Sophie Rois fährt gegen die Wand im DT

Premierenkritik Am Deutschen Theater Berlin adaptiert Clemens Maria Schönborn den Roman "Die Wand" von Marlen Haushofer als Solo-Abend für Sophie Rois

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Das Bild der namenlosen Protagonistin von Marlen Haushofers Roman Die Wand wird wohl für etliche Kinogänger für immer mit dem Gesicht der Schauspielerin Martina Gedeck verbunden sein. Regisseur Julian Pölsler hatte den von der österreichischen Schriftstellerin 1963 geschriebenen Roman 2012 verfilmt, was bis dahin als unmöglich galt. Auch im Theater ist die Geschichte um eine über Nacht in der österreichischen Bergwelt auftauchende unsichtbare Wand, hinter der eine 40jährige Frau von der übrigen Welt abgeschnitten ganz allein weiterleben muss, angekommen. Im gleichen Jahr adaptierte Schauspieler Christian Nickel den Roman mit seiner Kollegin Dorothee Hartinger für das Wiener Burgtheater. Ein Abend, den die Kritik schon damals als „Liebhaberprojekt“ einstufte.


Etwas für Liebhaber dürfte auch die nun für das Deutsche Theater Berlin entstandene Bühnenfassung von Regisseur Clemens Maria Schönborn sein, der seine nur 75 Minuten dauernde Inszenierung mit dem Titel Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater ganz auf seine Lebensgefährtin und Ex-Volksbühnen-Schauspielerin zugeschnitten hat. Es ist die erst zweite Arbeit von Sophie Rois nach ihrem Wechsel ans DT, sieht man mal von zwei kleinen szenischen Leseabenden ab.

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Und ganz wie eine szenische Lesung beginnt auch dieser Abend auf der großen Drehbühne, die Regisseur Schönborn nur mit einem Tisch und Sofa eingerichtet hat. „Bilder von großer Wucht und Sinnlichkeit“ attestierte die Kritik dem Filmprojekt von Julian Pölsler. Die Naturgewalten der österreichischen Berge muss sich das Publikum am Deutschen Theater allerdings selbst imaginieren. Sophie Rois erscheint in kariertem Rock und gelbem Pullover und zündet sich erst mal eine Zigarette an, bevor sie kurz in den Inhalt des Romans einführt. Es beginnt am Morgen nach der ersten Nacht in der Berghütte, in die die Ich-Erzählerin mit einem verheirateten Paar am Tag zuvor gefahren war. Auf der Suche nach den beiden stößt sie schließlich an jene Wand. Kein menschliches Leben regt sich mehr dahinter. Alle Menschen, die die Frau sehen kann, scheinen wie eingefroren.

Was im Roman zur existentiellen Ich-Betrachtung der einer unüberwindlichen Macht und der bloßen Natur ausgesetzten Protagonistin wird, bricht die Rois hier ganz in ihrer unnachahmlichen Art auf eine launige Personality-Show mit etwas Musikbegleitung herunter. Ausgestattet mit Requisiten wie Rucksack, Fernglas und doppelläufiger Büchse, aus der natürlich dann ganz unerwartet auch geschossen wird, wagt sie sich schließlich doch etwas in den zunächst leeren Bühnenraum vor. Hund, Kuh, Katze und das sich spreizende Laub der Bäume im gleißenden Licht, die einfache klare Poetik der Haushoferschen Sprache dehnt die Rois im Akzent zum reinen Wiener Schmäh, zu dem sie auch noch Mundartliches vom Alpen-Bob-Dylan Wolfgang Ambros intoniert.

Der Roman ist ab den 1980er Jahren viel in Richtung Öko-Feminismus interpretiert worden, was einigen Passagen durchaus zu entnehmen ist. Eine Frau findet ganz allein ohne Männer zu einem neuen, selbstbestimmten Leben in der Natur und definiert sich irgendwann selbst nicht mehr als Frau. Doch die Angst vor dem Alleinsein, vor der Dunkelheit und dem Tod bleibt. Diesen philosophischen Aspekt überspielt die Rois mit einer trotzigen Attitüde in der wie immer rauchigen Stimme. Wenn dann auch noch ein großes Tortenstück mit Erdbeeren und Sahne vom Bühnenhimmel herunterfährt, ein Sinnbild kulinarischer Wollust, auf das die Rois zunächst wie auf einen Berggipfel steigt und sich dann als nur von selbst gezogenen Kartoffeln und Grünzeug Lebende der Süßspeise voller Inbrunst hingibt, dann bringt das natürlich etliche Lacher im Publikum.

Dass sich da jemand seinen existentiellen Gedanken und Ängsten stellt, diese sogar aufschreibt, um sich ihnen nicht ergeben zu müssen, kommt einem in der Erzählung der Rois kaum in den Sinn. Nachdenken über Wahrheit, Wahnsinn, Gott, die Liebe und das menschliche Dasein erschließen sich so nicht wirklich aus dem Vortrag. Die Inszenierung und der forsche Ton kitzeln das vielleicht bisher unentdeckte komödiantische Potential des Romans heraus, was aber auch nicht ganz über die recht kurze Dauer des Abends rettet. „Ich glaube, die Zeit steht ganz still und ich bewege mich in ihr.“ heißt es im Roman. Aber wie der Protagonistin die Zündhölzer ausgehen, so geht auch langsam der Inszenierung die Puste aus. Ein wenn auch streckenweise unterhaltsames Treten auf der Stelle.

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Zuerst erschienen am 31.01.2020 auf Kultura-Extra.

Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater
nach dem Roman Die Wand von Marlen Haushofer
Regie / Bühne Clemens Maria Schönborn
Kostüme Tabea Braun
Musik Max Kloth
Licht Cornelia Gloth
Dramaturgie Bernd Isele
Mit Sophie Rois
Die Premiere war am 31. Januar 2020 im Deutschen Theater
Termine: 06., 26.02.2020

Infos: https://www.deutschestheater.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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