Pop-Kultur 2018

Musik Das 4. Pop-Kultur-Festival Berlin bespielte die Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg mit Konzerten, Talks und sogenannten Commissioned Works

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Pop-Kultur 2018

Bild: Pop-Kultur

Am vergangenen Mittwoch wurde in der Kulturbrauerei Prenzlauer Berg die 4. Ausgabe der Pop-Kultur Berlin eröffnet. Das von Katja Lucker, Chefin des Musikboards Berlin, geleitetet und von Martin Hossbach sowie Christian Morin kuratierte Musik-Festival scheint nun doch seine endgültige Heimstatt in dem durch Gentrifizierung, Clubsterben und Anwohnerproteste gegen jegliche Art sich lautstark artikulierender Party- oder künstlerischer Subkultur geprägten Stadtteils gefunden zu haben. Wie im letzten Jahr nutzt die Pop-Kultur weite Teile des an Clubs, Konzertlocations und anderen kulturellen Einrichtungen immer noch reichen Areals zwischen Schönhauser Allee, Danziger, Knaack- und Sredzkistraße. In die Fußstampfen der hier vor Jahren ebenfalls beheimateten Popkomm ist man damit aber nicht getreten, das Festival betont seine Branchenunabhängigkeit und will vor allem neue Trends in der nationalen wie internationalen Popszene jenseits des Mainstreams aufzeigen. Mitfinanziert wird es seit Beginn von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, deren Chef, Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke), nicht müde wird, die Verantwortung, Unterstützerrolle und Förderfunktion der Berliner Kulturpolitik zu betonen. Und auch der Bund beteiligt sich wie im letzten Jahr bei der Finanzierung der sogenannten Commissioned Works, für die bestimmt KünstlerInnen aufgefordert sind, eigene Programmteile, die über herkömmliche Konzerte hinausgehen, beizusteuern.

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Plunderphonia heißt so eine vom Berliner Musikproduzenten Henrik Schwarz verantwortete Auftragsarbeit, die dann allerdings genau das ist, nämlich ein Konzertprojekt von ihm mit dem holländischen Alma Quartet, bei dem aber die Besonderheit darin liegt, dass Schwarz extra dafür seine Lieblingsauszüge aus sage und schreibe 350 Jahren für Streichquartette komponierter Musik zu einer neuen durchgängigen Gesamtkomposition zusammengesampelt und mit den vier holländischen Streichern einstudiert hat. So konnte das Publikum im Kesselhaus der Kulturbrauerei übergangslos und elektronisch neu abgemischt Werkfetzen von Klassikern wie Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart, Antonio Vivaldi, Antonin Dvořák oder Franz Schubert neben denen von Komponisten neuerer Musik wie Philip Glass, Astor Piazzolla, Arvo Pärt, Alfred Schnittke oder Terry Riley hören. Ein durchaus interessanter und exzellent vorgetragener Musikmix, der allerdings auch keine allzu große Neuerung in der Pop-Musik darstellt.

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Die in Hamburg lebende britische Musikerin Sophia Kennedy präsentierte dann im RambaZamba Theater ihre Musik- und Video-Performance Sky Blue Cowgirl als eine Art Hommage an den Regisseur David Lynch, wie man hörte. Sehr düster und geheimnisvoll wie dessen Filme war der Vortrag dann aber nicht, eher gut abgehangener Elektropop, bei dem Goldene-Zitronen-Musiker Mense Reents mitmischte und zu dem Videokünstlerin Rosanna Graf ein paar Videos beisteuerte. Ein Lebenslauf in Musik und Bildern sowie einer Tanzperformance von Rapper Pokey inklusive Live-Bullriding.

Ansonsten gehörte der Auftakt auffällig vielen schwarz gekleideten Leuten, die sich als Fans der Gothic-Rock-Sängerin Chelsea Wolfe erwiesen, die ihre helle Stimme zu düsteren Metallklängen ihrer Band im Kesselhaus der Kulturbrauerei erschallen ließ. Gut headbangen konnte man auch zur Musik der Stuttgarter Post-Punk- und Noise-Rock-Band Die Nerven, die nach den Soloambitionen des Sängers Max Rieger im letzten Jahr nun wieder als Trio zu hören waren.

Kleinere Formate von elektrisch verstärkter Gitarrenmusik oder elektronischem Turntable-Gefrickel kann man im Franzz-Club, der Kantine oder dem Club 23 hören. Am Eröffnungsabend gab es da schon interessante Kostproben von der Hamburger Rock-Band Swutscher, die die frühen Element of Crime mit tanzbarem Schrammelrock und der verräucherten Stimme von Sänger Sascha Utech zusammenführen. Wilder Westen im hohen Norden. Mal was anderes von der Hamburger Schule und dem Label Staatsakt, das einige seiner Bands auf dem Festival präsentieren wird. Anders das Pop-Duo Islamiq Grrrls & oOoOO. Die Berliner Kollaboration des US-amerikanischen Elektro-Musikers Chris Dexter Greenspan und der deutschen Sängerin mit bosnischen Wurzeln Islamiq Grrrls brachte ihre turntable-verstärkten Gitarrenklänge und Texte mit politischer Sendung in der Kantine zu Gehör.

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Was für ein Wochenende: Die Pop-Welt feiert Madonnas 60. Geburtstag und betrauert gleichzeitig den Tod von Aretha Franklin, der großen Lady of Soul und starken Pop-Frau. Ihr sei hiermit gedacht. A change is gonna come. Das zeigte sich auch bei der Pop-Kultur, die von all dem eher wenig beeindruckt weiter drei Tage lang die Kulturbrauerei mit Konzerten, Talks und den sogenannten „Commissioned Works“ bespielte. Man gab sich offen, divers und gleichzeitig kontrovers, was vor allem den missglückten Umgang mit der erneuten Beeinflussung des Festivals durch die Israel-Boykott-Kampagne BDS betrifft.

Wie im letzten Jahr gab es ein paar Konzert-Absagen aufgrund des perfiden Engagements des BDS, der sich an der Reisekostenübernahme für israelische KünstlerInnen durch die israelische Botschaft stört. Das Festival nahm das zum Anlass, über die Sinnhaftigkeit und Konsequenz des politischen Druckmittels Boykott in der Kunst zu sprechen. Das Pannel mit der israelischen Autorin Lizzie Doron​ (Sweet Occupation) und Klaus Lederer​ ist allerdings, wie man ebenfalls hören musste, ziemlich lautstark aus dem Ruder gelaufen. BDS-Aktivisten störten massiv die Veranstaltung, was nur wieder die fehlende Gesprächsbereitschaft der ideologisch fanatisierten Israel-Hasser verdeutlicht. Hier muss sich die Festivalleitung durchaus vorwerfen lassen, etwas zu blauäugig gehandelt zu haben. Wenn man das Thema schon auf die Tagesordnung setzt, sollte man schon etwas besser vorbereitet sein. Stephanie Carp, die Leiterin der RUHRTRIENNALE, droht deswegen gerade in einem selbstgemachten Informationsdesaster unterzugehen. Die Pop-Kultur will sich den Boykott-Bestrebungen auch weiterhin nicht beugen, wie Festivalleiterin Katja Lucker klarmachte. Nebenbei wegdiskutieren lässt sich das Problem mit dem Boykott aber auch nicht. Außer Haltung braucht es da für die Zukunft vor allem eine klare Strategie.

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Zurück zur Pop-Kultur, was neben Haltung und einem gewissen Lifestyle vor allem Musik bedeutet. Und da war das Festival wie in den Jahren zuvor durchaus gut aufgestellt. Neben gestandenen Pop-Größen wie Neneh Cherry, die als Headlinerin wie schon beim ersten Festival im Berghain nach wie vor die Massen zu begeistern versteht, war einiges Neue, aber auch viel Bewährtes im Programm zu finden. So hatte sich etwa Kat Frankie, die seit 2007 in Berlin lebende australische Singer-Songwriterin, unter dem Motto Bad Behavior: exploring the sounds of protest ein paar MusikerkollegInnen eingeladen, mit denen sie über eine Stunde lang dem guten alten Protestsong frönte. Lieder quer durch die Geschichte und über den Erdball, die für oder vor allem gegen etwas Stellung beziehen. Ist Protest gleichzeitig Pop, oder wie wird er eigentlich dazu? Mit derlei Fragen, die zumindest mal in einem kurzen Statement zu einem Song von Víctor Jara aufkamen, beschäftigte sich das launige Konzert allerdings weniger, brachte aber einiges zu Frauenrechten, Black Power oder auch den guten alten Rauch-Haus-Song der Ton Steine Scherben zu Gehör.

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Passend dazu dann auch der Song "Miete Strom Gas" der Berlin Rock-Band Die Türen, der zur Hymne nicht nur des von der Gentrifizierung der Innenstädte bedrohten Künstlerprekariats werden könnte. Das Festival hatte die Jungs mit dem Regionalexpress zur bezahlten Sommerfrische in die Uckermark geschickt. Wiedergekommen sind sie mit ein paar Urlaubsbildern und dem Album EXOTERIK (was auch immer das sein mag). Es enthält Songtexte wie „Information ist der Unterschied, der soziale Unterschiede macht“ oder „Keine Zeit, keine Liebe, kein Glück. Ich bin eine Krise“. Aber keine Angst, Die Türen warteten mit der üblichen kritischen Ironie und gut Abtanzbarem auf. Und irgendwie muss die Miete ja auch bezahlt werden.

Kein Problem mit der Miete oder anderen Krisen dürften mittlerweile die Herren von Automat haben. Das Berliner Elektro-Avantgarde-Trio bestehend aus Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten), Achim Färber und Georg Zeitblom ist gut im Geschäft. Für die Pop-Kultur erarbeiteten sie sozusagen das Auftragswerk Modul. Rhythmisch treibender Bass (Zeitblom) und Drums (Färber) zu gefrickelten Sounds aus dem Elektronikbaukasten von Jochen Arbeit. Als Gast am Mikro schaute neben Gemma Ray und Paul St. Hilaire auch kurz mal die US-Punk-Ikone Lydia Lunch vorbei.

Bad Behavior, also schlechtes Benehmen, kann man den älteren Herren von The Last Poets sicher nicht vorwerfen, auch wenn sie sich in ihrer Musiker-Karriere sicher mehr als einmal lautstark Gehör verschafft haben dürften. Die US-amerikanischen Hip-Hop-Legenden und Stimmen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung seit den 1960er Jahren traten in der jetzigen Besetzung mit Umar Bin Hassan, Abiodun Oyewole und dem Perkussionisten Baba Donn Babatunde auf. Gemeinsam verkündeten sie ihre Botschaft von Understand What Black Is. R E S P E C T, um mit Aretha Franklin zu sprechen.

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Der rappende Nachwuchs war dann u.a. im Franzz-Club zu erleben. Dort trat die belgische Choolers Division auf. Dass die beiden fantastischen Rapper Botkine und Marien das Down-Syndrom haben, scheint hier zwar völlig nebensächlich, führt aber zu einem weiteren Schwerpunkt des Festivals, dass sich seit diesem Jahre verstärkt die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung auf die Fahne geschrieben hat, was nicht nur barrierearme Zugänge zu den Konzerten oder GebärdendolmetscherInnen wie die sich am Rande der Kesselhausbühne im unermüdlichen Dauereinsatz befindliche Laura Schwengber bedeuten soll. Auch das in der Kulturbrauerei befindliche inklusive RambaZamba Theater steuerte mit Rausch-Royal einen tollen künstlerischen Beitrag bei. Ensemblemitglieder präsentierten ein musikalisches Programm bestehend aus elektronischen Popsongs mit von Avantgarde- und Dada-Künstlern inspirierten Texten.

Wie immer waren auch die Pop-Damen überproportional im Einsatz. Die männliche Metal-Domäne in ihrem Heimatland Schweden durchbricht schon des längeren die Sängerin und Organistin Anna von Hausswolff, die mit ihrer Band im Kesselhaus zur brachialen Ceremony lud. Wem das noch nicht zu pathetisch düster war, konnte bei den dänischen Myrkur im nordischen Flair der brettharten Gitarrenriffs die glockenklare Stimme der Sängerin Amalie Bruun vernehmen und in ihren mit tiefschwarzem Kajal umrandeten Augen versinken. Nicht weniger stimmgewaltig ist die in Bayern geborene Sängerin Andrra, die in ihrem albanischen Gesang ihre kosovarischen Wurzeln kultiviert, was wiederum sehr schön zu den Synthesizerklängen von Mäcki Hamann und Drumbeats von Jörg Wähner passt. Auch Andrra ist zum zweiten Mal bei der Pop-Kultur, ein Zeichen, dass sich Innovation und künstlerische Beharrlichkeit auszahlt. Sehr interessant auch das Berliner Elektro-Pop-Duo OY, bestehend aus der Sängerin Joy Frempong, die auch gut den Synthie bedient, und Drummer Lleluja-Ha. Mit entsprechend exotischen Kostümen und ihrem Album Space Diaspora präsentierten sie sich als legitime Nachfahren von Avantgarde-Legende und Afro-Pop-Exzentriker Sun Ra. Und mit Same Same Different bringen OY gleich noch das Credo der Pop-Geschichte auf den Punkt.

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Fotos (c) Stefan Bock

Zuerst erschienen am 17.08. und 18.08.2018 auf Kultura-Extra.

Pop-Kultur Berlin 2018

15.08. - 17.08.2018

In der Kulturbrauerei Prenzlauer Berg

Infos: http://www.pop-kultur.berlin/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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