Lucian Freud: Closer

Ausstellung Der Berliner Martin Gropius Bau zeigt erstmals Radierungen des britischen Malers aus der UBS Art Collection

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Lucian Freud (1922-2011) wurde von seinen Kritikern als der „besessenste Maler des Fleisches“ bezeichnet. Seine stark pastösen Gemälde nackter Modelle wirken oft sehr korpulent und auf viele geradezu obszön. Jede Ader, jede Hautfalte, jeder noch so kleine Makel, alles Intime liegt in seinen radikal-realistischen Bildern gnadenlos offen. Aber es ist die Art, wie er die Menschen sah. „Zu den aufregendsten Dingen gehört, durch die Haut hindurchzusehen, bis zum Blut, zu den Venen und Narben.“ Das Innere bildhaft nach außen kehren. Darin ähnelt Lucian Freud seinem Malerkollegen und Freund Francis Bacon. Beide haben sich mehrfach gegenseitig portraitiert.

Die Modelle fand der in Berlin geborene Enkel des berühmten Psychoanalytikers Sigmund Freud im direkten Umfeld. „Mein Werk ist rein Autobiografisch. Es ist der Versuch, etwas aufzuzeichnen. Es geht darin um mich und meine Umgebung. Ich male nach Menschen, die mich interessieren und die mir etwas bedeuten und über die ich nachdenke, in Räumen, in denen ich lebe und die ich kenne.“ Auch die Natur und vor allem Tiere tauchen immer wieder in Freuds Gemälden auf. In Kombination sind dies Bilder der Ruhe und Ausgeglichenheit, fast wie fleischgewordene Meditationen.

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Wie setzt man diese Art zu Malen nun in das eher reduziertere Medium der Druckgrafik um? Dazu sind im Martin Gropius Bau zurzeit 51 Radierungen Freuds aus der UBS Art Collection zu sehen. Ergänzt werden sie durch ein aquarelliertes Selbstportrait und zwei bekannte Gemälde aus der großen Schweizer Unternehmens-Sammlung. Lucian Freud: Closer ist nach großen Retrospektiven 2010 im Centre Georges Pompidou Paris, 2012 in der National Portrait Gallery London und 2013 im Kunsthistorisches Museum Wien, eine erste Ausstellung mit Werken Freuds in Berlin seit 1991.

1922 in Berlin geboren, wanderte der damals 10jährige Freud nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 mit seiner Familie nach Großbritannien aus. Mit 16 wurde er britischer Staatsbürger und besuchte bereits die Central School of Art. Kontinuierlich an sich arbeitend hatte Freud mit 21 seine erste eigene Ausstellung. Gezeichnet und radiert hatte er im kleinen Maßstab eigentlich schon immer. Aber erst ab den 1980er Jahren entstanden parallel zu seinen Gemälden viele auch großformatige Radierungen mit den gleichen Motiven. Die ausgestellten Werke stammen bis auf das Aquarell Self-Portrait aus dem Jahr 1974 aus der Zeit von 1982 bis 2001.

Als ironische Wertung der symbolhaft überladenen Werke der Surrealisten, denen er sich nur ganz kurz in den 1940er Jahren zuwandte, ist sein Ausspruch zu verstehen: „Was könnte surrealer sein, als eine Nase zwischen zwei Augen.“ Freud suchte die Wahrhaftigkeit in seinen Portraits. „Ich wünsche mir, dass meine Porträts sozusagen die Leute selbst sind, nicht nur deren äußere Erscheinung.“ Den strengen Maßstab seiner Portraitbilder legte er auch ans eigene Antlitz. Die Ausstellung öffnet mit dem besagten Selbstportrait am Eingang zum ersten Raum, in dem vorwiegend Portraits von Verwandten und Bekannten sowie Londoner Künstlerpersönlichkeiten gezeigt werden, und schließt mit einer sehr düsteren Self-Portrait-Radierung von 1996. Ein tief gefurchtes Gesicht mit dunklen Augenhöhlen und heruntergezogenen Mundwinkeln, nichts beschönigend. Zum Vergleich kann man im ersten Raum eine kleine Serie von Radierungen seiner Mutter betrachten. The Painter‘s Mother von 1982 dokumentiert schon ebenso kompromisslos die Vergänglichkeit des Körpers.

Weitere Radierungen zeigen vor allem seine Tochter Bella, Bekannte der Familie, wie den Anwalt seines Großvaters Sigmund Freund, oder Freunde und Künstlerkollegen wie den britischen Konzeptkünstler, Bildhauer und Filmemacher Cerith Wyn Evans, dessen Kopf er zusätzlich mit Pastellkreide wild über den Rand der Radierung hinaus kolorierte, oder in Head of a Man und Large Head den australischen Modedesigner und Performancekünstlers Leigh Bowery, der Freud ebenfalls meist nackt Modell stand. Eines davon, Reclining Figure, ist im zweiten Raum zu sehen, der sich ganz Freuds vielen Nacktmodellen widmet. Sie verströmen alle eine ganz spezielle Nähe und Intimität.

Lucian Freud ließ in den Radierungen alles Interieur um seine Modelle weg. Das erweckt tatsächlich den Eindruck von Schwebenden. Als signifikantes Beispiel dafür hängen hier die Bilder der recht barocken Arbeitsamtsangestellten Sue Tilley, die ihm sehr oft Modell saß, oder besser lag. Wie eine schlafende Madonna von Rubens. Als Gemälde erzielten diese Aktbilder auf Auktionen enorme Preise. Die Radierungen Large Sue und Woman with Arm Tattoo sind aber nicht minder eindrucksvoll.

Freuds Vorlieben für Tiere und Naturdarstellungen widmen sich die hinteren Räume der Ausstellung. Hier fasziniert vor allem die Radierung eine feingliedrigen Diestel, ein Motiv, das öfters in seinen Gemälden auftaucht. Ebenso wie Hunde, die er zusammen mit ihren Besitzern portraitierte. Als anschauliches Beispiel dient hier das Gemälde Double Portrait (1988–1990), das Freuds Modell Susanna Chancellor mit seinem Jagdhund Pluto zeigt. In der Radierung reduzierte Freud den Bildausschnitt lediglich auf den Hund, der zu Füßen der Ruhenden liegt.

Vorbilder fand Freud in der klassischen französischen Portrait-Malerei des 18. Jahrhunderts mit Vertretern wie Jean-Auguste-Dominique Ingres oder Jean Siméon Chardin, dessen Gemälde Die Schulmeisterin er in zwei Radierungen adaptierte. Chardin ist als „Maler der Stille“ bekannt, was Freuds Intensionen der Malerei natürlich sehr nahe kommt. In der Radierung The Egyptian Book reflektiert Freud Besuche des Berliner Ägyptischen Museums in seiner Kindheit. Das Bild zeigt das aufgeschlagene Buch Geschichte Ägyptens aus seinem Besitz, mit den Portraits zweier früher ägyptischer Statuen. Ebenfalls eine Referenz an die Kunstgeschichte wie auch an die Vergänglichkeit.

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Zuerst erschienen am 10.08.2017 auf Kultura-Extra.

Lucian Freud: Closer
Radierungen aus der UBS Art Collection
22.07.2017 - 22.10.2017
Martin-Gropius-Bau Berlin

Öffnungszeiten:
Mi - Mo | 10 - 19 h
Di | geschlossen

Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel +49 30 254 86-0
Fax +49 30 254 86-107
post@gropiusbau.de

Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinerfestspiele.de/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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