Mutter Courage und ihre Kinder

Premierenkritik Am Staatsschauspiel Dresden stellt Regisseur Armin Petras Brechts Antikriegsstück auf die schiefe Ebene

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Gute Schuhe braucht es für den Krieg wie fürs Theater. „Mutter Courage, die kommt mit Schuhen, in denens besser laufen kann.“ heißt es auch im Eingangslied von Mutter Courage und ihre Kinder, einem der Hauptwerke von Bertolt Brecht, das der Autor zum Modellstück des Epischen Theaters erklärte. Im Staatsschauspiel Dresden braucht’s nicht nur gute Schuhe, sondern einiges an Halt und Geschick auf der steilen Bühnenschräge, die Olaf Altmann für die Inszenierung von Regisseur Armin Petras gebaut hat. Europa auf der schiefen Ebene des Dreißigjährigen Krieges. Erstes Opfer der Kriegsprobenhandlungen ist die Darstellerin der Lagerhure Yvette, Nadja Stübiger, die nicht die einzige Versehrte des Abends ist, aber aus ihrem Fußhandicap zumindest einen Running Gang machen kann und damit der Hauptfigur des Abends fast die Show stiehlt. Ursula Werner, lange Zeit Ensemblemitglied am Maxim Gorki Theater Berlin, zuletzt auch unter Armin Petras, spielt die Mutter Courage, Marketenderin, Mutter dreier Kinder und „Hyäne der Schlachtfelder“. Eine Paraderolle für gestandene Schauspielerinnen vom Format der Werner.

Aber schon so gebrochen wie sie dieses Eingangslied der Mutter Courage intoniert, lässt schon vieles an Armin Petras' Inszenierung erahnen. Da geht es von Anfang an steil bergab. Der Krieg nimmt der Courage nicht nur die Kinder, sondern auch den Lebenssinn, auch wenn der, wie es scheint, nur im Geschäftemachen mit dem Krieg besteht. Zwischen Muttertier und kühl kalkulierender Geschäftsfrau hat Brecht die Courage schon angelegt. Armin Petras folgt dieser Vorlage sinngemäß, doch lässt die Werner auch die Zwischentöne zu. So schnell wie diese Inszenierung zuweilen hochtourt, fällt das Tempo auch immer wieder ab. Ein choreografierter Laienchor (typisch für Petras' jüngste Inszenierungen) verkörpert zerlumpte Soldaten, hungerndes Volk oder Kriegstote und klettert zudem an einem gefährlich aussehenden bühnenhohen Metallgitter hoch und runter. Schwert, Äxte, verschiedene Helme und eine alte Registrierkasse verorten die Handlung nicht konkret. Den Schrecken des Krieges kleidet Petras dann auch mal schwarz-humorig in das Federkleid eines von der Courage verkauften Kapauns, der im großen Kochtopf seine abgehackten Glieder den anderen zum Fraß vorwirft.

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Inhaltlich bleibt die Inszenierung jedoch leicht gekürzt bei den vorgegebenen Bildern, lässt aber auch Raum für ironische Improvisationen, wovon vor allem Nadja Stübiger, die nach der Pause von Fanny Staffa vertreten wurde, profitieren kann. Die den einzelnen Bildern vorgestellten Ansagen kommen via Megafon vom Band. Stimmungen und Jahreszeiten erzeugt Petras mit auf die Bühne geschütteten Blättern und weißen Federflocken. In den Nebenfiguren überzeugt vor allem Maria Tomoiagă als stumme Tochter Kattrin. Sie wird auch in der Fassung des Stücks am koproduzierenden ungarischen Theater in Cluj zu sehen sein. Die weiteren Rollen will man dort neu besetzen. In Dresden werden die der Courage im Krieg zuerst abgehenden Kinder Eilif und Schweizer Kas von Yassin Trabelsi und David Kosel gespielt, der Koch von Matthias Reichwald und der Feldprediger von Philipp Lux.

Das ist über weite Strecken gutes Schauspielertheater, begleitet von den Musikern Michael Fuchs, Berthold Brauer, Lars Kutschke und Florian Lauer, die die Musik von Paul Dessau mal in Jazz mal in rockigeren Tönen spielen. Armin Petra versäumt es aber seiner Inszenierung einen wirklich zwingenden Interpretationsansatz zu geben, was Brechts klarer Antikriegstext vielleicht auch nicht zwingend fordert. Und so schnurren die Episoden recht routiniert mal ernst, mal etwas klamaukiger ab. Stark wird der Abend immer wieder in den Massenszenen mit dem Statistenchor und in den die Courage zu menschlichen Entscheidung nötigenden Szenen. Krieg und daraus resultierender materieller Vorteil stehen neben Menschlichkeit, die vor allem in der Person der traumatisierten Kattrin zu Tage tritt. Sie hat nach der Pause ihren großen Auftritt als rettende Trommlerin der bedrohten Stadt Halle. Ein donnerndes Klopfkonzert des ganzen Ensembles als letzte Mahnung. Zurück bleibt die Courage im Dilemma fortwährender Kriege. Emotional berührt einen das schon.

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Zuerst erschienen am 28.09.2019 auf Kultura-Extra.

MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER (Staatsschauspiel Dresden, 27.09.2019)
Musikalische Einrichtung der Musik von Paul Dessau von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel
Regie: Armin Petras
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Cinzia Fossati
Musik: Thomas Kürstner und Sebastian Vogel
Choreografie: Denis Kooné Kuhnert
Musikalische Einstudierung: Thomas Mahn
Licht: Norman Plathe-Narr
Dramaturgie: Katrin Schmitz
Besetzung:
Mutter Courage ... Ursula Werner
Kattrin ... Maria Tomoiagă
Eilif ... Yassin Trabelsi
Schweizerkas ... David Kosel
Yvette ... Nadja Stübiger und Fanny Staffa
Koch ... Matthias Reichwald
Feldprediger ... Philipp Lux
sowie 20 Statist*innen
Premiere war am 27. September 2019.
Weitere Termine: 29.09. / 18.10.2019 // 02.02.2020
Koproduktion mit dem ungarischen Theater in Cluj

Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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