Professor Bernhardi

Theater Thomas Ostermeier inszeniert an der Berliner Schaubühne Arthur Schnitzlers Drama als Diskursstück der Stunde

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Jörg Hartmann
Jörg Hartmann

Foto: Arno Declair

Der österreichische Schriftsteller und Dramatiker Arthur Schnitzler wollte sein 1912 in Berlin uraufgeführtes Theaterstück Professor Bernhardi nicht als Tendenzstück verstanden wissen. Er „habe eine Charakterkomödie geschrieben, die in ärztlichen und zum Teil in politischen Kreisen spielt“. Professor Bernhardi, Arzt für innere Medizin und Direktor des Elisabethinums, einer Wiener Privatklinik, handelt aus Überzeugung, seine Pflicht als Arzt zu tun, nicht als Kämpfer für eine bestimmte Sache und lässt sich auch vor keinen politischen Karren spannen. Dennoch wird er Opfer einer Rufmord-Kampagne von deutsch-nationalen und klerikal-konservativer Kräften, die antisemitische Ressentiments und Tendenzen zu nutzen wissen, um politischen Ziele durchzusetzen.

Schnitzlers Drama ist bis nach dem Zerfall der Donaumonarch 1918 in Österreich verboten gewesen, und es fällt schwer, wen man bedenkt, wie dem jüdischen Arzt Bernhardi hier durch politische Ränke, offenen und versteckten Verrat, Feigheit und Opportunismus mitgespielt wird, darin nur eine, wie Schnitzler sagte, „ernste Komödie“ zu sehen. Besagte Tendenzen gibt es natürlich auch heute noch. Und wenn es auch schwerer fallen dürfte, diese für ein politisches Fortkommen zu nutzen, so sind doch vor allem in Österreich und Deutschland Ressentiments gegen Minderheiten durchaus wieder salonfähig. Beispiele dafür bieten sich in der jüngsten Geschichte, und nicht erst seit der Flüchtlingsproblematik, zur Genüge. Auch die aufführende Schaubühne, die den Professor Bernhardi in der Regie des Intendanten Thomas Ostermeier, ins Programm genommen hat, ist bereits für das kritische, politische Tendenzstück Fear von Falk Richter ins Visier der AfD gerückt und von der sich verunglimpft sehenden Beatrix von Storch wegen Beleidung verklagt worden.

Ähnlich geht es Professor Bernhardi, der einem katholischen Priester nicht erlaubt, einer jungen sterbenden Frau die letzte Ölung zu verabreichen, da er ihr die letzten Stunden ihres Lebens erleichtern möchte, indem er der durch eine illegale Abtreibung an einer Sepsis Leidenden den Schrecken des nahen Todes ersparen will. Bernhardi macht sich damit aus Sicht der katholischen Majorität am Seelenheil der Verstorbenen schuldig. Der Vorfall wird künstlich aufgebauscht, gelangt durch eine Anfrage einer klerikalen Partei bis vors Parlament, das in Person des Unterrichtsministers den Weg für eine juristische Ermittlung frei macht, was schließlich in einer Verurteilung Bernhardis zu zwei Monaten Gefängnis wegen Religionsstörung mündet. Der Arzt verliert dadurch neben seinem Posten auch die ärztliche Approbation. Erst die Selbstanzeige einer Krankenschwester, die sich der Falschaussage vor Gericht bezichtigt, wendet das Blatt wieder zu Gunsten Bernhardis, der nun von liberalen Kreisen und Zeitungen zum Helden gepuscht werden soll.

Nun spielt Schnitzlers Bernhardi um 1900 und ist nicht nur sprachlich der damaligen Zeit verpflichtet. Regisseur Ostermeier hat versucht, das Stück in ein heute gebräuchliches Deutsch zu transformieren. Dem fallen ein paar österreichische Titel und Spracheigenheiten zum Opfer, auch würde man heute sicher nicht mehr so schnell an einer Sepsis sterben. Standesdünkel, Männerbünde mit und ohne Schmiss, oder Parteizugehörigkeiten wirken aber sicher auch heute noch bis in die Arbeitswelt von Ärzten, Wissenschaftlern oder Juristen. Ostermeier verortet seinen Bernhardi daher eher zeitlos in ein aseptisches Krankenhausweiß mit dem auch bei Schnitzler als mäßig bezeichneten Vorraum. Ein paar Stühle, Tisch, Bett und Aktenschrank, eine große Schwingtür und eine kleinere Tür für die Auf- und Abtritte befinden sich in der weißen Wand, an die die Künstlerin Katharina Ziemke mit Farbstiften die Orte und Hauptpersonen der Handlung schreibt und zu bunten Wölkchen wieder auswischt.

Die letzte nennenswerte Neuinszenierung des Professor Bernhardi fand 2011 in der Regie von Dieter Giesing am Wiener Burgtheater statt. Das Stück steht dort immer noch auf dem Spielplan. Ähnlich wie Giesing bricht Ostermeier in Wien mit der rein männlichen Besetzung der Arztrollen. So hat die Besetzung von Dr. Wenger, den Bernhardi gegen seine Widersacher Dr. Ebenwald in der Nachfolge Dr. Tugendvetter als Abteilungsleiter durchsetzt, mit Veronika Bachfischer durchaus einen besonderen, zusätzlichen Reiz. Auch Eva Meckbach als Dr. Adler, Chefin der pathologische Anatomie, die sich zunächst im Fall Bernhardi sehr widersprüchlich verhält, ist gut gewählt.

Ostermeier spult das fast drei Stunden dauernde Konversationsdrama recht flott ab. Neben den Fachgesprächen, förmlichen Debatten und einzelnen Monologen herrscht ständige Bewegung. Die Umbauten zwischen den Akten werden vom Ensemble fast wie choreografiert ausgeführt, während die Livekameras Großaufnahmen, Ansichten von Oben und Stills auf die Rückwand projiziert.

Eine Inszenierung des Bernhardi steht und fällt mit dem Hauptdarsteller. War es in Wien der sehr präsente Joachim Meyerhoff, so hat sich Ostermeier in Berlin einen alten Bekannten an die Schaubühne zurückgeholt. Jörg Hartmann, bis 2009 schon einmal Ensemble-Mitglied und danach in Fernsehserien wie Weissensee oder als Tatort-Kommissar Faber zu nationaler Bekanntheit gekommen, gibt den Bernhardi als prinzipienfesten, von sich überzeugten, aber auch nachdenklichen Menschen, der ohne Rücksicht auf Posten und Ansehen in den Disputen mit dem gottergebenen Pfarrer (Laurenz Laufenberg), dem gegen ihn intrigierenden Ebenwald (Sebastian Schwarz), oder den opportunistischen Machtmenschen Flint (Hans-Jochen Wagner) unbeirrt seine Meinung vertritt.

Und doch bleibt Bernhardi zuvorderst Mensch, ist keine politischer Held und „zum Revolutionär nicht geboren“. Eher integer würde man wohl sagen. Ganz anders als seine Gegenspieler, die Ostermeier immer mehr als Karikaturen der Bigotterie, Missgunst, Macht und des politischen Kalküls zur Kenntlichkeit dekonstruiert. Hier stimmt Schnitzlers Wort von der Komödie, die das Schauspiel-Ensemble dann auch zielsicher zu bedienen weiß. Fast schon eine erwartbare Routine-Leistung für die Regie und das Schaubühnen-Ensemble, aus der nur wenige besonders herausragen. Der Star ist ein über hundert Jahre altes Stück. Moralische Werte und Politik, Fragen zur Religion und eine Demokratie im Wandel machen Schnitzlers Bernhardi zum ganz modernen Diskursstück der Stunde. Wer hätte das gedacht?

Professor Bernhardi (Schaubühne, 21.12.2016)
von Arthur Schnitzler
Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer
Regie: Thomas Ostermeier
Bühne: Jan Pappelbaum
Kostüme: Nina Wetzel
Musik: Malte Beckenbach
Videodesign: Jake Witlen
Bildregie: Matthias Schellenberg
Kamera: Moritz von Dungern, Joseph Campbell, Florian Baumgarten
Dramaturgie: Florian Borchmeyer
Licht: Erich Schneider
Wandzeichnungen: Katharina Ziemke
Mit:
Dr. Bernhardi: Jörg Hartmann
Dr. Ebenwald: Sebastian Schwarz
Dr. Cyprian: Thomas Bading
Dr. Pflugfelder: Robert Beyer
Dr. Filitz: Konrad Singer
Dr. Tugendvetter: Johannes Flaschberger
Dr. Löwenstein: Lukas Turtur
Dr. Schreimann/Kulka, ein Journalist: David Ruland
Dr. Adler: Eva Meckbach
Dr. Oskar Bernhardi: Damir Avdic
Dr. Wenger/Krankenschwester: Veronika Bachfischer
Hochroitzpointner: Moritz Gottwald
Professor Dr. Flint: Hans-Jochen Wagner
Ministerialrat Dr. Winkler: Christoph Gawenda
Franz Reder, Pfarrer: Laurenz Laufenberg

Premiere war am 17.12.2016 in der Schaubühne am Lehniner Platz
Termine: 03. - 06.02., 24. - 26.02.2107

Infos: http://www.schaubuehne.de/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

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