PFUSCH

Premierenkritik Herbert Fritsch verabschiedet sich eindrucksvoll von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

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Foto: Boris Streubel/Bongarts/AFP/Getty Images

Mit der Ansage des designierten Berliner Kultursenators Klaus Lederer, die Berufung von Chris Dercon noch einmal zu überprüfen, ist in der letzten Woche der Streit um die Neubesetzung der Intendanz an der Volksbühne in eine neue Runde gegangen. Ungeachtet dessen feiert man im Großen Haus ein Abschiedsfest nach dem anderen. Herbert Fritsch, der nun mit seinem Abgesang Pfusch dran war, empfand sich laut einem Interview, das er der Berliner Morgenpost gegeben hat, an der Volksbühne als Einzelgänger, der hier keine Freundschaften geschlossen habe. Und wie man ihn zur Personalie Dercon verstehen kann, scheint er auch seinen Frieden mit dem Wechsel gemacht zu haben. „Der Senat muss zu seiner Entscheidung stehen, [...] So ist es halt. Einige mögen ihn, andere nicht. Mal sehen. Vielleicht funktioniert es.“ Auch dass er kein politisches Theater mache, hat Herbert Fritsch noch mal explizit betont. „... was die auf der politischen Bühne an Komik produzieren, das bekäme niemand im Theater hin.“ Ein klares Statement für einen, der sich selbst auch nur als „Fratzenschneider“ bezeichnet. Und mit seiner neuen Inszenierung dreht er allen nochmal eine Nase.

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Das erwartungsfrohe Publikum, das sich in der Volksbühne versammelt hat, schaut am Anfang minutenlang in die Röhre, besser auf eine lange Röhre, aus der langsam nacheinander das 13köpfige Fritsch-Ensemble steigt. Zunächst noch recht schüchtern in den Saal grinsend, wirft man sich aber bald in Pose. Gekleidet sind alle, ob Mann oder Frau, in bunte Chiffonkleidchen mit Schleifchen und Rüschen. Aufdüpierte Perücken, Mädchenzöpfe und grell geschminkte Gesichter lassen die wilden 13 wie eine Truppe schlechter Schauspieler auf Halloweentour aussehen. Was dann folgt ist aber nicht etwa der angekündigte Pfusch, sondern eine etwa 45minütige Dreiklang-Kakophonie. Ein Konzert an 10 aus dem Orchestergraben hochfahrenden Klavieren, begleitet von irrem Lachen, Schreien und Grimassieren. „Heut gibt’s nur Achtel.“ sagt da einer aus dem Ensemble - "und ordentlich was auf die Ohren", möchte man hinzufügen. Einfach phänomenal.

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Das ist nochmal von jeglicher Sinnhaft und sonstiger Verwertbarkeit befreite Kunst. Ein Dada-Best-Of der letzten Fritsch-Jahre. Unterbrochen wird dieses wilde Spiel nur hin und wieder durch etwas Akrobatisches an der über die Bühne walzenden Röhre oder einem irrwitzigen Nonsens-Plausch, erzeugt mit Mixerstäben in quietschenden Plastikbechern. Doch Spielleiter und Dirigent Ingo Günther in dominantem Rot und hochgestecktem Divenhaar befiehlt die Meute immer wieder zurück an die Instrumente und zum nächsten Satz, dem rhythmisches Stampfen und der kollektive Ausruf „Schön!" folgen. Das Anti-Credo des Abends, das auch in großen Kreidelettern an die Röhre steht.

Das erinnert an den Ausspruch eines bekannten spanischen Musikclowns, der schon allein das Besteigen eines Stuhls zur Messe machte. Was nun die in hautfarbene Badeanzüge und Badekappen gewandeten Fritsch-Clowns anstellen, um ein mit Mühe an einen Swimmingpool in der Mitte der Bühne angebrachtes Sprungbrett zu erklettern, verfehlt an Slapsticklaune nicht seine Wirkung. Den offensichtlichen Pfusch am Bau bekommt vor allem der große Mime Wolfram Koch („Ich war schon Don Carlos, du Arschloch.“) zu spüren. Man nimmt sich hier gern selbst auf die Schippe, springt kopfüber in den mit blauen Styroporwürfeln gefüllten Pool und gefriert mit den Beinen nach oben zur Lachsäule. Minimalistische Ha-Ha-Arien, Rhönradfahren in der Röhre und Trampolinspringen im Pool, Fritsch lässt keinen Spaß aus, den er nicht schon mal gemacht hätte. Der Meister des perfekt inszenierten Pfuschs bleibt sich erwartbar treu und doch selbst noch in dieser Redundanz einzigartig.

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Herbert Fritsch wechselt in der nächsten Spielzeit vom Haus am Rosa-Luxemburg-Platz mit dem markanten Logo „Ost“ auf dem Dach zur Schaubühne am Lehniner Platz. Zeit für ihn und seine Leute nun leise am Bühnenrand „Tschüss“ zu sagen. Auf ein Neues im alten Westen am Kurfürstendamm. Der Eiserne Vorhang schließt sich hier für sie endgültig unter lautem Getöse. Nach uns die Sintflut, oder (wie Frank Castorf sagen würde) eine Badeanstalt.

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Zuerst erschienen am 27.11.2016 auf Kultura-Extra.

PFUSCH (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 26.11.2016)
Regie und Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Victoria Behr
Licht: Torsten König
Musik: Ingo Günther
Ton: Jörg Wilkendorf
Dramaturgie: Sabrina Zwach
Mit: Florian Anderer, Jan Bluthardt, Werner Eng, Ingo Günther, Wolfram Koch, Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Carol Schuler, Varia Sjöström, Stefan Staudinger, Komi Mizrajim Togbonou, Axel Wandtke und Hubert Wild
Uraufführung war am 24. November 2016
Weitere Termine: 30. 11. / 9., 26., 31. 12. 2016

Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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