NOT MY REVOLUTION, IF... im HAU1

Theater, Performance ancompany&Co. erzählen in einem ironischen Agit-Pop-Musical DIE GESCHICHTEN DER ANGIE O.

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Die Welt steckt in der Krise. Sei es nun die Finanzkrise, Flüchtlingskrise oder die Krise der westlichen Demokratie mit Wahlsiegen rechter Populisten von der AfD bis hin zu Donald Trump. Immer wenn gerade mal wieder die ökonomische Krise des Kapitalismus wie das baldige Ende der Welt eingeläutet wird, erinnert sich das Theater seiner politischen Mission und haben Bertolt Brecht und Heiner Müller auf den Bühnen Hochkonjunktur. So zurzeit auch in Berlin. Und auch das Performancekollektiv andcompany&Co. hat sich schon ausführlich mit den beiden Säulenheiligen des politischen Theaters beschäftigt, ob nun als anthropophage Einverleibung mit Fatzer-Braz nach Bertolt Brecht oder als einen kybernetischen Müller in Metropolis. In ihrer neuen Inszenierung kommt man dagegen mal wieder ganz ohne dramatische Vorlage aus und singt, die Bühne zum revolutionären Protestcamp machend, das hehre Lied von der Geschichte der „Angie O.“.

Allerdings ist das ein ironisches Wortspiel mit der englischen Kurzform NGO für Non-Governmental Organisation (zu Deutsch: Nichtregierungsorganisation). In Not my Revolution, if...: Die Geschichten der Angie O. zelebrieren die beiden deutschen Performerinnen Nicola Nord und Claudia Splitt, unterstützt durch ihre beiden holländischen Kollegen Krisjan Schellingerhout und Vincent van der Valk, einen ganz unterhaltsamen, leicht kritisch angehauchten Agit-Pop-Abend. Zum Protestslogan "Merry crisis and a happy new fear" intoniert das Ensemble im Stile der britischen Protestband Chumbawamba zu Gitarre, Fanfaren und Trommeln einiges an politischen Rock- und Rebel-Songs. Ein durchaus witziger Bühnen-Marsch durch einige Jahrzehnte Protestbewegung.

Eingebetteter MedieninhaltAls metaphorische Bühnenfigur dient dabei also besagte Angie O., die bestens vernetzt durch die Welt jettet, in einer Fair-Trade-Coffee-Shop-Kette arbeitet und ihr Zelt in Parks, auf Plätzen, vor Banken oder wie hier auf der Bühne aufschlägt. Sie ist überall da, wo es gilt Menschen zu helfen oder mal eben die Welt zu retten. „Es helfen Menschen, wo Menschen sind.“ Aber anstatt Menschen kommen meist Organisationen. Am schlimmsten sei dabei immer der Ausspruch: „Ich bin von der Regierung und bin gekommen, um zu helfen.“ andcompany&Co. beleuchten also das institutionalisierte Business der internationalen Hilfs- und Protestorganisationen, ob nun non-governmental oder nicht.

Allerdings taugt der Abend nur bedingt als ernstzunehmende Reflexion auf die Geschichte der Protestkultur, auch wenn man dabei im Stile traditioneller, amerikanischer Singer-Songwriter agiert, die Krise des Kapitalismus rappt, "The Man Who Sold the World" singt oder zur Melodie des PJ-Harvey-Songs "The Weel" über die Bühne marschiert. "It's the song I hate" sangen die Sonic Youth in den 1990ern. Und so changiert man beständig zwischen Pop und Parolen, Songs und Smoothies. Es gibt wenig Erleuchtendes, was ja meist auch nicht im Sinne der ausufernden Performances der andco’s ist.

So assoziieren sich die mit Schürzen und Namensschildern ausgerüsteten Zapatista-Baristas auf der Suche nach einem geeigneten, unabhängigen „Third Space“ durch das „Wood Wide Web“ der Rhizome bildenden Pilze. Eine Vision der Angie O., die nach dem Genuss von Magic Mushrooms erst die globale Vernetzung von Organisationen entdeckte. Oder man treibt mit einem Abraham-Lincoln-Penny als Kopf lustige Wortspiele mit Coffee und Money. Ja, die Investition ins Geschäft mit der Moral und Fair-Trade-Produkten kann sich auszahlen. Starbucks macht‘s vor, und Angie O. wäre damit auch nur die neoliberale Variante der Heiligen Johanna der Schlachthöfe, womit wir wieder bei Brecht wären. From save our sells to sells our souls. Selbst für free hugs muss jemand bezahlen.

Natürlich reflektiert man auch die eigene Rolle als Actor und politischer Akteur, was in einem Umfallerslapstick von Krisjan Schellingerhout mündet und dem Witz, dass Künstler zwar viel über Neoliberalismus reden, aber nicht mal ihre Steuererklärung verstehen. Neben ein wenig Medienkritik, wobei die Akteure ihr Gesichter in große ausgeschnittene Smartphonedisplayatrappen stecken oder wie die russischen Pussy Riot auftreten, wird auch noch anhand des großen pyramidenförmigen Zelts auf der Bühne, in dem Schaumstoffpupen an Stangen hängen, die Verteilung des weltweiten Reichtums erklärt. Oben stehen 10 %, die 86 % besitzen, unten 50 % mit nichts außer ihrer Arbeitskraft. Dazwischen wäre dann die sogenannte Mittelklasse mit 14 % des Reichtums anzusiedeln. Nicht nicht mitgerechnet die, die außerhalb des Zelts stehen und gar nicht mehr gebraucht werden.

Der Abend ufert dann endgültig in einem an eine schlechte Pollesch-Parodie erinnernden Streitgespräch auf einer Demo im Angesicht der die Staatsgewalt ausübenden Polizei aus. Theaternebel und Tränengas simulierende Tränenstifte stiften untergehakten Gemeinsinn. Die Protestgemeinschaft als hierarchisch organisierte Affinitätsgruppe, aus dem der Ausbruch nur eines Ichs die Lücke für den Zugriff schlägt. Aktion und Gegenaktion - wer A sagt, erwartet ein B, obwohl eigentlich schon A gilt oder nichts. Da erweist sich die kleine Gruppe der tapferen Bühnen-Aktivisten, die verzweifelt die schlaff am Boden liegenden Schaumstoffpuppen wiederbeleben und aufstellen will, ganz gemäß dem PJ-Harvey-Song als eine ewige "Community of Hope".

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Zuerst erschienen am 25.11. 2016 auf Kultura-Extra.

NOT MY REVOLUTION, IF...: DIE GESCHICHTEN DER ANGIE O. (HAU1, 25.11.2016)
Von und mit: Noah Fischer, Alexander Karschnia, Nicola Nord, Krisjan Schellingerhout, Claudia Splitt, Sascha Sulimma und Vincent van der Valk&Co.
Text: Alexander Karschnia & Co.
Musik: Sascha Sulimma und Vincent van der Valk&Co.
Bühne: Noah Fischer&Co.
Kostüme und Mitarbeit Bühne: Franziska Sauer&Co.
Licht Design: Rainer Casper
Ton: Mareike Trillhaas
Regieassistenz: Hilkje Kempka
Technische Leitung: Marc Zeuske
Premiere im HAU Hebbel am Ufer: 24. November 2016
Weiterer Termin siehe: http://www.andco.de/
Eine Produktion von andcompany&Co. in Koproduktion mit HAU Hebbel am Ufer (Berlin), Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main, FFT Düsseldorf, Ringlokschuppen Ruhr, Theater im Pumpenhaus Münster und brut Wien und House on Fire

Weitere Infos siehe auch: http://www.hebbel-am-ufer.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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