Kleiner Mann - was nun?

Premierenkritik Hakan Savaş Mican adaptiert den Erfolgsroman von Hans Fallada für das Maxim Gorki Theater Berlin

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Tja, was?
Tja, was?

Bild: Esra Rotthoff

"Wir schaffen das." - Mit dieser gut gemeinten Angela-Merkel-Floskel könnte die äußerst gut gemeinte und über weite Strecken auch sehr gut gemachte Bühnenadaption des 1932 erschienen Erfolgsromans Kleiner Mann - was nun? von Hans Fallada, die Regisseur Hakan Savaş Mican am Maxim Gorki Theater inszeniert hat, die titelgebende Frage glatt beantworten. Aber was hat die Kleine-Leute-Geschichte aus einem in den Nachwehen der Weltwirtschaftskrise liegenden Berlin am Vorabend des aufkommenden Nationalsozialismus mit unseren aktuellen Problemen und erst recht mit der Aufnahme von über einer Million Kriegsflüchtlinge zu? Nun, sie hat es indirekt über eine häufig in Falladas Roman eingeforderte ethische Haltung zu einer breiten Solidarität, an deren Fehlen auch heute wieder die Gesellschaft krankt. Die deutsche, wie auch die gesamte Bevölkerung Europas, zieht sich zunehmend lieber ins eigene Private zurück und beharrt, wo sie dem Druck zur neoliberalen Selbstoptimierung (im doppelten Wortsinn) unterlegen ist, auf weitgehend egoistischen bis hin zu rein nationalistischen Positionen einer Das-Boot-ist-voll-Mentalität.

Unsere angebliche Solidargemeinschaft hat sich über der Frage zur Aufnahme von Flüchtlingen in einem Maße zerstritten, was den Zuständen der Streitkultur auf den Straßen vor dem Ende der Weimarer Republik immer ähnlicher werden. Zumindest hat man diesen Eindruck, wenn man die Kommentarspalten der Internetmedien und sozialen Netzwerke liest. Es wird lieber lauthals Bedenken geäußert anstatt an die Möglichkeit einer positiven Veränderung der Zustände geglaubt. All das zeugt nicht gerade von einem hohen Grad an politischem Bewusstsein. Wohlgemerkt, nicht alle sind so. Und auch Fallada hat wie in den meisten seiner sehr realistischen Romane das Bild einer recht breit gefächerten Gesellschaft gezeichnet. Es braucht also kaum der zwanghaften Aktualisierung auf der Bühne. Womit wir wieder beim eigentlichen Thema - der Inszenierung im Maxim Gorki Theater - sind, die dann auch ganz im Gewand der 1930er Jahre daherkommt.

Das stellt sich hier zunächst als recht unterhaltsames Revuetheater mit passender Live-Musik-Begleitung und komödiantischem Typenkabarett dar. Wobei sich besonders Tim Porath als kauziger Kartoffelhändler Kleinholz, norddeutscher Proletarier-Vater Mörschel und fast schon UfA-reifer Kleinganove Jachmann hervortut. Lustig anzusehen ist sicher auch Tamer Arslan als Schupo und Nazi Lauterbach mit Blondperücke. Sie teilen sich in schnellen Wechseln mit Mehmet Ateşçi als Schulze, Jänicke und Spannfuß, Çiğdem Teke u.a. als mondäne Mutter Mia Pinneberg und Mehmet Yılmaz als solidarischem Kollegen Heilbutt die Rollen der Romanvorlage. Das hat schon Luc Perceval in seiner 2010 zum Theatertreffen eingeladenen Münchner Fallada-Adaption so gemacht. Die Sympathien lagen damals genau wie heute beim jungen Ehepaar, das inmitten einer klar in Oben und Unten geteilten, durchkapitalisierten Welt verzweifelt um sein kleines Glück kämpft.

In historischen Kostümen swingt, singt, springt und rennt man auf einem schrägen Steg aus Brettern, die hier die kleine Welt des kleinen Mannes Johannes Pinneberg (Dimitri Schad) und seiner großen Liebe Emma Mörschel (Anastasia Gubareva) bedeuten. Sie nennt ihn stoisch-optimistisch "Junge", er sie liebevoll "Lämmchen". Mican lässt seinen herausragenden Hauptdarsteller Schad zu Beginn schwärmerisch von den ersten zarten Berührungen beim Kennlernen im Provinznest an der Ostsee erzählen. Da ist die Liebe noch ganz romantisch. Die Alltagssorgen stellen sich dann aber relativ schnell mit der Verkündigung des "Murkel" ein. Chorisch tritt hier das Ensemble als Arzt auf. Das von den jungen Eheleuten sparsam zurückgelegte Wirtschaftsgeld im Blecheimer wird immer weniger, und Schad singt jammervoll vom Glück der kostenlosen Freuden.

An der Rampe springt Pinneberg auf den auskragenden Brettern wie auf einem Sprungbrett, allein der Absprung zum Aufstieg will nicht glücken. Immer wieder ist er angewiesen auf die Hilfe von Heilbutt, dem Mehmet Yılmaz im Gegensatz zum unterwürfigen Pinneberg eine straffe Würde verleiht. Aber nicht etwa nur der progressiv denkende Anhänger der Freikörperkultur ist der „Turm“, sondern vor allem Lämmchen ist sein heimlicher Fels in der Brandung. An der einfachen Tochter aus dem Arbeitermilieu kann sich der wankelmütige Kleinbürger Pinneberg anlehnen und wird von ihr mit einem bodenständigen „Junge lass, es wird schon gehen“ mehr als einmal wieder aufgerichtet.

Den harten Konkurrenzkampf der Angestellten untereinander verdeutlicht der Regisseur in einem ständigen Auf- und Abrennen der Schauspieler beim "Sacken" im Laden des antreibenden Kleinholz‘ und dann wieder in der Herrenkonfektion des Kaufhauses Mandel. Überall, wohin Pinneberg kommt, beginnt von neuem der Kampf dagegen, abgebaut zu werden. Und wenn auch beim Umzug nach Berlin die vom Schürboden hängende Schirmlampe gegen einen Kronleuchter wechselt, ist das Glück doch trügerisch. Der Abstieg erfolgt über einen Lagerraum mit "Kino beim Kacken" bis in eine alte Laube außerhalb Berlins mit blanker Glühbirne. Symbolisch eingeschnürt in mehrere Jacketts schwitzt Pinneberg unter der Angst seinen Verkaufs-Soll nicht zu erfüllen. Am Ende steht er ohne Hemd da.

Als Pinneberg zuvor einmal die im Kleinen Tiergarten sitzenden Arbeitslosen beobachtet, zählt er sich als einer von Millionen gedanklich schon zu ihnen. Aus ihrer Mitte tritt Mehmet Ateşçi als Gast aus der Zukunft und gibt auf Pinnebergs Frage, ob es einmal leichter wird, einen Ausblick auf die deutsche Geschichte vom Krieg, über den Mauerbau, der Ankunft erster Gastarbeiter bis zum heutigen Stress mit den Vielen, die da noch kommen werden. Da spannt Hakan Savaş Mican den anfangs schon erwähnten Bogen in die Gegenwart, auch wenn er sich dann nur noch in der Figur des Verkaufsoptimierers Spannfuß, der hier wie ein moderner Motivationstrainer auftritt und von Work-Life-Balance faselt, eine weitere sinnfällige Aktualisierung erlaubt.

Dass der kleine Angestellte Pinneberg sehr wohl auch zum kleinen Wutbürger neigt, zeigen seine kurzen Ausbrüche mit einem fast schon prophetischen Hinweis auf einen, der da mal kommen wird, um sich für die kleinen Leute einzusetzen. Falladas unpolitisch erscheinendes Pärchen als Gegenentwurf zur Radikalisierung auf der Straße zu sehen, die hier wie im Roman als Kampf Nazis gegen Sozis gegen Kommunisten hin und wieder aufflackert, greift da wohl etwas zu kurz. Der Abend verliebt sich manchmal zu sehr in seine rechtschaffende Nettigkeit. Sympathieträger sind die wunderbar spielenden Anastasia Gubareva und Dimitrij Schad allemal. Sie halten sich auch bei Micas noch im allergrößten Elend und der schlimmsten Demütigung aneinander fest. Ein starkes Bild, aber insgesamt auch eher schwacher Trost, der zumindest als Fünkchen Hoffnung und Anreiz, dass es zu schaffen wäre, weiterglimmt.

----------

Zuerst erschienen am 17.01.2016 auf Kultura-Extra.

KLEINER MANN - WAS NUN? (Maxim Gorki Theater, 15.01.2016)
Regie: Hakan Savaş Mican
Bühne: Sylvia Rieger
Kostüme: Sophie Du Vinage
Musikalische Leitung und Komposition: Jörg Gollasch
Dramaturgie: Holger Kuhla
Mit: Tamer Arslan, Mehmet Ateşçi, Anastasia Gubareva, Tim Porath, Dimitrij Schaad, Çiğdem Teke und Mehmet Yılmaz
Live-Musiker: Valentin Butt, Lukas Fröhlich und Matthias Trippner
Premiere war am 15. Januar 2016
Weitere Termine: 17., 27. 1. / 6., 25. 2. 2016

Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden