OBSESSION

Wiener Festwochen Ivo van Hoves Visconti-Adaption mit dem britischen Hollywoodstar Jude Law kann künstlerisch wenig überzeugen

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Viel namenlose Performance gegen einen Film- und Bühnenstar in einer der wenigen konventionellen Sprechtheaterinszenierungen bei den Wiener Festwochen. Da enttäuscht es doch etwas, wenn gerade die mit dem britischen Schauspieler Jude Law auftrumpfende und der Toneelgroep Amsterdam sowie dem Londoner Barbican Theatre koproduzierte Inszenierung Obsession in der Regie des auch in Deutschland nicht ganz unbekannten Holländers Ivo van Hove die künstlerischen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Das lag sicher nicht am durchaus bühnenerprobten Hollywoodstar, zeigt aber, dass der Einsatz von Publikumsmagneten noch kein Garant für gutes Theater ist, auch wenn es die Zuschauer zuhauf in die Aufführungen im Wiener Museumsquartier zog.

Der Roman The Postman Always Rings Twice (Wenn der Postmann zweimal klingelt), 1934 vom US-amerikanischen Krimiautor James M. Cain geschrieben, ist mehrfach für das Kino adaptiert worden. Ivo van Hove hat sich für seine Bühnenfassung das Regiedebüt des italienischen Regisseurs Luchino Visconti ausgesucht. Ossessione (Besessenheit) weicht am weitesten vom Krimiplot Cains ab und verlegt die Handlung ins faschistische Italien des Jahres 1942. Der Film wird daher auch als die Geburtsstunde des italienischen Neorealismus bezeichnet. Diesen Realismus gibt Ivo van Hove zu Gunsten eines unbestimmten, sterilen Bühnensettings auf. Nicht die zeitliche oder gesellschaftliche Verortung ist für den Regisseur interessant, sondern die rein zwischenmenschlichen Gefühle, die er für falsch und kalt hält, wie die leere, mit grauen Wänden umrahmte Bühne von Jan Versweyveld.

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Zu Beginn steht Gijs Scholten van Aschat als älterer Werkstattbesitzer Joseph an einem vom Schnürboden hängenden Motor und bastelt daran herum, während Halina Reijn als seine junge Frau Hanna von einem Tresen aus zusieht. Jud Law als Landstreicher Gino spielt im Hintergrund Mundharmonika und später im Unterhemd mit seinen Muskeln, wenn er den Motor und die Wasserpumpe des kurz abwesenden Hausherrn repariert. Ein Blick zu Hanna reicht, und es knistert. Die Leidenschaft scheint sofort entfacht. Der Sex wirkt etwas ungelenk wie das prompte Versprechen der Liebe, das Gino Hanna gibt. Viele der Szenen erscheinen, kaum richtig ausagiert, wie Stückwerk.

Aus den 140 Minuten Viscontis destilliert van Hove straffe 100 Minuten, die zwar alle Szenen von Ossessione streifen, aber die italienische Hitze der Leidenschaften außen vor lassen. Einzig die Arie "Di Provenza il mare, il suol" des Germont aus der Verdi-Oper La traviata, die der betrogene Ehemann Joseph singt, bevor der übergriffige Macho von den beiden Liebenden ermordet wird, steht noch dafür. „Dio m'esaudì!“ singt der Sterbende unter dem Gebrüll des großen Motors, der wie ein Deus ex Machina vom Bühnenhimmel schwebt und sein Öl über die Leiber der miteinander Ringenden versprüht. Ein Konglomerat aus verschiedensten Leidenschaften. Die Maschinerie läuft aber nicht nur gut geölt. Motor wie Handlung stocken nun ein ums andere mal. Zweifel nagen an den sich nach Leidenschaft Verzehrenden. Sie finden kaum noch die richtigen Worte und fliehen einander.

Dazu stellt sich Gino immer wieder auf ein Stück Laufband und rennt auf der Stelle. Ein Entrinnen scheint unmöglich, ebenso wie die Erfüllung des Versprechens nach Liebe und Freiheit. Van Hoves Inszenierung wird nun immer operettenhafter. Nun darf auch Halina Reijn singen und dabei etwas unvermittelt Müll über die Bühne verteilen. Sie lieben und sie schlagen sich. Halb zog sie ihn, halb sank er hin. Dazu kommt der Einsatz von Nebendarstellern, die wie zufällige Sidekicks am Bühnenrand sitzen oder plötzlich von der Seite her in die Szene schlendern. Zum Beispiel wirkt Chukwudi Iwuji, der neben dem Priester auch noch den Inspektor gibt, der dem Paar auf der Spur ist, wie Columbo, der in seinen Filmen auch immer wieder unversehens im Trenchcoat auftauchte. Zum Schluss wird es dann sogar noch ziemlich kitschig, wenn Ginos Sehnsuchtsort Meer auf einer hochgeklappten Videoleinwand flimmert und die Wellen dazu rauschen. Na ja.

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Zuerst erschienen am 06.06.2017 auf Kultura-Extra.

Obsession (03.06.2017, Halle E im MuseumsQuartier)
nach dem Film Ossessione von Luchino Visconti
Regie: Ivo van Hove
Text, Dramaturgie: Jan Peter Gerrits
Bühne und Lichtdesign: Jan Versweyveld
Video: Tal Yarden
Kompositionen: Eric Sleichim
Sound Design: Tom Gibbons
Kostüme: An d‘Huys
Mit: Jude Law, Robert de Hoog, Halina Reijn, Gijs Scholten van Aschat, Chukwudi Iwuji, Aysha Kala
Produktion: Toneelgroep Amsterdam, Barbican Theatre Productions Limited
Eine Auftragsarbeit von Barbican Theatre Productions Limited
gemeinsam mit Wiener Festwochen und Les Théâtres de la Ville de Luxembourg
Koproduktion: Holland Festival und David Binder Productions
Private Producers: Harry und Marijke van den Bergh, Joachim Fleury, Joost und Marcelle Kuiper
Supported by the Embassy of the Kingdom of the Netherlands

Infos: http://www.festwochen.at/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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