Panikherz

Premierenkritik Oliver Reese bringt den autobiografischen Drogenbericht von Benjamin von Stuckrad-Barre als szenische Lesung mit Pop-Konzert auf die Bühne des Berliner Ensembles

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„KEINE PANIK“ steht in Versalien auf der Fassadenfront des Berliner Ensembles. Das Motto des deutschen Popentertainers Udo Lindenberg, Leitstern mehrerer Generationen Jugendlicher, die sehnsuchtsvoll die Feuerzeuge bei einem Udo-Konzert hochhalten, sich aus der Provinz wegträumend, es dann aber doch nur zum Besuch der Hamburger Reeperbahn schaffen. Aber auch für die jenseits des „Funset-Boulevards“ hat Udo eine Botschaft, die er in eine Hymne der geilen Meile, auf die er kann, verpackte. Auch der 10jähirge Pastorensohn Benjamin aus der niedersächsischen Kleinstadt Rotenburg an der Wümme erfährt in den 1980er Jahren über die Musik und die deutschen Texte von Udo Lindenberg seine Initiation zum Aufbruch in die große Welt. Sein Weg führt ihn über Göttingen, Hamburg, Köln, Berlin und Zürich schließlich auch in die Stadt seiner Träume Los Angeles.

Was ihm bis dahin wiederfahren ist, die Auf und Abs seiner Medienkariere beschreibt der Journalist und Autor Benjamin von Stuckrad-Barre in seinem 2016 veröffentlichten Roman Panikherz, dessen Bühnenadaption Intendant Oliver Reese nun am Berliner Ensemble inszeniert hat. Es ist aber vor allem auch der selbstkritische Bericht einer exzessiven Suchtkarriere, die Stuckrad-Barre buchstäblich an den Rand des Wahnsinns und der eigenen Existenz treibt. Daraus einen funktionierenden Theaterabend zu bauen, ist fast genauso riskant wie ein Volle-Pulle-Leben, dass der Romanautor mehre Jahre im Vollrausch verbracht hat, bis ihn sein einstiges Idol, das er als angehender Musikkritiker von taz und Rolling Stone noch als Karikatur seiner selbst verrissen hatte, aus dem Drogensumpf zieht und ihn geradezu liebevoll in die „Udo-Familie“ aufnimmt.

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Diese selbstlose, alles verzeihende Größe verhilft Stuckrad-Barre schließlich erst zu einer zweiten Karriere oder (wie er es in seinem Roman scheibt) einem zweiten Akt, den Größen wie der US-amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald ja für nicht existent hielten. Ein Leben also im beständigen Aufstieg, ohne retardierendes Moment und also auch im Abstieg immer konsequent im Hier und Jetzt, ohne Blick zurück. Diesen reflektierenden Blick erlaubt sich Stuckrad-Barre erst im legendären Hotel Chateau Marmont in Hollywood, in dem so einige Berühmtheiten ein- und ausgegangen sind. Und nicht nur sein Leben, auch die Begegnungen mit seinen Helden wie Helmut Dietl, Friedrich Küppersbusch, Harald Schmidt, Thomas Gottschalk und natürlich Udo Lindenberg, der ihn letztendlich an diesen Ort der inneren Ruhe führt, lässt der Autor Review passieren.

Regisseur Oliver Reese interessiert sich aber in erster Linie für die Lebensgeschichte Stuckrad-Barres, die im Roman natürlich auch den meisten Platz einnimmt. Dazu stehen Nico Holonics, Bettina Hoppe, Laurence Rupp und Carina Zichner vom BE-Ensemble als vier wechselnd erzählende Benjamins auf der Bühne, die Hansjörg Hartung passend zum Udo-Style als mit Teppich ausgelegte Hotellobby mit Treppe und Bar im Hintergrund gestaltet hat. Bettina Hoppe beginnt mit einem der reflektierenden Zwischentexte, mit den der Autor auf die Zeit seiner Drogensucht zurückblickt. Nach dem Absturz folgt das Reset seines Lebens in einen nüchternen Alltag, bei dem dennoch die Sehnsucht nach dem Meer als Punk, dem alles egal ist, bleibt. Dazu stimmt die Schauspielerin Durch die schweren Zeiten, ein neueres Lied von Udo Lindenberg, an. Das Buch ist ja durchzogen mit Auszügen aus Songtexten von Udo L. über Oasis, Nirvana bis zu Rammstein.

Die vier Benjamin-DarstellerInnen singen zwischen den Sprechtexten immer wieder einige dieser berühmten Songs. Begleitet werden sie dabei von den Live-Musikern Lukas Fröhlich, Peer Neumann, Gerhard Schmitt, Tilo Weber und Manuel Zacek, die zu den fluffigen Arrangements von Jörg Gollasch die alten Udo-Songs im neuen Gewand spielen. Es entwickelt sich so ein musikalisch untermaltes Textaufsagen, bei dem zunächst über die vier Benjamins verteilt die Lebensgeschichte des Autors von seiner Kindheit als viertes Kind einer pazifistischen Öko-Pastorenfamilie, die Gymnasiastenzeit in Göttingen mit ersten Musikkritiken für das dortige Stadtmagazin bis zur Arbeit als Redakteur bei der taz und dem Rolling Stone und als Produktmanager bei der Plattenfirma Motor Music in Hamburg im Schnelldurchlauf abgespult wird. Das macht den Abend weitestgehend zu einer rhythmisierten szenischen Lesung mit angeschlossenem Pop-Konzert.

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Nach der ersten Sozialisation in der Musikbranche, bei der hier noch der parallele Aufstieg der lokalen Punkband The Bates fehlt, folgt Stuckrad-Barre dem Ruf des TV-Moderators Küppersbusch nach Köln und wird nach der Absetzung von dessen Sendung Gagschreiber bei der Harald-Schmidt-Show. In diese Zeit fällt neben der Veröffentlichung seines ersten Buchs auch das Eintauchen in die Clubszene mit ersten noch euphorischen Drogenerlebnissen, die Stuckrad-Barre in Berlin vertieft. Was er auf seinen Lesereisen erlebt, kommt hier nicht vor, wie überhaupt der Autor im Folgenden nur noch als Drogensüchtiger und Bulimie-Kranker interessiert, dessen Absturz in allen Details von einer Suchtphase zur anderen unterbrochen durch etliche Therapieaufenthalte geschildert wird. Die Angst vor dem Nachdenken über das eigenen Ich treibt ihn in viele Pseudo-Projekte und die Kokainsucht.

Bebildert wird das mehr oder weniger durch viel Gehampel, Werfen mit Visitenkarten, säckeweise Verstreuen von weißem Pulver und dem Darstellen von delirierenden Wahnanfällen. Irgendwann klettert man auch mal ins Publikum, das zwischendurch immer wieder wie wissend über den ja durchaus witzigen Stuckrad-Barre-Sound lacht. Eine kritische Ebene, die der Autor ja durch seine Reflexionen auch des Systems der Sucht nach Erfolg und Ruhm einzieht sowie seine durchaus erhellenden Gespräche mit dem US-amerikanischen Schriftsteller Bret Easton Ellis (American Psycho), mit dem Regisseur Helmut Dietl oder Thomas Gottschalk fehlen in dieser leider komplett auf die Figur Stuckrad-Barres fokussierten Inszenierung. Eine kurz am Tresen genuschelte Udo-Persiflage verkauft die Abrechnung mit der Medienwelt des 20. Jahrhunderts, deren Teil Stuckrad-Barre ja auch bis zur kompletten Selbstentgrenzung war, endgültig an den totalen Fun.

Dass Suchtkrankheit und die Krankheit eines Systems, das so an den persönlichen Erfolg gekoppelt ist, nicht voneinander zu trennen sind, dürfte selbst Benjamin von Stuckrad-Barre nicht entgangen sein. Dass der Autor diese Welt des schönen Scheins, deren Gründungsidee nach seiner Aussage mal der Protest gegen die Wirklichkeit war, weiterhin liebt, wird man ihm nicht übelnehmen können. Dass aber Oliver Reese dies nicht erkennt, und das in einem Medium wie dem Theater, das sich eigentlich permanent selbst analysiert und auf die Bühne bringt, ist mehr als dürftig und die große Enttäuschung dieses Abends. Die nächste Chance gibt es in einem Monat am Thalia Theater in Hamburg.

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Zuerst erschienen am 18.02.2018 auf Kultura-Extra.

Panikherz
von Benjamin von Stuckrad-Barre
Regie/Fassung: Oliver Reese
Bühne: Hansjörg Hartung
Kostüme: Elina Schnizler
Musik: Jörg Gollasch
Licht: Ulrich Eh
Dramaturgie: Valerie Göhring
Mit: Nico Holonics, Bettina Hoppe, Laurence Rupp, Carina Zichner
Live-Musik: Lukas Fröhlich, Peer Neumann, Gerhard Schmitt, Tilo Weber, Manuel Zacek
Die Premiere war am 17.02.2018 im Berliner Ensemble
Dauer: 2 Stunden, 15 Minuten, keine Pause
Termine: 20., 28.02. / 08., 09., 16.03. / 02.04.2018

Infos: https://www.berliner-ensemble.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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