Leonce und Lena

Theater Hirnrissig - Patrick Wengenroth langweilt mit Büchners melancholischem Lustspiel an der Berliner Schaubühne

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Die Welt ist eine Scheibe, und an der Berliner Schaubühne eine ganz besonders schöne. Sie ist rund, schräg und dreht sich, und man kann nicht von ihr abrutschen, da es schon Mühe bereitet, überhaupt auf sie hinaufzukommen. Sie kann auch Nebel und Musik, und ein schräges Stück von Georg Büchner kann man auch auf ihr spielen. Das alles muss aber vorher erst noch erklärt werden. Wir wollen ja nicht dumm sterben oder gar aus lauter lange Weile, weil man nichts versteht vor lauter Pipi und Popo. Das hat sich sicher auch Patrick Wengenroth, der Mann fürs Komische an der Schaubühne, gedacht. Und schickt darum Ulrich Hoppe auf die Scheibe, der, nach dem er sich mit einiger Mühe hochgezogen hat, auch noch erwartungsvoll angestarrt wird.

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Leonce und Lena an der Schaubühne – Foto: St. Bock



„Was wollen Sie von mir? Ich habe alle Hände voll zu tun.“ beginnt dieser als Leonce, Prinz von Popo, seinen Vortrag über den melancholischen Müßiggang und weitere brennende Fragen wie den ganzen, blöden Sau-Sack-Sinn und andere Peinsäcke. Aber das ist nicht etwa schon Büchners Lustspiel Leonce und Lena, sondern Rainald Goetz' bitterböser Klagenfurt-Monolog, den Wengenroth nicht zum ersten Mal bemüht - lässt sich damit doch so schön die beschissene Kunst- und Literaturszene ironisieren. Wo oben und wo unten ist und wie das scheiß Leben geht, wird aber auch heute Abend niemand erfahren. Der Schnitt ins Hirn bleibt aus, dafür gibt es die Prinzenrolle.

Popliterat Goetz trifft auf Popregisseur Wengenroth, der sich auch diesmal nicht zu schade ist, in Netzstrümpfen und mit Elvistolle sein Debut als Peter, König von Scheißegalien, zu geben. Ein Udo-Lindenberg-Lookalike wird aber nicht mehr aus ihm werden, wenngleich er auch schon ganz erfolgreich eine Lindenberg-Revue im Studio der Schaubühne inszeniert hat. Wetten, dass? Das zumindest bietet Popo-Prinz Leonce dem lustigen Kerl Valerio an, der hier gar nicht so lustig ist und auch nicht so genannt werden möchte. Jule Böwe krabbelt mit auf die Scheibe und spielt abwechselnd den Narren mit Hütchen oder Rosetta, die Angebetete des melancholischen Prinzen.

Aus lauter Langeweile und der Liebe überdrüssig, gibt der Prinz Rosetta den Laufpass und läuft dann mit Valerio vor der Aussicht, nun selbst König von Popo bzw. Scheißegalien zu werden, genItalien. Und so werfen Wengenroths Spieler weiter den selbst schon ironischen Texten Büchners noch jede Menge faule Witze hinterher. Wie war das noch gleich mit der grünen Langeweile? Dazu sinniert Ulrich Hoppe als Kermit der Frosch über die Schwierigkeit grün zu sein. Aha.

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Leonce und Lena in der Schaubühne - Foto (c) Gianmarco Bresadola



Ironie des Schicksals, dass Prinz Popo gerade das, was er eigentlich fliehen möchte, auf der sich unablässig drehenden Glücksscheibe wiederfinden muss. Auftritt Lena, Prinzessin von Pipi (Iris Becher), die auch nur irgendein weiteres It- und Covergirl der Pop(o)Historie im Klunkerlook ist. Beide liegen dann ein wenig auf dem Scheibenrasen rum, singen was von der Melancholie und so, und Jule Böwe stellt noch ein paar Hasenattrappen dazu. Bis Musiker Matze Kloppe schließlich ein Einsehen hat, den Discoladen dicht macht und die zwei Schmusehasen doch noch beschließen, Hochzeit zu machen.

Bei Büchners Automatenhochzeit bekommt dann noch das Theater sein Fett weg. Nichts als Kunst und Mechanismus. Scheiß Spiel. Und das ist der Unterschied zu Leander Haußmann. Sein Woyzeck wird erst zur Maschine gemacht, während Wengenroths Büchner-Imitate von Beginn an Musikboxen sind, in die man nur Geld hineinwerfen muss, damit Kunst rauskommt. Für die Erkenntnis braucht es allerdings geschlagene zwei Stunden. Der Rest ist Hobby. Die Welt als Scheibe ist dann wohl doch kein so weitläufiges Gebäude, wie der Narr Valerio meint. Immerhin bekommt er endlich eine Hose und einen Ministerposten. Wengenroths König Peter gibt die Regie-rung ab und dem Prinzen eine zerknitterte Papp-Krone. „Geht einfach nochmal euren Text durch. Bis später, euer Party-Peter.“ Melancholie, du kriegst mich nie klein, tönt es mit Gisbert zu Knyphausen. Ein klarer Fall von Denkste.

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Zuerst erschienen am 07.09.2014 auf Kultura-Extra.

Leonce und Lena Ein Lustspiel von Georg Büchner

Schaubühne am Lehniner Platz (06.09.2014) Realisation: Patrick Wengenroth Bühne: Mascha Mazur Kostüme: Ulrike Gutbrod Musik: Matze Kloppe Licht: Erich Schneider Mit: Iris Becher, Jule Böwe, Ulrich Hoppe, Patrick Wengenroth

Premiere: 04.09.2014

Termine: 19.09.2014, 20.30 Uhr 20.09.2014, 20.30 Uhr 06.10.2014, 20.00 Uhr 07.10.2014, 20.00 Uhr 10.10.2014, 20.00 Uhr 12.10.2014, 19.30 Uhr

Infos: http://www.schaubuehne.de/de/produktionen/leonce-undlena.html/m=221

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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