Moral ist eine warme Granate

Bühne Thomas Melles „Ode“ an die Kunstfreiheit für das Deutsche Theater will unbedingt aufrütteln – nur wen?
Ausgabe 02/2020

Im Streit um Peter Handke ging es auch mal wieder um die Frage, ob die Kunst losgelöst vom Künstler betrachtet werden darf. Der Schriftsteller und Dramatiker Thomas Melle hatte sich in der FAZ klar hinter Handke gestellt. Für das Deutsche Theater Berlin schrieb er das Stück Ode, das nicht von Peter Handke, aber von der Bedrohung der Kunst durch linke Moralapostel oder rechte Tugendwächter handelt. Die Klippe, damit selbst zum moralinsauren Eiferer in Sachen Kunst zu werden, versuchte die Regisseurin Lilja Rupprecht, zunächst recht gut, zu umschiffen.

Eine „staatlich subventionierte“ Kunstprofessorin (Katrin Wichmann) stellt ihr nicht sichtbares Kunstwerk vor. „Ode an die alten Täter“ sei ein Dank an die Nazis, die ihren sexuell gewalttätigen Großvater umgebracht haben. Das ruft sofort Abscheu und Kritik hervor, die sich hier durch eine „Die Wehr“ genannte Gruppe äußert, gespielt von Juliana Götze und Jonas Sippel vom RambaZamba Theater. Hier entsteht ein zusätzlicher Verfremdungseffekt.

Die in bunte Kostüme gehüllte „Kunstblase“ (Christina Schmitt) kocht, der Faschismusvorwurf steht im Raum. Auf Bühnenwände (Anne Ehrlich) werden im Lauf des Stücks Videos projiziert, Kunst-Zitate und abstrakte Bilder gepinselt. Mit Beuys’ Sozialer Plastik wird hantiert oder mit Adornos Diktum über die Lyrik nach 1945. Um die Kunst geht es hier aber bald nicht mehr. Die Kunstprofessorin verliert ihren Job und nimmt sich das Leben.

Jahre später versucht der Regisseur Orlando (Manuel Harder) gemeinsam mit einer Schauspielerin (Katrin Wichmann), den Fall nachzustellen, was zur Diskussion über die Darstellbarkeit von Realität führt, darüber, wer überhaupt wen repräsentieren und für wen auf der Bühne sprechen darf. Schauspieler und Schauspielerin fast nackt in Vergewaltigungspose oder Harder mit Kopftuch als Putzfrau, das ruft natürlich immer wieder „Die Wehr“ auf den Plan.

Trällern mit Totenkopfmaske

Rechts oder links, identitäre oder Identitätspolitik, das ist im Bürgerkrieg auf der Bühne bald nicht mehr zu unterscheiden. Autor Melle hält in Bezug auf die Kunst eh beides für Ideologie. Er proklamiert das Ende des Theaters, wie wir es kennen. Bevor sich der Autor jedoch weiter versteigt, wird es noch mal satirisch, wenn Alexander Khuon mit Totenkopfmaske zu dem Hit A Meinung ham des Alpenrockers Andreas Gabalier performt und damit die Diskussion sozusagen wieder nach rechts öffnet.

Bis dahin bleibt Melles Stück ambivalent, stimmt nachdenklich, und auch die Regie drängt sich außer mit ein paar choreografierten Tänzen und etwas Actionpainting nicht übermäßig auf. Der Auftritt von Natali Seelig und Alexander Khuon als Figur Präzisa wird dann aber zur recht pathetischen Ode an die Kunstfreiheit. Und während „Die Wehr“ mit Deutschlandfahne das Kommando übernimmt, propagiert Präzisa eine Kunst ohne Ideologie, Moral, Staat oder Nation, nur der „Freiheit der Handlung, der Kunst und der Welt“ verpflichtet. Als Kunst, die nicht in Schönheit sterben will, reißt sie sich „die Fratze vom Gesicht“ und flutet die Bühne. Das ist reine Poesie und aller Ehren wert, nur eben nach hinten raus etwas zu lang und redundant im Text. Da ist man fast schon wieder versucht, die Kunst in ihrer Vielfalt vor dem Kunstbefreier Melle in Schutz zu nehmen.

Info

Ode von Thomas Melle Lilja Rupprecht (Regie) Deutsches Theater Berlin, bis 23. Februar Zuerst bei KULTURA-EXTRA veröffentlicht

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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