müchnhausen am Deutschen Theater Berlin

Premierenkritik Jan Bosse inszeniert die hübsche Schauspiel-Münchhausiade von Armin Petras mit Milan Peschel in der Hauptrolle.

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Den Schauspieler Milan Peschel mal wieder auf einer Berliner Bühne zu sehen, ist höchst erfreulich. Und dann noch in einem Stück von Armin Petras, umso besser. Der Intendant des Staatsschauspiels Stuttgart hat es Peschel mehr oder weniger auf den Leib geschrieben. Inszeniert hat es Jan Bosse, der seit den Petras-Jahren am Maxim Gorki Theater zu den beiden ein freundschaftliches Verhältnis pflegt.

In münchhausen geht es also zu allererst um den Schauspieler Milan Peschel. Es sei ein Stück über ihn, verrät der Mime zu Beginn in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, und auch wieder nicht, denn es geht natürlich auch um ihn als Figur. Dazu sollte er nach Rücksprache mit der Kostümbildnerin das anziehen, was er immer an hat. Dann ist es aber doch noch ein richtiges Kostüm geworden. Peschel trägt Anzug, Melone und Regenschirm, und wirkt vor dem azurblauen Vorhang mit weißen Wölkchen wie aus einem Gemälde von Magritte gefallen. Eine jener schwarzen, surrealistischen Traumfiguren, die in rätselhaften Vexierbildern stehen und an unser verschüttetes Unterbewusstsein appellieren.

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münchhausen mit Milan Peschel - Foto (c) Arno Declair

Ein bisschen albtraumhaft ist es dann auch. Nicht so sehr für die Zuschauer, mehr für den Schauspieler selbst, der anfangs nicht so genau zu wissen scheint, was er da auf der Bühne soll. Eigentlich wäre es ein Zweipersonenstück, gesteht Milan Peschel etwas verunsichert, mit ihm als Hauptperson und noch einer Nebenrolle, deren Darsteller aber noch nicht erschienen ist. Auch auf dem Programmzettel steht ein weiterer Name. Es ist Martin Otting, den man aus Peschels Inszenierungen am Gorki Theater kennt. Der verspätete Kollege, erfährt man, sei Franzose, der einst in einem französischen Film fürs Theater entdeckt wurde, nun aber seine besten Tage schon hinter sich habe und nebenbei bei Zalando für den Lebensunterhalt seiner Zwillinge arbeiten müsse. Man kann also nicht jeden Tag Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären, frei nach Nietzsche. Das Scheitern gehört auch dazu. Nach dem anfänglichem Gestottere über die Frage: „Was mache ich hier?“ entschließt sich Peschel aber irgendwann das zu tun, was er am besten kann. Er gibt den komischen Mimen als Alleinunterhalter mit jeder Menge Slapstick mit Stuhl, einem Sitzball als Kanonenkugel und natürlich dem Regenschirm. Wie sollte es anders sein.

Mit Nietzsche-Reclambüchlein unterm Arm kommt Peschel ins Fabulieren und Kalauern. Die ganz großen Gesellschaftsthemen werden dabei wie in einem lustigen, gedanklichen Cyrano-Zarathustra-Zalando-Ritt abgehandelt. Aber auch der „Zalando-Franzose“ ist irgendwann vergessen. Peschel lässt sich Käsebrote und Bier reichen, raucht, trinkt, palavert weiter, schnippt den Bierdeckel in einen Wassereimer und lässt sich feiern. Ein bisschen Eitelkeit gehört zum Schauspielberuf, sonst stünde er nicht hier, gibt er zu. Aber es ist auch Handwerk, „dieses Schauspielgedingse da“, und seinen Beruf „liehiehiebeee“ er schon sehr. Leben, Leib und Liebe und natürlich auch jede Menge Liebesleid stecken da in diesem Ausruf. Sowie die plagenden Selbstzweifel und die Angst als vermeintlicher Hochstapler aufzufliegen. Man nennt das dann auch das Münchhausensyndrom.

Also eine Liebeserklärung an den Schauspielberuf, aber auch eine wunderbare Münchhaussiade durch die Geschichte der Schauspielkunst, als Fest des Scheins und der vereinbarten Lüge, mit einem ellenlangen Stammbaum, den er minutenlang zum Besten gibt, mit Reminiszenzen an alte Kollegen aus der Volksbühne wie z.B. Henry Hübchen, aber auch Fußballern, Politikern und sogar einem Ulrike-Gudrun-Andreas Münchhausen. Milan Peschel schnarrt sich durch schier endlose Textpassagen alter Rollen, zitiert dabei aus Tschechow-, Tolstoi- und Dostojewski-Stücken, oder auch mal aus Armin Petras‘ Dramatisierung des Werner-Bräuning-Romans Rummelplatz, die damals zum Abschluss von dessen Gorki-Intendanz noch einmal mit großem Finale gezeigt wurde.

Es geht noch ein bisschen weiter mit Theaterinterna, einer kurzen Frank-Castorf-Parodie und der Drohung einfach immer weiterzumachen. Aber nach erwartbaren Einlassungen zur vierten Wand, einer Mitmachnummer mit erhobenen Händen, Witzchen mit einem Zuschauer auf der Bühne und weiterem Textaufgesage (leider zu viel und zu lang, aber auch das müssen Schauspieler können), kommt der Zalando-Kollege (hier müssten wir jetzt eigentlich fast schon was kassieren, für so viel Schleichwerbung) doch noch im vollen Münchhausenornat und beginnt an der Rampe Peschels Text vom Beginn des Stückes aufzusagen. Und wir haben verstanden. Diese kurze Umkehrung der Anfangsvoraussetzung am Ende lässt uns nochmal die wundersame Uneindeutigkeit des Theaters mit all seinen Bühnen- und Lebenslügen vor Augen treten. Ein Ding ohne klaren Anfang und Ende und doch einer täglichen Wiedergeburt auf den Brettern, die für einige so vieles bedeuten. Großer Dank und Beifall.

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Zuerst erschienen am 19. September 2015 auf Kultura-Extra.

MÜNCHHAUSEN
Regie: Jan Bosse
Ausstattung: Kathrin Plath
Dramaturgie: Ulrich Beck
Mit: Milan Peschel und Martin Otting
Uraufführung bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen war am 30. Mai 2015
Berliner DT-Premiere: Kammerspiele, 17.09.2015
Weitere Termine: 19. 9. / 11., 16., 29. 10. 2015
Eine Koproduktion mit dem Ruhrfestspielen Recklinghausen

Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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