kaum da und lebte das Privileg der Männlichkeit gegenüber der Familie aus. Das färbte auf den Sohn, Richters Vater, ab, kann man im Solovortrag von Schauspieler Jonas Dassler als Alter Ego des Autors erfahren. Ein Mann der die typische, für ihn vorgesehene Rolle erfüllte, sein ganzes Leben gearbeitet hat, währenddessen die Mutter daheimbleiben musste. Nach dem Ruhestand wusste der Vater nichts mit seiner Zeit anzufangen und ging allen auf die Nerven.

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Was bei Klaus Theweleit (Männerphantasien) „die Angst vor dem eigenen Inneren, die Angst vor dem Fremden und die Angst vor dem Fremden in einem selber“ ist, kommt auch in Richters Text über seinen Vater vor. Er hat seine Schauspieler Emre Aksızoğlu, Knut Berger, Benny Claessens, Jonas Dassler und Taner Şahintürk auch eigene Texte zu ihren Vätern entwickeln lassen, die nun nacheinander vorgetragen werden. Bei allen Unterschieden ist den Vätern doch gleich, nicht über ihre Gefühle reden zu können. Benny Claessens Vater sprach z.B. tagelang nicht mit seiner Familie. Liebe und anerkennende Worte sind oft Mangelwahre. Wenn gesprochen wird, dann wie bei Knut Bergers Vater nur über eigene Befindlichkeiten oder über Pünktlichkeit und Struktur, die Emre Aksızoğlu Vater seinem Sohn eingebläut hat. Taner Şahintürks Vater hat bereits 15jährig als Gastarbeiter im Kohlenschacht gearbeitet und bei einer deutschen Familie gewohnt. Trotzdem er Schweinfleisch verweigerte, hat er immer versucht sich anzupassen und nicht der „faule Türke“ zu sein.

Bühnenbildner Wolfgang Menardi hat den Spielern einen Vateraltar mit als Videoprojektionen flimmernden Familienfotos geschaffen. Kleine schwarze Puppensöhne stehen herum, oder sitzen an einem Tisch. Darüber wacht das erhöhte Vaterbild als Denkmal auf einer großen Säule. John Wayne, das Idol von Richters Vater, flimmert als Männlichkeitsideal in einem Zusammenschnitt von Westernfilmen über die Leinwand. Mit ihren Kindheitserinnerungen reflektieren die Schauspieler ziemlich intensiv ihr Verhältnis zu den Vätern. „Mein Vater / Dieses fremde Wesen“, wie es bei Falk Richter heißt. Und wenn es auch hin und wieder Gemeinsames wie das Feiern von Jonas Dassler mit seinem Vater nach der Hilfe bei der Steuererklärung, Spielen und Kuscheln mit Papa wie bei Emre Aksızoğlu, Schneemann bauen mit dem Vater von Taner Şahintürk, oder die späte Freude von Knut Bergers Vater, dass der Sohn einen schönen Mann gefunden hat, und nun das Leben lebt, das der Vater, der einst einen Liebhaber hatte, nicht leben konnte, bleibt da doch immer auch eine Leerstelle, die das Schweigen darüber geschaffen hat und zur beschworenen „Krise der Männlichkeit“ wird.

Bei einer Familienaufstellung zwischen Vater und Sohn mit Benny Claessens als federgekröntem Guru steht zwischen beiden das personifizierte „Kriegstrauma“, während der „Schatten der Gaulands“ davon faselt, dass ja alles nicht so schlimm war. Hier teilt der politische Autor Richter wie schon in Fear an der Schaubühne gegen die Verharmlosung von Krieg und Gewalt durch die AfD aus. Von heutiger toxischer Männlichkeit berichtet Jonas Dassler in einer Parodie zum Männerbild von Rapper Felix Blume alias Kollegha in seinem Buch DAS IST ALPHA: Die 10 Boss-Gebote. Nach einem Dialog zwischen Knut Berger und Jonas Dassler über die Abnahme des körperlichen Begehrens eines schwulen Paars setzt Berger zum großen Wutmonolog über „erfüllende sexuelle Beziehungen“ an und empfiehlt den Neonazis in Sachsen und Thüringen einfach mal gut zu ficken, oder sich durchficken zu lassen. Auch das eher eine Art rudimentäres Männlichkeitsgehabe.

Zur Befreiung setzen die Schauspieler zwischen den Szenen immer wieder in schillernder Kostümierung zu Livesongs an, die mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier mal rockig, punkig oder auch mit viel Gefühl performt werden. Überhaupt hat Falk Richter den Abend emotional stark aufgeladen. Eine sehr persönliche Abrechnung mit den Vätern, die hin und wieder auch nach zwischenmenschlicher Empathie und der Überwindung toxischen Denkens fragt. Richter lässt seinen sterbenden Vater im Krankenhaus von der Rückkehr der bösen kleinen Clownsfratzen in den Talkshows und die Konservativen als Steigbügelhalter der Nazis sprechen. Das ist aktuell wieder in der Diskussion. Weiter als bis zu einem letzten Bedauern geht dieser Vater-Sohn-Abend aber nicht.

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Zuerst erschienen am 17.01.2020 auf Kultura-Extra.

IN MY ROOM (Maxim Gorki Theater, 15.01.2020)
Regie: Falk Richter
Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Andy Besuch
Musik: Nils Ostendorf
Video: Sébastien Dupouey
Choreografie: Denis ›Kooné‹ Kuhnert
Licht: Marco Vitale
Ton: Hannes Zieger
Dramaturgie: Jens Hillje, Daniel Richter und Christopher-Fares Köhler
Mit: Emre Aksızoğlu, Knut Berger, Benny Claessens, Jonas Dassler und Taner Şahintürk
Uraufführung war am 15. Januar 2020.
Weitere Termine: 23.01. / 01. ,02., 07., 19.02.2020

Weitere Infos siehe auch: https://gorki.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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