Keiner findet sich schön

Premierenkritik Fabian Hinrichs kämpft an der Berliner Volksbühne mit seiner Rest-Zeit-Story und einem neuen Text von René Pollesch

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Die Hälfte des Abends an der Volksbühne ist bereits verstrichen, da rückt der Solo-Mime Fabian Hinrichs in René Polleschs neuem Stück Keiner findet sich schön endlich mit der großen Erkenntnis heraus, dass wir gar kein Leben haben. Dazu bläst sich die auf der rot-weiß gestreiften Bühne von Bert Neumann liegende Hülle zu einem riesigen No-Fear-Bear auf, und Hinrichs knuddelt und zerrt an dem weißen Emo-Teddy, als gelte es den sehnlichst erwarteten Mitspieler zum Leben zu erwecken.

(C) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2015/06/Keiner-findet-sich-schön_Volksbühne.jpgZuvor hatte der Schauspieler bereits 35 Minuten lang allein auf weiter Flur mit dem etwas redundanten Text und der Entscheidung gekämpft, wahlweise zu einem Iggy-Pop-Konzert zu gehen, dabei die Liebe seines Lebens kennen zu lernen, oder zu Hause zu bleiben und sich auf Tinder zu verabreden. Oder noch ganz anders, darauf zu warten, dass es klingelt und die alte Liebe wieder vor der Tür steht. So oder so, es kommt weder zum Live-Erlebnis mit Stagediving, da beim Filmen mit dem Handy eh keiner den fliegenden Iggy auffangen würde, und auch nicht zur Verabredung im Café, da man dort doch immer nur auf Betrüger trifft. Ob in New York, Sidney oder Schweinfurt: „Bleibt zu Hause. Ihr findet nicht, was ihr sucht.“

„Es ist so schwierig zu leben.“ René Pollesch hat dazu einen zunächst doch recht pessimistischen Text geschrieben, der laut Programmzettel von Schriften der Wirtschaftswissenschaftlerin Ève Chiappelo, des Soziologen Luc Boltanski, dem Philosophen Allain Badiou und dem Musical-Film West Side Side Story von Robert Wise und Jerome Robbins aus dem Jahr 1961 inspiriert ist. Und Fabian Hinrichs, gekleidet in T-Shirt und Boxershorts, versucht diesen mit gewohnter Verve in der Stimme, aber auch mit einigen sympathischen Hängern eindrucksvoll zu beglaubigen.

Es geht zwar nebenbei auch um das “Leben als Projekt” und den “neuen Geist des Kapitalismus”. Aber die frohe Botschaft ist, dass man das alles nicht gelesen haben muss, um die andere große Botschaft zu verstehen. Fabian Hinrichs klagt nicht nur über die Auswüchse des neoliberalen Selbstertüchtigungswahns, der nun auch die Partnersuche in den verschiedensten Online-Datingplattformen erreicht hat (so ähnlich, nur für die älteren Semester, hatte das schon Christoph Marthaler in seinem schlagernden Testsiegerportal Tessa Blomstedt festgestellt), sondern singt das hohe “Lob der Liebe”, die unsere Eintrittskarte ins Leben ist, und nicht nur das Geld.

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Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - Foto: St. Bock

Jeder wartet darauf, dass die oder der eine kommt, auf das Leben im Gleichklang für die Ewigkeit. So einfach kommen Schönheit und Zeit aber nicht zusammen. Man verheddert sich beim Versuch diesem einen Versprechen auf die große Liebe nachzujagen, in den vielen verschiedenen Möglichkeiten und Nebensträngen, die täglich neue „Kackentscheidungen“ verlangen. „Please, please, please, let me get what I want.” Hedonistischer Jugendwahn und Fitness-Jo-Jo, alles kommt zurück, sogar die Smiths. Nur der Sixpack-Bauch nicht. Und da wir alle jemanden brauchen – ein Gesicht neben uns, etwas Schönes in dieser hässlichen Welt – spricht Hinrichs auch vom Aufwachen in etwas, in dem er weiterträumen will. „I want to wake up in that city that sleeps.” Hier schmeißt Pollesch den Drehbühnen-Turbo an und lässt Hinrichs Frank-Sinatra-Klassiker umdichten. Kein Ich, kein Wir: „I did at your way.“

Dazu tanzen Nina Baukus, Rebekka Esther Böhme, Uri Burger, Jessica Kammerer und Tobias Roloff im Sternen-Freizeitdress Szenen aus der West Side Story, dem amerikanischen Romeo und Julia, bevor es Leonardo di Caprio und Claire Danes im Kino gab. Boy meets Girl. Kommen sie zusammen oder nicht? Das ist das große Thema des Abends. Im Film geht es wegen oder trotz Tony schlecht aus. In der Volksbühne folgt nach dem Mambo wieder Hinrichs‘ Klage über die eigene „Rest Zeit Story“, sprich Midlifecrisis, die schon Udo Jürgens und Udo Lindenberg besungen haben. Aber besser als zur lebenden Legende oder dem Scherenschnitt seiner selbst zu werden, ist sich ständig neu zu erfinden. Zum titelgebenden Keiner findet sich schön passt Morrisseys „Good times for a change“, das hier bedeutet, sich ständig zu prüfen und sein Outfit zu ändern. Was Hinrichs auch anschaulich vorführt.

Trotz dass der Text zu Anfang noch etwas vor sich hin holpert und nicht die Höhen der legendären Pollesch-Hinrichs-Zusammenarbeit Kill your Darlings! Streets of Berladelphia erreicht, wird die Inszenierung im Lauf des Abends zunehmend besser und vermag so – je nach eigenem Erlebnishorizont – sicher auch in die Herzen des Publikums vorzudringen. Ansonsten gilt wie immer etwas mehr Gelassenheit. „Die Sonne scheint auch ohne dass sie was von uns zurückbekommt.“ Auch so eine schöne, ganz simple Wahrheit.

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Zuerst erschienen am 25.06.2015 auf Kultura-Extra.

Keiner findet sich schön (UA)
Premiere: 24.06.2015 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Weitere Termine: Freitag 26.06.2015; Mittwoch 01.07.2015; Mittwoch 08.07.2015

Text und Regie: René Pollesch
Bühne: Bert Neumann
Kostüme: Tabea Braun
Licht: Frank Novak
Ton: Tobias Gringel, William Minke
Souffleuse: Katharina Popov
Dramaturgie: Anna Heesen
Mit: Fabian Hinrichs und Nina Baukus (Tanz und Choreographie), Rebekka Esther Böhme (Tanz und Choreographie), Uri Burger (Tanz und Choreographie), Jessica Kammerer (Tanz und Choreographie) und Tobias Roloff (Tanz und Choreographie)

Termine: 26.06., 01. und 08.07.2015

Infos: http://www.volksbuehne-berlin.de

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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