The Past

Tanztheater Constanza Macras und DorkyPark zeigen an der Berliner Schaubühne getanzte Erinnerungsbilder.

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Constanza Macras bringt mit ihrem kraftvollen Bewegungstheater seit Jahren Stadtlandschaften und Bewohner auf die Bühne und zum Tanzen. Seien es die Gated Communities in „Brickland“, die meandernden Metropolen mit ihren unkontrolliert ausfransenden Rändern in „Megalopolis“ oder die moderne globale Großstadt schlechthin wie in „Berlin Elsewhere“. Im letzten Jahr bespielte sie mit ihrer internationalen Compagnie DorkyParksogar den Köpenicker Müggelwald. Die argentinische Choreografin legt mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder ihre Tanztheaterprojekte an der Berliner Schaubühne vor.

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Schaubühne Berlin - Foto: St. Bock

Nun betreibt sie mit The Past“ in Kooperation mit dem Europäisches Zentrum der Künste in Dresden-Hellerau getanzte Erinnerungskultur. Und auch hier dreht es sich wieder um Stadträume. Unsere Erinnerungen orientieren sich immer auch an bestimmten Bildern von vergangener Architektur, Symbolen und Räumen, in denen wir aufgewachsen sind. Wir verbinden diese gewohnten Bilder mit unserer eigenen Geschichte. Persönlich abgespeicherte Eindrücke aus der Vergangenheit bilden irgendwann das kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation oder der Bevölkerung einer Stadt bzw. eines Landes. Verschwinden diese Orte, sei es durch den modernen Wandel und Umbau oder z.B. auch eine durch Krieg hervorgerufene Katastrophe, entstehen nicht nur räumliche Lücken, die mit der Zeit nach und nach wieder neu gefüllt werden, sondern u.a. auch unwiederbringliche Lücken im Gedächtnis.

Im Speziellen geht es in „The Past“ um die schreckliche Bombennacht des 13. Februar 1945, in der Dresden durch alliiertes Bombardement zerstört wurde. Constanza Macras hat Geschichten Überlebender gesammelt, die sie mal im O-Ton einspielt oder durch ihre Tänzer erzählen lässt. Als philosophischen Überbau gibt es neben der choreografierten Umsetzung in wieder sehr spezifische Tanzfiguren auch einen kleinen Vortrag über Erinnerungstechniken, nach dem lateinischen ars memoriae auch die Kunst der Erinnerung oder aus dem Griechischen kurz Mnemonik genannt.

Der Tänzer Luc Guiol geht in seinem recht umfassenden Bericht zu den Wurzeln der Gedächtniskunst und ihren Techniken, die bis zum griechischen Dichter und Staatsmann der Antike Simonides von Keos zurückreichen, der nach dem Einsturz einer Festhalle durch das Erinnern der Sitzplätze der Gäste an der Tafel, deren Leichen identifizieren konnte. Eine etwas makabre Verbindung zur Erinnerung an die Dresdner Bombennacht. Im antiken Flötenchor sitzen die Tänzer irgendwann auch mal im Halbkreis und intonieren ein sirenenartiges Pfeifkonzert. Auch ein Ton der sich diesbezüglich aufdrängt und einprägt.

Weiterhin erfahren wir etwas über die Art der Erinnerung in den verschiedenen Kulturepochen, die mnemotechnischen Mentalfaktoren und die Anwendung der antiken Loci-Technik, bei der sich Text in bestimmten Räumen gemerkt wird und dann später durch die Bilder der Architektur wieder abgerufen werden kann, zum Beispiel auch die einer Treppe, über die der Vortragende ständig stolpert. Wohl ein ironischer Verweis auf die Tücken jeder Methode zur genauen Erinnerung. In seiner Ausführlichkeit lenkt das allerdings ein wenig vom eigentlichen Tanztheater ab. Man könnte die Theorie auch in dem begleitenden Programmheft nachlesen, zumal einem das Wissen darüber nicht die eigene Fähigkeit zur direkten Assoziation der Bilder auf der Bühne abnimmt. Dazu haben Laura Gamberg und Chika Takabayashiein Gerüst mit mehreren Ebenen, Dachbalken und abgehängten Gazevorhängen und Tapetenmustern auf die Bühne gestellt. Eine fragmentarische Raumskulptur die sich bestens für die sehr artistischen Tanzeinlagen der Truppe eignet.

http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2014/11/the_past_Foto-c-Thomas-Aurin.jpgThe Past von Constanza Macras | DorkyPark und Oscar Bianchi - Foto (C) Thomas Aurin

Parallel zu den recht emotionalen Erinnerungssplittern der Zeitzeugen aus ihrer Kindheit, die von Spielen, Tanzvergnügen aber auch Tod, Zerstörung und der Leistung des Wiederaufbaus erzählen, stehen andere Texte der Performer über ein nach der Wende verschwundenes Lenindenkmal, die Veränderung der Stadt durch Gentrifizierung und die Verdrängung der alten Bevölkerung durch Neuzuzug in historische Stadtviertel. Aber nebenbei läuft hier auch noch ein ganz eigener Film ab. Ständige Wechsel in Tempi, Kostümen und Tanzstilen schaffen zunächst Verwirrung und fordern dadurch die volle Konzentration des Publikums auf die einzeln oder in Gruppen agierenden Tänzer. In Choreografien aus akrobatischen Verwindungen, Paar- und Soloeinlagen, rhythmischem Breakdance sowie kleinen komödiantischen Spielszenen verarbeiten die Tänzer Techniken lokaler raumgreifender Erinnerungsarbeit, die bis ins Private hinein wirken.

Ein Fliehen und Fangen, Springen und Stürzen. Ein Treiben in der Zeit und aus der Zeit fallen. Constanza Macras schwelgt in einem schier unendlichen Ideenreichtum. Dem Bewegungsdrang ihrer Tänzer sind da kaum Grenzen gesetzt. Sie agieren durchweg technisch und künstlerisch auf ziemlich hohem Niveau. Dazu hat der italienische Komponist Oscar Bianchi einen recht minimalistisch experimentellen Sound komponiert, der durch die Musiker Miako Klein und Michael Weilacher mit Klang- und Schlagwerken, Violine sowie anderen alternativen Streich- und Blasinstrumenten erzeugt wird. Ein sphärischer Soundtrack zwischen Himmel und hereinbrechendem Inferno.

Eine große Windmaschine, die voll aufgedreht das Dröhnen von Flugzeugmotoren imitiert, weht nach und nach alle Protagonisten von der Fläche und hebt die Ordnung der Dinge und Plätze endgültig auf. Der bereits anfangs mit unglaublich gelenkigen Körperverwicklungen aufgefallene Nile Koetting stemmt sich nun mit flatterndem Gewand allein der Kraft des Windes entgegen. Man muss unweigerlich an Walter Benjamin - auch ein großer Erinnerungstheoretiker - denken und seinen Engel der Geschichte, den der Sturm des Fortschritts unaufhörlich in die Zukunft treibt, während sich vor ihm die Trümmer der menschlichen Katastrophen auftürmen.

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Im Frühjahr 2016 soll der zweite Teil der Produktion uraufgeführt werden, der sich mit der Entkoppelung von Erinnerungen und Orten im digitalen Zeitalter beschäftigen soll. Ein Thema, mit dem sich ja bereits auch Falk Richter und TOTAL BRUTAL in „Never Forever“ auseinandergesetzt haben. Die Schaubühne erweist sich hier zumindest tänzerisch voll auf der Höhe der Zeit.

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Zuerst erschienen am 02.12.2014 auf Kultura-Extra

The Past (UA)
von Constanza Macras | DorkyPark und Oscar Bianchi
Eine Produktion von Constanza Macras | DorkyPark und HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden in Koproduktion mit der Schaubühne Berlin. Gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes. Mit Unterstützung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

Regie/Choreographie: Constanza Macras, Musik/Komposition: Oscar Bianchi, Bühne: Laura Gamberg / Chika Takabayashi, Kostüme: Allie Saunders, Kostüm-Assistenz: Daphna Munz, Dramaturgie: Carmen Mehnert, Licht: Sergio de Carvalho Pessanha, Ton: Stephan Wöhrmann, Produktion: Katharina Wallisch, Produktionbüro: René Dombrowski

Von/Mit: Louis Becker, Emil Bordás, Fernanda Farah, Luc Guiol, Miako Klein, Nile Koetting, Johanna Lemke, Ana Mondini, Felix Saalmann, Miki Shoji, Michael Weilacher Musiker: Miako Klein / Michael Weilacher

Berlin-Premiere war am 27.11.2014

Termine: 29.01. und 30.01.2015

Infos: www.hellerau.org / www.schaubuehne.de / www.dorkypark.org

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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