Odyssee

Theater Am Staatsschauspiel Dresden erzählen Roland Schimmelpfennig und Tilmann Köhler die Irrfahrten des Odysseus nach Homer als globale Geschichte von Heimkehr und Flucht

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Die Odyssee des antiken Dichters Homer als Aufbruch begreifen, einerseits nach dem Trojanischen Krieg zurück in die Heimat, andererseits hin zu neuen Ufern als Einbruch der Zivilisation in die unbekannte Welt und Kolonisierung dieser, oder als Gegen- bzw. Fluchtbewegung aus ihr heraus, das haben sich Dramatiker Roland Schimmelpfennig und Regisseur Tilmann Köhler im Auftrag des Staatsschauspiel Dresden vorgenommen. Autor Schimmelpfennig hat die Irrfahrten des durch zahlreiche Abenteuer verhinderten Kriegsheimkehrers Odysseus aus heutiger Sicht überschrieben und dabei ein modernes Globalisierungs-Märchen über Eroberung, Krieg, Heimkehr und Flucht geschaffen. Regisseur Köhler inszeniert diesen Text als kollektive Erzählung und Suche nach dem Wer, Wohin und Warum. Acht DarstellerInnen des Ensembles teilen sich diese Erzählung, wechseln dabei Rollen, Zeiten und Orte wie in der Homerischen Odyssee, die auch keinen chronologischen Verlauf hat. Dabei spielt in Text und Inszenierung natürlich unterschwellig auch die klassische Homerische Frage nach der Autorenschaft (also wer da eigentlich erzählt) ebenso eine Rolle, wie die der szenischen Darstellung und Repräsentation auf dem Theater.

Dazu hat Bühnenbildnerin Karoly Risz einen spartanischen Sperrholzkasten geschaffen. Zwei Seitenwände laufen nach hinten spitz zusammen, die Spielfläche ragt entsprechend nach vorn hinein ins Parkett. Darauf liegen zunächst zusammengeknäult sechs der DarstellerInnen in weißen Hemden und verschiedenfarbigen Hosen in der Wandecke, während Hannelore Koch und Albrecht Goette in schwarzen Hemden zu einem Prolog nach vorn treten. Goette spricht von Krieg, Schmerz, Blut und aufbrechenden Körpern aus Sehnen und Knochen. Eine Schilderung von der Angst und dem Gebrüll der Männer. Der Kriegsbrand hat alles vernichtet. Die Überlebenden wissen nicht wohin. Das traumatische Ende als Übergang zu einem unbestimmten Neuanfang. Eine Jedermanns-Nachkriegsgeschichte von umherirrenden Kämpfern, auf der Suche nach der Heimat, gefangen zwischen Vergessen und Erinnerung. Daheim die wartende Frau, die die Möglichkeiten abwägt, warum ihr Mann nicht kommt, und sich längst von einem anderen, einem daheimgebliebenen Lehrer, nach dem Sex in einem Kleinwagen Geschichten von ihrem Mann erzählen lässt.

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Schimmelpfennig verschränkt diese beiden Erzählebenen zwischen den Geschichten des als „Städtezerstörer“ betitelten Kriegsheimkehrer Odysseus und seiner seit 10 Jahren auf seine Rückkehr wartenden Frau Penelope in Ithaka. Die Paare wechseln wie die Ebenen. Luise Aschenbrenner, Eva Hüster, Moritz Kienemann, Philipp Lux, Karina Plachetka und Matthias Reichwald treten dazu allein, zu zweit oder in der Gruppe als Gefährten des Odysseus nach vorn. So fügt sich zum sparsamen Körperspiel langsam eine Geschichte, erzählt aus zwei Perspektiven. Wirklichkeit und Erfindung verschwimmen ineinander. Dabei streift Schimmelpfennigs Text die Hauptepisoden der Odyssee über die Kyklopen, Kirke, Kalypso, Nausikaa, oder Aiolos, den Gott der Winde. Odysseus und seine Begleiter sind Entdecker idyllischer Inseln, Zerstörer und Mörder, werden mal freundlich aufgenommen, mal von den Inselbewohnern bekämpft, oder auch in Schweine verwandelt.

Schimmelpfennigs Odysseus ist ein Unschlüssiger, der nicht mehr weiß, was Heimat eigentlich ist. Bricht aber immer wieder von neuem auf, von Erinnerungen getrieben. Dabei ist der Städtezerstörer auch gleichzeitig Biedermann. Während er gestern noch listig ein großes Holzpferd baute und brandschatzend Troja vernichtete, denkt er am nächsten Morgen schon an glückliche Heimkehr, Blasmusik, TV-Serien oder die Fertigstellung des Geräteschuppens im heimischen Garten. Die Frau Penelope, die das mit ihm teilen könnte, ist sich derweil nicht mehr wirklich sicher, ob sie das auch will. Die Geschichten des Liebhabers werden zum Ersatz und Rechtfertigung der Affäre. Wer sieben Jahre bei der Nymphe Kalypso weilt, hat bestimmt kein Interesse heimzukehren.

Köhlers Inszenierung stellt sich ganz in den Dienst des Textes. Kein schmückendes Beiwerk und bebildernde Regieeinfälle lenken ab. Nur umherirrende, sich mal aneinander klammernde und wieder fliehende Körper und die Sprache. Das Reiben der Hemden beim Gehen an der Wand erzeugt magische Windgeräusche. Ansonsten wird auch mal Down in the River to Pray gesungen. Ein Song aus dem Film der Coen-Bruder O Brother, Where Art Thou?, der in Szenen auf die Irrfahrten des Odysseus anspielt. Rollkoffer, das Vehikel des modernen Weltreisenden, werden auf die Bühne getragen, geschichtet und geworfen. Niederlassen oder Weiterziehen? Odysseus wird zum Dauerreisenden in Sachen Entdeckung neuer Welten, Krieg und Eroberung.

Gibt es ein Grundrecht auf trockene Füße, auf Heimat, oder darauf nicht abgeschlachtet zu werden? Schimmelpfennigs Text regt das immer wieder an und schlägt so den Bogen zu heutigen Fluchtbewegungen. Als übergeordnete, göttliche Triebfeder des Menschen dient dem Autor Eos, Göttin der Morgenröte, die immer wieder von allen kollektiv besungen wird. Die Wände öffnen sich kurz und geben einen weiten Sternenhimmel frei, kurz schweben die Männer an Seilen in der Luft und landen dann doch wieder unsanft auf dem Boden, wo zwischen einer ganzen Batterie von Rollkoffern Albrecht Goette und Hannelore Koch als gealtertes Paar Odysseus und Penelope hocken. Der Heimgekehrte tötet aus Eifersucht alle Männer und besiegelt so das Ende der Geschichte, die er selbst nicht erzählen kann. Am Ende flüstert die Morgenröte in zerrissenen Strümpfen leis von Hoffnung, Glück und Frieden und kündet doch auch erneut von Aufbruch. Damals wie heute der Lauf der Welt. Man kann das positiv als Utopie sehen, oder in seinen verheerenden Ausmaßen kritisieren.

Odyssee (Schauspielhaus, 07.10.20189
von Roland Schimmelpfennig
Regie: Tilmann Köhler
Bühne: Karoly Risz
Musik: Jörg-Martin Wagner
Licht: Michael Gööck
Kostüme: Susanne Uhl
Dramaturgie: Jörg Bochow.
Mit: Luise Aschenbrenner, Albrecht Goette, Eva Hüster, Moritz Kienemann, Hannelore Koch, Philipp Lux, Karina Plachetka, Matthias Reichwald
Die Uraufführung war am 15.09.2018 im Schauspielhaus
Dauer: 1 Stunde und 45 Minuten, Keine Pause
Termine: 18., 30.10. / 16., 28.11. / 04., 18.12.2018

Infos: https://www.staatsschauspiel-dresden.de/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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