Milchstraßenverkehrsordnung

Ausstellung Das Künstlerhaus Bethanien bedient sich für seine Weltraumutopien bei Stanisław Lem und mit dem Untertitel "space is the place" beim Afro-Futuristen Sun Ra

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Christoph Tannert, den Chef des Künstlerhauses Bethanien in Berlin-Kreuzberg, ereilte der Vorwurf, dass die von ihm kuratierte Ausstellung Milchstraßenverkehrsordnung (space ist the place) eine rein weiße und fast nur männliche Veranstaltung sei, vermutlich völlig unerwartet. Zumal die Ausstellung des bekannten DDR-Kunstkenners ja das Thema Teilhabe oder Feminismus gar nicht zum Thema hat. Mal abgesehen davon, dass der sprichwörtliche Mann im Mond ja auch eine eher männliche Gedankenprojektion ist. Da musste sich Tannert wohl gefallen lassen, von einem AktivistInnen-Kollektiv namens Soup du Jour (Seife des Tages) nach dem Motto Whitey on the Moon (Song des schwarzen Musikers Gil Scott-Heron) entsprechend sarkastisch eingeseift zu werden. Die Ausstellung zum Thema Weltraumutopien in der Kunst ist dazu noch vom afro-futuristischen Musiker Sun Ra und seinem Kultfilm Space Is The Place inspiriert. Ein klarer Fall von kultureller Vereinnahmung, ohne dass schwarze KünstlerInnen daran beteiligt wären. So die Gruppe, die es sich nicht nehmen ließ, Tannert noch einen schönen Gruß mit auf den Weg zu geben. „Hut ab, lieber Christoph Tannert, vor Ihrem unerschütterlichen Engagement für die weiße Männlichkeit!“

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Die ausgestellte Kunst gerät da schnell zur Nebensache. Anlässlich des 50. Jahrestags der ersten Mondlandung versucht sich die Ausstellung u.a. kritisch mit dem technischen Fortschritt und der Expansion zu anderen Gestirnen und Planeten zu beschäftigen. Dass es damit nicht nur ganz ernst gemeint ist, bezeugt schon der Ausstellungstitel Milchstraßenverkehrsordnung, der Stanisław Lems Roman Lokaltermin entlehnt ist. Entsprechend ironisch auch die bunt gestrickten Cuties for Space Invaders 1-6 von Jared Theis oder Gerd Rohlings blaue, durchlöcherte Weltraum-Plastiktonne mit dem Titel Heaven is for everybody. The others are always sleeping, was sich einem nicht gleich auf den ersten Blick erschließt. Wie so vieles dieser bunt zusammengewürfelten Schau.

Da hängen Thomas Ravens‘ Tuschezeichnungen von dystopischen Orten neben Saverio Tonoli Adamos Ether project genannten großen Papierarbeiten und Anette Schröters monumentalem Doppelscherenschnitt Kosmos, der in Art von sozialistischer Propagandakunst zwei einen Sputnik haltende Männer zeigt. Fast schon wieder philosophisch und im Sinne von Lem ist dagegen der Komarow-Gedächtnisraum von Via Lewandowsky. Ganz in blaues Licht getaucht ist er dem 1967 als erstem Mensch tödlich im All verunglückten sowjetischen Kosmonauten Wladimir Komarow gewidmet und zeigt in Vitrinen liegende verkohlte Gegenstände wie Hemd, Hose, Handschuh und Bleistiftanspitzer. „Weiß einer weiter?“ steht an der Wand. Der Weltraumflieger als nützlicher „Idiot“.

In der Ausstellungsankündigung ist auch was zur Thematik „Weltall - Erde - Mensch“ zu lesen. So ist auch ein zu DDR-Zeiten an die sozialistischen Jugendweihlinge verschenkter Almanach benannt. Man kann das aber getrost beiseitelassen wie auch den Verweis von Kurator Christoph Tannert auf den aus Südafrika stammenden kanadisch-US-amerikanischen Unternehmer und Investor Elon Musk, der ein privates Raumfahrtprogramm aufgelegt hat mit dem Fernziel einer Marsmission und Touristenflügen zum Mond. Da fragt sich natürlich, wem gehört das All und womit verdient der Mann seine Milliarden. Der Vorwurf an Tannert lautete dann auch die „Die Kolonisierung des Weltraums“ zu verklären. Dagegen nimmt sich das Glamrock-Gepose von David Bowie in dem vom gerade verstorbenen Regisseur D.A. Pennebaker gedrehten legendären Konzertfilm Ziggy Stardust & The Spiders from Mars doch eher bescheiden aus. In einem Videoraum laufen weitere Filme zum Outerspace-Thema wie etwa der preisgekrönte französisch-tschechische Animationsfilm Der wilde Planet von Regisseur René Laloux oder der in Vietnam gedrehte kolonialismuskritische Kurzfilm Moon over Da Nang von Bjørn Melhus. Von Afro-Futurismus weit und breit keine Spur. Außer ein paar bunten Platten-Covern von Nic Raicevic aus den 1970er Jahren und an Dali erinnernden surrealen Alien-Gemälden von Guy Allott bleibt die Schau doch recht bodenständig.

Zweien der drei Künstlerinnen gibt die Ausstellung dann aber doch recht breiten Raum. Im Foyer hängen die abstrakt-farbigen, mit Buntlack und Tusche auf Acrylglas gemalten Bilder von Bettina Scholz, die u.a. von Science-Fiction-Filmen wie Dune oder Alien inspiriert sind. Big Ear Radio/Das Licht hat sich geändert heißt eine zweiteilige Installation der Künstlerin aus bemaltem Gips-Ohr und schwarzer Glasplatte. Das Obergeschoss bespielt Brigitte Waldach mit ihrer Wand-, Raum- und Klanginstallation Welt und dem großformatigen Triptychon Space mit Bergpanorama vor Sternenhimmel. Da gehen Wandzeichnungen in den Raum über und treffen Erde, Weltall und Texte aus Nietzsches philosophischem Werk Also sprach Zarathustra aufeinander.

Das ist schon groß gedacht und schert sich sicher kaum um die Interessen und Teilhabeforderungen, die von bestimmten marginalisierten Gruppen nun immer lautstarker eingefordert werden. Man wird sich auch in der weißen, männlichen Kunstszene daran gewöhnen müssen. Ein Angebot zum Dialog liegt Seitens des Künstlerhauses Bethanien vor. Ob es von der kritisierenden AktivistInnen-Gruppe wahrgenommen wird und zu einer Verständigung kommt, wird man dann am 2. September sehen.

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Zuerst erschienen am 14.08.2019 auf Kultura-Extra.

Milchstrassenverkehrsordnung (Space is the Place)
2. August bis 15. September 2019
Künstlerhaus Bethanien
Kottbusser Straße 10
10999 Berlin

Infos: https://www.bethanien.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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