SCHUTT (Debris)

Premierenkritik Mit Dennis Kellys Erstling gibt Marike Moiteaux ihr Regiedebut in der Box des Deutschen Theaters Berlin

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

„Mein Sohn, Mein Sohn, warum hast du mich verlassen?“ sind die letzten Worte von Michaels Vater, der sich just am 16. Geburtstag des Jungen mittels einer selbstgebauten, perfid-perfektionierten Maschinerie in der eigenen Wohnung selbst ans Kreuz genagelt hat. In Dennis Kellys Erstling "Schutt/Debris", das 2003 im Latchmere Theatre London uraufgeführt wurde und bereits ein Jahr später seine deutschsprachige Erstaufführung im Vestibül des Wiener Burgtheaters erlebte, wird diese Kreuzigung des Vaters am Beginn des Stücks durch den Sohn wortreich im Detail beschrieben. In teilweise recht poetischer Sprache erzählt dann auch noch Michaels Schwester Michelle die Story ihrer Geburt bei gleichzeitig dreifachem Tod der Mutter, die dabei wahlweise an einem Hühnerknochen erstickt, oder neben dem desinteressierten Vater beim gemeinschaftlichen Fernsehen einfach vom Sofa rutscht.

Dennis Kelly ist ein Meister des explizit bis versponnen Surrealen. Sein Theaterstück "Schutt" ist voll von sprachlichen Anspielungen und Metaphern. Dabei sind Worte für den Dramatiker nur Mittel um die verschüttete Gefühlswelt seiner meist aus der britischen Arbeiterklasse stammenden Protagonisten an die Oberfläche zu bringen. Mimisch und gestisch ist dem kaum noch etwas ergänzend hinzuzufügen. Deutschsprachige Umsetzungen scheitern da in schöner Regelmäßigkeit fast immer an den sprachlichen Eskapismen des 45jährigen englischen Dramatikers. Kelly ist mittlerweile eine eingeführte Größe und sichere Bank. Er gehört neben Sara Kane, Simon Stephens oder Enda Walsh zu den im deutschen Sprachraum meistgespielten britischen Theaterautoren. Besonders der DT-Regisseur Stephan Kimmig hat sich mit Inszenierungen dieser Autoren einen Namen gemacht.

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/02/DT_Juni-2013.jpg

Das Deutsche Theater in Berlin - Foto: St. Bock

Nun versucht sich in der Box des Deutschen Theaters Regieneuling Marike Moiteaux an Kellys eigenwilliger sozialer Traumstudie um die Geschwister Michelle und Michael (in den Rollen Olivia Gräser und Thorsten Hierse). Schon die Bühne stellt dabei deutlich den Realismus gegen die Traumwelt der Geschwister. Auf der einen Seite ein angedeuteter Campingwagen als schäbige Behausung, auf der anderen ein großer, schräggestellter Pfeil als Auftrittsfläche für jede Menge Bühnenzauber. Der versoffene Vater verscherbelt die Geschwister nach dem Tod der Mutter an den schmierigen, pädophilen Onkel Arry, der die beiden wiederum an Mister Bodenschmeiß mit der Aussicht auf ein Leben jenseits von Pommes und Kleinkriminalität weiterreichen will. Was sich dabei in der Phantasie der Kinder abspielt, stellt Marike Moiteaux als Zaubernummer mit Zylinder, Bonbons und Gorilla-Maske dar.

Als Michael später ein Baby im Müll findet, es mit nach Hause bringt und ihm den Namen Schutt gibt, wandelt sich die anfängliche Konkurrenz der beiden Geschwister schließlich in eine Art familiäre Notgemeinschaft. Für die Beiden scheint die Kopie des von den Eltern vorgelebten Entwurfs ganz selbstverständlich, wie schon der seltsame Fund im Schutt oder die Unabdinglichkeit eines Fernsehers, den Michael auch sofort beschaffen geht. Der Traum von körperlicher Nähe und Geborgenheit ist natürlich zum Scheitern verurteilt. Für Dennis Kelly liegt nicht nur einiges im Argen, sondern eine ganze Welt in Trümmern. Gott hat die Welt und den Menschen aus lauter lange Weile erschaffen und sieht längst nicht mehr zu. Dem hat Marike Moiteaux außer ein wenig buntem Flitter, Torten-Kostümen und ironischen Liedchen à la „In heaven, everything is fine“ nicht allzu viel hinzuzufügen.

----------

www.blog.theater-nachtgedanken.de

Schutt
von Dennis Kelly
in der Box des Deutschen Theaters Berlin
Deutsch von Johannes Schrettle

Regie: Marike Moiteaux
Bühne: Merle Vierck
Kostüme: Karin Rosemann
Musik: Jacob Suske
Dramaturgie: Malin Nagel
Michelle: Olivia Gräser
Michael: Thorsten Hierse
Premiere war am 30.01.2014
Dauer: ca. 75 Minuten, keine Pause
Weitere Termine: 09. / 22. Februar 2014

Informationen: https://www.deutschestheater.de/spielplan/schutt/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden