Schwarze Serie an der Berliner Volksbühne

Theater, Performance Sterbehochamt - "Krieg" von Ragnar Kjartansson mit einer Komposition von Kjartan Sveinsson

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Mit dem Aufruf "Erobert euer Grab" hat die Volksbühne kurz vor Ostern eine "Schwarze Serie" genannte Reihe von Kurz- und mittellangen Produktionen im Theatersaal und auf der Hinterbühne ins Leben gerufen. Eine theatrale Befragung über Gott und die Welt, zum Dilemma von Leben- und Sterbenmüssen und dem Sinn und Unsinn der Unsterblichkeit. Sieben Premieren in sieben Wochen im vom verstorbenen Bühnenbildner Bert Neumann schwarz gestalteten Inneren der Volksbühne.

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Foto (c) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

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Die theatralen Karwochen eröffneten dann standesgemäß mit einem düsteren, fast schon sakralen Stück des isländischen Installations- und Performance-Künstlers Ragnar Kjartansson. Krieg ist nach Der Klang der Offenbarung des Göttlichen seine zweite Theaterarbeit für die Volksbühne mit Musik des isländischen Komponisten Kjartan Sveinsson. Der Ex-Keyboarder der Postrocker Sigur Rós hat sich nach seinem Ausstieg aus der Band musikalischen Soloprojekten gewidmet, die stark sakrale Züge tragen, wie etwa das 2010 in New York uraufgeführte Orchesterwerk Credo. Und so ist Krieg nicht etwa wie angekündigt wirklich eine Oper, sondern eher ein Requiem für einen sterbenden Soldaten.

Anleihen nimmt Sveinsson dabei vor allem in der Musik des Barock, aber auch bei Romantikern wie Brahms, Mahler oder Wagner. Herausgekommen ist aber nur ein relativ mäßiger Matsch aus kaum hörbar variierenden Streicherklängen, die mit ein paar Trommelwirbeln und Hörnern aufgepeppt werden. Das ist der erste Schwachpunkt einer Veranstaltung, die sich nichts weniger als die Schaffung einer Skulptur, die das Wesen des Dramas darstellt, auf die Fahne geschrieben hat. Highlight, Höhepunkt und Gipfel zugleich. So jedenfalls Regisseur Kjartansson.

Recht dramatisch sieht es in jedem Fall aus, was der Volksbühnenmime Maximilian Brauer da ungefähr eine geschlagene Stunde lang treiben muss. Laut stöhnend sich den Bauch haltend robbt und stolpert der in verdreckter preußischer Gardeuniform Steckende durch ein Art Bühnen-Diorama aus dem Siebenjährigen Krieg vor einem mit Bergen und glutrotem Himmel bemaltem Rundhorizont. Ragnar Kjartansson hat ein dreidimensionales Schlachtengemälde mit glimmenden Lagerfeuern, Zaunresten, Baumstümpfen und herumliegenden Soldatenleichen auf die Hinterbühne gestellt, vor der das Publikum andächtig einem pathetischen Sterbehochamt beiwohnt.

Maximilian Brauer performt von der Musik begleitet einen physischen Gewaltakt, bei dem er sich blutspuckend immer wieder entweder an einem Gatter, seinem Säbel, oder einem Vorderladergewehr mit aufgepflanztem Bajonett hochzieht und wieder zusammensackt. Blick und Arme gehen hin und wieder nach oben. Doch der Himmel ist bekanntlich leer und das Verrecken fürs Vaterland ein ziemlich unheroischer und dreckiger Job. Trotz recht plastischer Darstellung bleibt diese Performance in ihren Mitteln leider relativ eindimensional. Sterben als reine Kunstanstrengung.

Und das ist das zweite Minus des Abends, der sich anmaßt, etwas über das Sterben zu wissen, das über eine bloße Theatralik hinausgeht. Ein Kinderspiel aufgeblasen zu einem multimedialen Bühnenereignis im Hollywood-Breitbildformat. Wenn das nur ansatzweise karikiert würde. Aber die vereinzelten Lacher im Publikum gelten eher der unfreiwilligen Komik des sich hinziehenden Sterbeaktes, dem dann ein Kartätschenschlag doch noch ein jähes Ende setzt. Zum Beifall erhebt sich der leidvoll gestorbene Akteur dann nicht mehr. Tot ist tot, würde Heiner Müller sagen.

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Zuerst erschienen am 23.03.2016 auf Kultura-Extra.

Krieg
Oper in einem Akt.
Von Ragnar Kjartansson mit einer Komposition von Kjartan Sveinsson.
Eingespielt vom Deutschen Filmorchester Babelsberg
Regie & Bühne: Ragnar Kjartansson
Komposition: Kjartan Sveinsson
Aufnahme: Deutsches Filmorchester Babelsberg
Kostüme: Tabea Braun
Maler: Christoph Fischer, Anton Hägebarth, Camilla Hägebarth, Ragnar Kjartansson, Julia Krawczynski, Anda Skrejane
Licht: Johannes Zotz
Mitarbeit Bühne: Axel Hallkell Jóhannesson, Jana Wassong
Ton: Jörg Wilkendorf
Dramaturgie: Henning Nass
Mit: Maximilian Brauer
Uraufführung am 11.03.2016 auf der Hinterbühne der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Termine: 08. und 17.04.2016

Infos Schwarze Serie: http://www.volksbuehne-berlin.de/deutsch/spielplan/?reihe=77

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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