Pop-Kultur Berlin 2019

Pop-Musik Auftakt des dreitägigen Festivals in der Berliner KulturBrauerei mit Wagner in Pop und Sounds aus Osteuropa

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Richard Wagner in Pop - kann das gut gehen? Zum Auftakt der 5. Pop-Kultur 2019 in der Berliner KulturBrauerei im Prenzlauer Berg haben der deutsche Pop-Musiker Jens Friebe und die Band 21 Downbeat, bestehend aus Mitgliedern des Inklusions-Theaters RambaZamba Der Ringï. Eine Pop-Oper nach Richard Wagner aufgeführt. Musik-Adaptionen nach Texten von Wagner-Opern hat es schon öfter gegeben, aber sicher noch keine so erfrischende. Auf eine konsumierbare „zeitgenössische Konzertlänge“ von 60 Minuten wollte Friebe das gut 20-stündige Wagner-Epos bringen. Und dazu bietet sich das von der Pop-Kultur eingerichtete Format der Commissioned Works, die wieder eine Finanzspritze der Beaufragten der Bundesregierung für Kultur und Medien erhielten, gerade zu an.

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Bereits im letzten Jahr überzeugten 21 Downbeat mit ihrer spacigen Dada-Performance Rausch-Royal. Space (zum Jubiläumsthema Mondlandung) ist wohl auch das Motto der diesjährigen Pop-Kultur, zumindest kann man das den Festivalpostern mit psychedelischen Weltraummotiven entnehmen. Wagners Ring als poppige Space Oddity. Ganz so weit geht das Konzept dann aber doch nicht. Aber zumindest extrem tanzbar ist der Sound, den Friebe für sein Ring-Konzert geschaffen hat. Im Hintergrund gibt es für die eher Opernfernen kleine Zusammenfassungen der Handlung in Textformat. Dazu läuft ein Video mit Spielszenen und Livebildern des Konzerts ab. Und auch wenn das Ganze nur bis zum Aufeinandertreffen von Held Siegfried mit der Walküre Brünnhilde kommt, gibt es doch ein paar schöne Songs wie einen Tarnhelm-Rap, oder den Wotan-Blues. Siegmund und Sieglinde treffen sich zu Velvet Undergrounds I'll Be Your Mirror, und Sängerin Hieu Pham und Sänger Aaron Smith geben ein schönes Liebesduett, das sogar den Alliterationen Wagners folgend „Ein düsterer Tag dämmert heran.“ reimt. Weiche, Wotan, weiche!

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Inklusion und Diversität hat sich die Pop-Kultur auch im 5 Jahr auf die Fahne geschrieben. So gibt es fast überall einen barrierefreien Zugang, stehen wieder die tollen GebärdendolmetscherInnen neben einigen der Bühnen und hat das buckelige Kopfsteinpflaster der KulturBrauerei einen befestigten Rolli-Weg bekommen. Divers bedeutet da nicht etwa nur All-Gender-WCs oder die Teilnahme von über 50 Prozent Künstlerinnen am Programm, sondern erstreckt sich in diesem Jahr auch weit über den englischsprachigen Musikraum. Die Kuratoren Martin Hossbach und Christian Morin waren vor allem auf etlichen osteuropäischen Musikfestivals und haben einige interessanten Entdeckungen mitgebracht. Immer gut kommt da die Verschränkung von Traditionellem mit moderner Popmusik. So wird auch das weißrussische Elektroduo Shuma als eines der wenigen anthropologischen Forschungsprojekte, das im Club beheimatet ist, angekündigt. Zu dem melodiösen Elektrobeat von Alexei Budzko mischt Sängerin Rusia traditionellen Frauengesang.

Wieder eine Commissioned Work für das Festival ist der Auftritt von Sängerin Lisa Morgenstern, die mit den Bulgarian Voices Berlin gleich einen ganzen Chor auf die Bühne stellt. Das klingt natürlich sehr weihevoll und mitunter auch melancholisch, dass selbst der deutschen Elektropop-Diva mit bulgarischen Wurzeln die Tränen kommen. Frisch und innovativ klingt das allerdings nur bedingt. Auch nicht gerade neu ist der Sound der weißrussischen Band молчат дома (Molchat Doma), die mit ihrem melodisch bis rockigen Synthi-Sound den britischen New-Wave der 1980er Jahre wieder aufleben lassen. So klingt Sänger Egor Shkutko wie die Reinkarnation des Joy-Division-Sängers Ian Curtis, obwohl er wohl zur besseren Abgrenzung ein Stalinbärtchen trägt. Aber auch New Order und Depeche Mode dürften hier neben den in der einstigen Sowjetunion sehr bekannten Band Kino, der Kirill Serebrennikow seinen Film Leto widmete, Pate gestanden haben. Aus der postsowjetischen Tristesse der schweigenden Häuser (so der Bandname übersetzt) in der weißrussischen Hauptstadt Minsk schwappt die Retrowelle nun nach Westeuropa und wird hier sicher ihren Anklang finden.

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Sehr divers gibt sich auch die deutsche Indie-Musik auf dem Festival. Leicht und heiter bis leicht melancholisch kommt der Gitarren-Sound der Hamburger Band Die Heiterkeit um Sängerin Stella Sommer daher. Ein bisschen Singer-Songwriter-Feeling mit deutschen Texten wie "Jeder Tag ist ein kleines Jahrhundert". Ehrliche Rockmugge machen die Stuttgarter Karies. Gitarre, Schlagzeug, Bass und fertig ist der vom Die Nerven-Frontmann Max Rieger produzierte deutschsprachige Post-Punk.

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Unter dem Namen Jauche wird Max Rieger selbst noch zur Gitarre greifen. Auch gibt es eine weitere Commissioned Work der aus dem Kosovo stammenden Sängerin Andrra (zum dritten Mal bei der Pop-Kultur), die ihre postmigrantischen Wurzeln erforschen will, einen heiß erwarteten Auftritt der CocoRosie-Schwestern Sierra und Bianca Casady, der britischen Performerin Planningtorock, der Hamburger Punkrocker Die Goldene Zitronen und des Berliner Elektro-Punk-Duos Prada Meinhoff.

Pop-Kultur Berlin
21.-23.08.2019
KulturBrauerei
Schönhauser Allee 36
10435 Berlin – Prenzlauer Berg

Infos: https://www.pop-kultur.berlin/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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