"Lucky Loser" und "Die Hannas"

Kino Zwei neue deutsche Filme überzeugen mit Witz und Ernsthaftigkeit

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Lucky Loser Mike (Peter Trabner) und seine Tochter Hannah (Emma Bading)
Lucky Loser Mike (Peter Trabner) und seine Tochter Hannah (Emma Bading)

Foto: Neue Schönhauser Filmproduktion GmbH

Sommerzeit ist Open-Air-Kinozeit, und selbst wenn das Wetter derzeit nicht mitspielt, machen zumindest zwei neue deutsche Filme Lust auf Sonne, Ferien und Liebe, auch wenn es zunächst nach Beziehungsstress aussieht. „Camping ist Kacke“, ruft der Lucky Loser in Beziehungspause Mike im gleichnamigen Film von Regisseur Nico Sommer; und Hans aus Die Hannas von Regisseurin Julia C. Kaiser stöhnt auch nur: „Schon wieder ein Beziehungsfilm“. Was also ist das Besondere an diesen beiden Low-Budget-Filmen, dass man sie unbedingt gesehen haben muss?

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Nico Sommer hat mit Filmen wie Silvi (2013) und Familienfieber (2014) schon ganz gut unter Beweis gestellt, dass er sein Handwerk als Regisseur für improvisierte Filme mit hintersinnigem Humor versteht. Nun hat er mit Filmförderung durch das ZDF zum ersten Mal ein richtiges Drehbuch geschrieben. Für das Gelingen am Set sorgte bisher immer ein ausgesuchtes Ensemble von DarstellerInnen, zu denen vor allem sein jetziger Hauptdarsteller und Impro-Könner Peter Trabner gehört. In Lucky Loser gibt Trabner Mike, einen alleinstehenden Mitvierziger, der nach 8 Jahren Beziehungspause immer noch an seiner Ex-Freundin Claudia (gespielt vom TV-Liebling Annette Frier) hängt. Die ist allerdings längst mit dem etwas spießigen Thomas (Kai Wiesinger) liiert. Aber Mike gibt nicht auf. Am Rückspiegel seiner Schrottkarre hängt das Bild seiner Angebeteten - bis sie ihn erhört oder bis zu seinem bitteren Ende, wie er der gemeinsamen 15-jährigen Tochter Hannah (Emma Bading) versichert. Hannah ist die einzige, die noch zu Mike hält, und beschließt daher spontan nach einem Streit mit der Mutter und deren Freund, bei ihrem Vater einzuziehen.

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Da Mike aber gerade von seinem Vermieter (Gustav Peter Wöhler) wegen Mietrückständen auf die Straße gesetzt wurde, fängt die Sache an, etwas kompliziert zu werden. Vom seinem Chef (Tatort-Kommissar Kopper alias Andreas Hoppe auf Kinoabwegen) aus der Autowaschanlage, in der er arbeitet, bekommt Mike einen alten Wohnwagen und beschließt notgedrungen, seine Tochter auf eine Campingtour ins Brandenburgische zu lotsen. Damit wird die Sache aber nicht einfacher, und es beginnt ein „Sommer in der Bredouille“, wie die Beziehungskomödie kalauernd im Untertitel heißt.

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Denn nicht nur Mike hat Tochter und Ex nicht ganz die Wahrheit gesagt, auch Hannah hat ihrem Vater verschwiegen, dass sie ihren Freund Otto (Elvis Clausen) zwecks geplanter Entjungferung zum 16. Geburtstag auf den Campingplatz, auf dem schon Mutter Claudia die verregnetsten Sommer ihres Lebens verbringen musste, eingeladen hat. Nun ist Otto zum Erstaunen Mikes trotz entsprechendem Namen kein sogenannter „Biodeutscher“, sondern ein in Deutschland geborener, großgewachsener Spross ghanaischer Eltern, was nicht nur P.C.-Debatten über das „N“-Wort auslöst, sondern auch Anlass zu Auseinandersetzungen mit rassistischen brandenburgischen Jugendlichen gibt.

Mike macht sich aber zunächst eher Gedanken über Drogenkonsum sowie die Jungfräulichkeit seiner Tochter und wie sie alle gemeinsam die Verwicklungen vor der nun auch noch auf dem Campingplatz angekommenen Mutter verbergen sollen. Der Film schrammt hier natürlich hart an allerhand Klischees vorbei, kann diese aber auch zu jeder Menge Wortwitz nutzen. Mitreißend aber ist, wie Peter Trabner in der Rolle des Mike, ohne dessen Bemühungen um Tochter und Ex ins Lächerliche zu ziehen, den Jungen spielt, der nicht erwachsen werden will und dem als Lucky Loser alle Sympathien gehören.

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Als Komödie beginnt der neue Film von Julia C. Kaiser, der - wie schon ihr Erstling Das Floß! (2015) - wieder beim Achtung Berlin Filmfestival im April lief und dort gleich die Preise für den besten Film, das beste Drehbuch, die beste Darstellerin und den besten Darsteller abräumte. Anna (Anna König) und Hans (Till Butterbach), zusammen Die Hannas, leben seit 15 Jahren zusammen und sind nach der etwas unschmeichelhaften Feststellung von Annas Freundin (Anne Ratte-Polle) das Paar, das im Kompromiss glücklich sein kann. Wir sehen zwei, die ihren Alltag leben ohne durchzudrehen. Scheinbar. Denn eigentlich gehen die beiden jedem Konflikt - sei es die Urlaubsplanung oder nur das gemeinsame Essen - aus dem Weg. Und damit beginnen dann aber auch schon die Probleme.

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Nicht nur die Physiotherapeutin Anna verliebt sich für sie ganz überraschend in ihre umtriebige und nicht ganz einfache Patientin Nico (Ines Marie Westernströer), die in einer veganen WG mit Café-Betrieb lebt und einen recht taffen 15-jährigen Sohn (Tim Blochwitz) im Heim hat. Auch der etwas gemütliche und korpulente Hans gerät unverhofft auf Abwege, als er beim über seinen Freund Florian (Christian Natter) vermittelten Hardcore-Fitnesstraining die Bondage und anderen Spielen nicht abgeneigte Kim (Julia Becker) kennenlernt. Dass Nico und Kim Schwestern mit zunächst unklaren Vergangenheit sind, erfährt man erst nach und nach, was für weitere Verwirrung sorgt, die Spannung und scheinbare Absurdität der Story aber noch beständig steigert.

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Allerdings beginnt hier auch der Wandlungsprozess des Paars, was die durch ihren Psychotherapeuten (Falilou Seck) ermunterte Anna weiter beflügelt ihren Gefühlen nachzugehen und auch Hans immer mehr aus seiner Lethargie reißt. Das bedeutet aber auch, dass die beiden den geschützten Kokon ihrer gewohnten Zweisamkeit verlassen müssen und ihre Beziehung auf eine harte Probe gestellt wird. Wie unwirklich sich das für sie manchmal anfühlt, zeigt der Film in einigen surreal wirkenden Szenen. Einerseits genießen Die Hannas den Reiz der neuen Freiheit und die anderen Erfahrung in Sachen Liebe, andererseits wollen sie sich nicht verlieren, was wiederum die Schwestern in eine Krise stürzt.

Julia C. Kaiser hat einen aufregenden Film gedreht, der abseits normierter Sehgewohnheiten für einen freieren Umgang mit Liebes- und Beziehungsdingen wirbt, Alternativen zur Diskussion stellt, es den Beteiligten aber auch nicht unbedingt einfach macht sich zu entscheiden. Ob Die Hannas, um ihr Leben zu ändern, über den geraden gelben Strich, den ein Straßenarbeiter beständig zieht, springen können, sei hier noch nicht verraten. Es lohnt aber in jedem Fall ihnen beim Versuch zu zusehen.

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Zuerst erschienen am 16.08.2017 auf Kultura-Extra.

Lucky Loser - Ein Sommer in der Bredouille (Deutschland 2017)
Dauer: 94 Minuten
Regie und Buch: Nico Sommer
Kamera: Thomas Förster
Montage: Nico Sommer, Carlotta Kittel BFS
Ton: Tim Stephan
Sounddesign: Manuel Laval
Redakteur: Christian Cloos
Producerin: Katharina Possert
Produzenten: Boris Schönfelder
Mit: Peter Trabner, Annette Frier, Emma Bading, Kai Wiesinger, Elvis Clausen, Ursula Werner, Andreas Hoppe, Harald Polzin, Christin Nichols, Antonio Wannek, Michael Kind, Gustav Peter Wöhler, Karim Cherif, Alexandra Grimaldi, Deborah Kaufmann, Katharina Schlothauer

Weitere Infos: http://www.luckyloser-film.de/

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Die Hannas (Deutschland, 2016)
Dauer: 102 Minuten
Regie, Buch: Julia C. Kaiser
Kamera: Dominik Berg
Schnitt: Linda Bosch
Musik: Sorry Gilberto, Dominik Berg, Coleslaw Clubbing
Ton: Tobias Rüther
Kostüm: Ulé Barcelos
Szenenbild: Melanie Peter
Produzenten: Oliver Schütte, Stefan Jäger, Katrin Renz, Milena Klemke
Produktion: tellfilm Deutschland
Mit: Anna König, Till Butterbach, Ines Marie Westernströer, Julia Becker, Anne Ratte-Polle, Christian Natter, Tim Blochwitz, Çetin Ipekkaya, Mandana Mansouri, Cynthia Micas, Robert Nickisch, Jakob Renger, Falilou Seck, Oliver Steffen

Infos: http://diehannas.wfilm.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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