In unserem Namen

Bühne Flucht, Asyl und Abschiebung: Was geschieht in Deutschland "In unserem Namen"? Sebastian Nübling sucht am Berliner Gorki Theater nach Antworten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

In unserem Namen

Foto: Oliver Feldhaus, Ute Langkafel, MAIFOTO

Wir leben. Hauptsache, wir leben“ so beginnt das Stück Die Schutzbefohlenen der österreichischen Dramatikerin Elfriede Jelinek, in dem sie unter Verwendung der antiken Tragödie Die Schutzflehenden des griechischen Dichters Aischylos einen Chor von Flüchtlingen über seine Stimmlosigkeit klagen lässt. „Wir sind gar nicht da", lautet hier das resignierende Fazit der an Europas Grenzen scheiternden oder sich mit den hiesigen Asylgesetzen plagenden Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung.

Nachdem der Intendant des Leipziger Schauspiels Enrico Lübbe Anfang Oktober zum ersten Mal die Texte von Aischylos und Elfriede Jelinek zu einem Theaterabend zusammengefügt hatte, versucht es nun der Regisseur Sebastian Nübling am Maxim Gorki Theater Berlin mit einer recht freien Textcollage. Für sein Projekt In unserem Namen verwendet Nübling neben den bereits genannten Quellen auch noch aktuelles Recherchematerial wie Stimmen aus der Bevölkerung und aus einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestags sowie Originalbeiträge von Mitwirkenden aus dem Ensemble.

Und auch im ausgeräumten Saal des Gorki-Theaters beginnt es mit dem eingangs erwähnten Satz, der von den sich lose unter das auf dem Boden oder einer kleinen Treppe sitzende Publikum mischenden DarstellerInnen in verschiedenen Sprachen immer wieder gesprochen wird. Dabei wechseln sie ihre Plätze, drängen sich durch die ZuschauerInnen, bilden Reihen oder verknäulen sich ineinander. Das erzeugt zunächst eine gewisse Verwirrung nicht nur in der Sprache, sondern auch darüber, wer da spricht und worüber. Das Publikum soll hier zumindest ansatzweise eine Vorstellung der Situation Flüchtender bekommen. Solidarität oder Ablehnung, Gemeinsamkeit oder Verdrängung, das sind die Szenarien, die sich hier ganz physisch über die recht körperlich durchchoreografierte Performance vermitteln. Man wird mal gebeten, in der Mitte zusammenzukommen oder wieder an den Rand des Saals zurückgedrängt, um Platz zu machen.

Ganze Passagen aus dem Jelinek-Text und einige Aischylos-Fragmente lösen sich dabei ab, ohne dass eine wirkliche Spielhandlung oder Zugehörigkeit der Texte ersichtlich wird. Man schnappt nur Stichworte auf, die hängen bleiben, wie etwa: „Wo ist er, der gastfreundliche Wirt?“ oder „Wenn wir nicht bleiben, so bleiben wir euch doch als Aufgab.“. Unter den SchauspielerInnen ganz verschiedener Herkunft wirken hier auch die Palästinenser Karim Daoud und Maryam Abu Khaled sowie der Syrer Ayham Majid Agha mit, die schon in Yael Ronens Stück The Situation über ihre ganz persönlichen Fluchterfahrungen berichtet haben. Auch hier gibt es wieder eigene Texte, die etwa von den Schwierigkeiten eines Flüchtlings berichten, in Deutschland ein Bankkonto zu eröffnen, ohne als Terrorist verdächtigt zu werden, während sich um die Herkunft des Geldes auf den Auslandskonten der arabischen Diktatoren niemand kümmert.

Das geht so eine ganze Weile, bis die irgendwie festgefahrene Situation plötzlich durch das Eindringen von vier weiteren SchauspielerInnen aus dem Gorki-Ensemble einen neuen Drive bekommt. Cynthia Micas, Tim Porath, Dimitrij Schaad und Thomas Wodianka beginnen mit Mikrofonen eine Art Podium zu bilden und geben nun bekannt, was in Deutschland tatsächlich so in unserem Namen geschieht. Es sind Stimmen einer Expertenanhörung dieses Jahres im Innenausschuss des Bundestags, der daraufhin im Juli die Verschärfung des Aufenthaltsgesetzes beschlossen hat. Hierbei kommen Bürokratie, Überforderung und Rechtsunsicherheit für Flüchtlinge und Behörden gleichermaßen zum Ausdruck. Mantraartig wird immer wieder der Paragraphen 62 b beschworen, der den Ausreisegewahrsam vor der Abschiebung regelt.

Die aus Israel stammende Orit Nahmias hatte bereits zu Beginn in recht ironischer Weise vor den depressiven Auswirkungen dieses Abends gewarnt. Man könne sich diesen aber mit einigen geübten Abwehrmechanismen entziehen. Wie diese im Einzelnen aussehen, gibt dann noch Thomas Wodianka zum Besten, der zu einer zynischen Hasstirade, gesampelt aus "Volkes Stimme", ansetzt und nebenbei einen Abriss europäischer Einwanderungsgeschichte von den Türken über die Hugenotten bis hin zu Römern und Mesopotamiern gibt, der schließlich bei der Landnahme der urzeitlichen Fische endet. Ein neues "Fundament der Werte" (Jelinek), das Einwanderung als eine Bereicherung in Wissen und Kultur versteht, ist das Fazit von Nüblings Inszenierung, die nach gut 100 Minuten in offenen Einzelrunden endet, in denen die Ensemblemitglieder noch mal ganz eigene Geschichten erzählen und Utopien für die Zukunft entwerfen.

*

Tohubassbuuh von bankleer auf dem 2. Berliner Herbstsalon - Foto: St. Bock

Das Performanceprojekt In unserem Namen gehört zu einer Reihe von Veranstaltungen wie zum Beispiel Stadtführungen oder Diskussionsrunden zum Thema Flucht und Asyl, die im Rahmen des 2. Berliner Herbstsalons noch bis zum 29. November im und um das Maxim Gorki Theater stattfinden. So sind auch im benachbarten Palais am Kupfergraben etliche Arbeiten wie Installationen und Videos von verschiedenen Künstlern zu sehen, die sich u.a. mit der Geschichte und aktuellen Praxis europäischer und deutscher Flüchtlingspolitik auseinandersetzen.

----------

Zuerst erschienen am 16.11.2015 auf Kultura-Extra.

In unserem Namen
Textfassung von Sebastian Nübling, Ludwig Haugk, Julia Pustet
Unter Verwendung von Aischylos’ Die Schutzflehenden, Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen, der 42. Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages sowie Originalbeiträgen der Schauspieler*innen
Regie: Sebastian Nübling, Ko-Regie, Choreinstudierung, Musik: Lars Wittershagen, Bühne: Magda Willi, Video: Jesse Jonas Kracht, Kostüme: Ursula Leuenberger, Dramaturgie: Ludwig Haugk, Mitarbeit Dramaturgie, Recherche: Julia Pustet
Mit: Maryam Abu Khaled / Ayham Majid Agha / Tamer Arslan / Elmira Bahrami / Vernesa Berbo / Karim Daoud / Anastasia Gubareva / Mateja Meded / Cynthia Micas / Orit Nahmias / Tim Porath / Dimitrij Schaad / Hasan Taşgın / Thomas Wodianka / Mehmet Yılmaz

Premiere im Maxim Gorki Theater war am 13.11.2014.

Weitere Termine für In unserem Namen: 17.-20.11. und 22.-24.11.2015

Infos: http://www.gorki.de/spielplan/festivals/zweiter-berliner-herbstsalon/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden